Philosophen als Merkmal des Niedergangs

14. März 2018
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Europa | Historisches | Ich bin Guelfe, ich kann nicht anders | Ironie | Machiavelli | Philosophisches

Der Beginn des fünften Kapitels von Machiavellis Florentinischer Geschichte ist einer der beeindruckendsten Texte seiner Schriften; leider wird dieser viel zu selten zitiert, da dieses eigentliche Meisterwerk Machiavellis stets im Schatten des Principe und der Discorsi steht. Man kann die Istorie Fiorentine immer wieder neu lesen, es fällt eine Facette auf, die man bemerkte, aber deren Tiefe man damals nicht begriff.

Vor Jahren hob ich die Interpretation hervor, dass Europa als Halbinsel genau so bedroht ist wie das Italien der Renaissance. Unsere Gesellschaft ist eine kleine, feine, hoch entwickelte in einem Meer von Barbaren, die uns unsere Entwicklung neiden. Das muss man ganz offen so sagen. Wir sind nur ein kleines Florenz; was sind wir schon gegen die Widergänger Frankreichs und Spaniens?

Das ist der geopolitische Ansatz. Der kulturgeschichtliche stimmt umso nachdenklicher, legt man die Zeilen des Florentiners zu unseren Ungunsten aus:

In ihrem Kreislauf pflegen die Staaten von Ordnung zur Unordnung überzugehn, um dann von der Unordnung zur Ordnung zurückzukehren. Denn da die Natur den menschlichen Dingen keinen Stillstand gestattet, so müssen sie notwendig abwärts steigen, nachdem sie den Gipfel der Vollkommenheit erreicht haben, wo sie nicht ferner aufwärts zu steigen vermögen. Sind sie nun herabgestiegen und durch Zerrüttung aufs tiefste gesunken, so müssen sie, da ferneres Sinken unmöglich, notwendig wieder aufwärts steigen.

So in stetem Wechsel geht es abwärts zum Bösen, aufwärts zum Guten. Denn Kraft zeugt Ruhe, Ruhe Trägheit, Trägheit Unordnung, Unordnung Zerrüttung, wie hinwieder aus der Zerrüttung Ordnung entsteht, aus der Ordnung Kraft, aus der Kraft Ruhm und Glück. Darum haben verständige Männer beobachtet, daß die Wissenschaften der kriegerischen Tapferkeit folgen, und in Staaten und Städten erst Feldherren auftreten, dann Philosophen. Denn wenn gut und tapfer geführte Waffen Sieg gebracht haben, der Sieg Ruhe, so kann der kriegerische Mut durch keine ehrenvollere Friedenskunst geschwächt werden, als durch die Wissenschaften, noch kann die Entwöhnung vom Kriege mit größerer und gefahrvollerer Täuschung bewirkt werden, als durch diese. Dies sah Cato sehr wohl ein, als die Philosophen Diogenes und Carneades als athenische Abgesandte zum römischen Senat kamen. Da dieser bemerkte, wie die römischen Jünglinge ihnen voll Bewunderung folgten, und er den Nachteil erkannte, der seinem Vaterlande durch die Entwöhnung vom Kriegerleben zugefügt werden würde, so brachte er es dahin, daß in Zukunft kein Philosoph in Rom aufgenommen werden durfte.

Bereits das Aufkommen von Philosophen anstelle von Feldherren gilt als Zeichen der Schwäche und des Niedergangs. Wo steht Europa heute, da wir nicht einmal mehr diese haben?

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