Der konservative Chihuahua

23. Oktober 2019
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Freiheit | Ironie | Machiavelli | Philosophisches

Folgt man Presse und Politik, so wird seit einigen Jahren sehr deutlich, dass eine neue Art des Konservativen herangezüchtet werden soll. Flauschig und weich soll er sein, formbar, unproblematisch: der Chihuahua der Politik. Nicht anders ist zu erklären, dass „der Konservative“ nunmehr kein Rechter ist, sondern die Antithese zu „Rechts“, statt nur eine Teilmenge des rechten politischen Lagers. „Der Konservative“ ist der ewige CDU-Wähler, der glaubt, Werte und Überzeugungen zu besitzen, es eben nur nicht fertigbringt, diese zu verteidigen, dafür einzustehen oder zu protestieren. Das wäre nämlich radikal, und radikal ist nicht bürgerlich, radikal, das ist rechts.

Nun beginnt diese Radikalität jedoch nicht erst bei Gewalt und Revolution, sondern schon in der Artikulation von Problemen und deren Lösung. Der konservative Chihuahua – an dieser Stelle bitte ich um Verzeihung an alle Hundeverbände – soll nicht einmal mehr bellen, sondern nur auf Befehl. Sie sind gegen Abtreibung? Das dürfen Sie gerne sein; aber bitte unter der Auflage, nur darüber im kleinen Kreis zu reden, keine Zeitungsartikel zu schreiben, keine Demonstrationen zu besuchen (oder gar – Gott stehe uns bei! – solcherlei zu organisieren) und sie auch nicht über eine politische Partei durchzusetzen.

Denn das ist die Rödderisierung der konservativen Politik: ihre Relativierung. „Konservativ“ sein, das heißt für die heutige Elite: Stützen des Staates zu sein. Sie sind doch verantwortungsvoll? Sie sind doch für Ordnung? Besser die schlechteste aller Ordnungen als gar keine. Sie müssen pragmatisch denken, Sie wollen doch kein Stammtischredner sein? Denken Sie daran: was „Konservative“ vor hundert Jahren bekämpften, das verteidigten Sie heute. Ewigkeit, Traditionen, Familie, Volk, Gott – das hat sich alles geändert. Oder wollen Sie das Frauenwahlrecht abschaffen und die Sklaverei wieder einführen. Sie beziehen sich auf Thukydides oder Polybios? Sehen Sie, Sklavenhalter, misogyne Anti-Demokraten! Das wollen Sie doch nicht? Und was ist das überhaupt, ein „Kategorienfehler“?

In dem Moment, da der metaphysische Gehalt des Konservatismus verschwindet, ist es nur noch ein liberales Gemenge, das morgen anders sein kann als heute. Er bietet keinen Widerstand gegen die moderne Welt und ihre Relativismen. Genau das ist gewollt. Es ist der Typus einer „konservativen“ CDU, die Herrschaft – nämlich ihre eigene – konserviert. Statt Positionen durchzusetzen, „streitet“ sie nur noch für Positionen. Um sich dennoch als einzige vertretbare Kraft rechts der Mitte zu positionieren, absolutiert die Union jedwede Deutungshoheit über das „Konservative“ für sich. Das geht dann so weit, dass die homosexuelle „Ehe“ plötzlich verteidigt wird, weil Ehe ein konservativer Wert sei. Dass eine homosexuelle „Ehe“ aber prinzipiell konservative Werte über Bord wirft, kommt diesen Leuten nicht mehr in den Sinn, da sie ihre Definitionen und Maßstäbe an der Politik ausrichten, und nicht etwa ihre Politik nach Definitionen und Maßstäben.

Die Wahrheit ist: das, was in Deutschland schon seit einigen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, mit dem Etikett „konservativ“ von offizieller Stelle behaftet wird, sind zentristische Positionen, die deckungsgleich mit dem Wahlprogramm der Union sind. Da letztere als mächtigste Partei der Nachkriegsgeschichte diesen Staat und seine Institutionen dominiert, kann sie – ähnlich einem Wahrheitsministerium – festlegen, was „konservativ“ ist. Und was sie auf gar keinen Fall will: echte Konservative.

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