Neulich stöberte ich durch die Kapitel meiner umtriebigen Vergangenheit im Internet, natürlich nur aus helldeutschen Gründen, die nicht im Verdacht stehen, unseren geliebten Zensurminister – langes Leben und ein dreifaches Hurra! seien ihm geschenkt – zu beunruhigen. Mir fiel in einem alten Diskussionsforum auf, dass ich bereits im Jahr 2010 ganz salopp und ohne die üblicherweise aufrührerische Intention den Begriff „Mainstreampresse“ benutzte. Damals las ich noch regelmäßig die FAZ und auch andere Internetmedien (bspw. Cicero), denen ich heute den Rücken gekehrt habe. Bei FAZ.NET war ich noch im Leserforum aktiv (und sollte das auch noch die nächsten vier Jahre sein).
Über sieben Jahre ist das her! Damals gab es noch keine Migrationskrise, keine AfD, keine Pegida-Demonstrationen. Die Junge Freiheit, die Weltwoche? Gar Schnellroda, die Neue Rechte, Kubitschek? Oder – Gott steh uns bei! – die Alt-Right und Trump? Der unvergleichliche Rechtspopulismus, der kurz vor der Machtergreifung steht, und am 24. September nur mit größter Mühe abgewehrt werden kann?
Das war alles sehr, sehr weit weg.
Ich nutzte diesen Begriff ohne Hintergedanken. Es war einfach eine Beschreibung. Und noch viel bemerkenswerter: die Diskussion ging ganz normal weiter, ohne, dass man sich an diesem Wort gestört hätte. Niemand wäre auf die Idee gekommen, sich an einem Wort zu reiben, weil dahinter ein mögliches Geheimwort, eine Parole von Verschwörern stecken konnte. Niemand hätte deswegen den Vorwurf erhoben, irgendeiner Partei nahezustehen. Und noch weniger wäre man deswegen moralisch gegeißelt worden. Auch, wenn schon damals nicht alles in Ordnung war – es waren spürbar unpolitischere Zeiten. Nicht jede Silbe wurde auf der Goldwaage abgewogen, ob nicht ein Körnchen politischer Unkorrektheit darin lag, dessentwegen man – in der Hoffnung auf Beifall von den „Guten“ – zu einer allgemeinen Hetzjagd blies, um anschließend die Abweichler von der herrschenden Gesinnung publikumswirksam zu erlegen. Keine Frage: im öffentlichen Diskurs, in den Talk-Shows, in den Medien war das eine andere Sache. Aber im politikfreien Raum?
Was es damals aber auch nicht gab, waren Zeitungen, die Lexika unerwünschter Worte erstellten. Auch die Zahl eher erfolgloser JournalistInnnen oder GeschwätzwissenschaftlerInnen, die ihre Karriere beförderten, indem sie eigenmächtig eine bestimmte „Sprache“ als gefährlich einstuften, war damals geringer. Und wichtiger: diese Personen hatten nicht das Gehör wie heute, sondern führten eine kümmerliche Existenz am linksextremen Rand. Was schert mich schon, was in der taz steht.
Heute sieht das leider anders aus. Ein einziges Wort reicht aus, um jemanden aus dem gesellschaftlichen Diskurs zu werfen und ihn in der Kaste der Unberührbaren zu entsorgen; nur, weil er ein paar Silben gesagt hatte, die einem selbst nicht gefielen. Man vergisst leicht, dass unsere Diskussionskultur in der Vergangenheit weitaus härter war, auch wenn das von der politischen Korrektheit in einer faszinierenden, wahrheitsministeriumsmäßigen Geschichtsverklärung anders dargestellt wird.
Es ging damals übrigens um WikiLeaks. Sie wissen vielleicht noch, dass die Presse Assange damals als Helden feierte (weil er damals noch die „Bösen“ angriff). Der wird heute von den Medien übrigens genauso bekämpft, wie das Wort „Mainstreammedien“ gegeißelt wird – und dazu viele andere Wörter, denen man eine geradezu animistisch-magische Kraft zuspricht. Das Beispiel zeigt, dass wir in einer Periode der Paranoia leben, in der die Irren behaupten, mit der Stimme der Vernunft zu sprechen.
Im Übrigen steht man heute schon unter Verdacht, damit das Geschäft der Feinde der offenen Gesellschaft zu betreiben, wenn man nur diesen Umstand benennt.