Alle Vorurteile über die deutschen Medien sind wahr

29. Juli 2017
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Freiheit | Ironie | Italianità und Deutschtum | Medien | Non enim sciunt quid faciunt | Persönliches | Über die Demokratie in Deutschland

Kürzlich musste mein Auto in die Werkstatt – es war nur wenige Tage nach meiner Rückkehr nach Deutschland. Die Wartezeit verlängerte sich, und so war ich gezwungen, eine der vielen Zeitschriften zu konsumieren, welche man ausgelegt hatte. Es war dies eine der ersten Begegnungen mit der deutschen Printpresse nach Jahren, und – wie ich hier nochmals betone – einzig der Langeweile geschuldet.

Mir geriet der Stern in die Hände. Ich muss dies hier voranstellen, denn vom verschwörungstheoretischen Angebot erreicht die Zeitschrift, die selbst Peter Scholl-Latour nicht retten konnte (meiner Ansicht nach ein viel deutlicheres Zeichen für den Abstieg dieses Blättchens als die vorher geschehene Tagebuchaffäre) eher das Niveau, dass man der Compact anrechnen würde. Zudem: ich habe Compact nie gelesen, aber wenn ich mir die Urteile solcher Magazine wie Stern, Spiegel und Konsorten über angebliche Verschwörungsmagazine mit ihren „kruden Theorien“ und „Fake News“ anschaue, sitzt man nicht mehr im Glashaus, sondern bereits in den Scherben desselben.

Was sich mir bietet, ist ein Potpourri der Gefühlslage deutscher Medien. Vorne das sommerliche Wonnegefühl der Nordsee. Unser Land ist gut und schön. Aber noch bevor es an die Nordsee geht, warnt Hans-Ulrich Jörges vor der „Russland-Falle“. Sinngemäß: Russland habe mit seiner Internetzauberei die Amerikawahl verhext. Aber wenn man Trump jetzt enthebt, spielt man ja den Russen in die Hände – denn dann hätte Putin, der Meisterhexer, nicht nur Clinton, sondern auch Trump erledigt. Die bösen Russen, die den Weltfrieden bedrohen und das trump’sche Netzwerk aus eigener Familie und russischen Emissären, sind auch später nochmal Thema. In einem anderen Artikel geht es den Söhnen von Trump an den Kragen.

Ein anderer Artikel schwärmt von einem chinesischen Widerstandskämpfer. Die übliche Liebe des Westens zu jenen „Liberalen“ der Welt, die aber unter dem Tonnengewicht einer Milliarde Chinesen etwa so viel Bedeutung haben wie ein Gänseblümchen in den Ritzen der Großen Mauer. Dennoch, mehrere Seiten, Friedensnobelpreis, die Witwe spricht.

Die „Global Player“ sind demnach einzig finstere Diktaturen oder korrupte Mächte – gut, dass wir in Deutschland mit seiner schönen Nordsee leben. Aber da gibt es noch mehr. Transgender beispielsweise: ein anderer großer Artikel über eine Opernsängerin, die nur Männerrollen übernimmt. Der Dame kommt das ganz gelegen, war sie doch früher selbst mal ein Mann. Bereichernd! Ebenso bereichernd der Artikel über feministische Pornographie. Natürlich eine Schwedin. Da muss es hingehen. Das alte, urdeutsche Sehnsuchtsbild.

Doch vergaß ich den eigentlichen Coup dieser Ausgabe, ganz versteckt zwischen Nordseestränden, russischer und amerikanischer Friedensbedrohung, Transgendersängerinnen und Feministenpornos. Der Stern hat tatsächlich ein Interview mit Bundespräsident Steinmeier geführt. Darin ging es um die Randale in Hamburg. Während die Stern-Reporter wenigstens die Courage haben, von linken Randalierern zu sprechen, scheut SPD-Mann Steinmeier die politische Verortung. Wie der gesinnungstechnisch befangene der Medientross bereits verlauten ließ: es sind eben nur „Gewalttäter“. Diese müsse man „kritisieren“. Steinmeier bleibt zwar diplomatischer im Ton als Rüpel Stegner, die Aussage zwischen den Zeilen ist aber dieselbe: mit linker Ideologie hat das alles nichts zu tun. Rechtsstaat, Gesetze und so, denn: der Rechtsstaat hat ja gezeigt, dass er funktioniere. Die Menschen wären jetzt eben nur etwas irritiert und verstört. Der Bundespräsident warnt vor Hysterie, denn solche Ausschreitungen seien kein Alltag in Deutschland. Der Zyniker könnte hinzufügen: noch nicht. Der Historiker indes: ja, was geschah denn damals bei der EZB-Einweihung in Frankfurt – und was geschieht jeden 1. Mai in Berlin? Aber gut, Steinmeier muss ja um sein Auto nicht fürchten, und Verwandtschaft in der Polizei ist mir auch nicht bekannt.

Spannend in diesem Zusammenhang, wie Steinmeier in seiner Antrittsrede den rechtsextremen Putsch von AfD-Seite ankündigte und sich gewissermaßen als Re-Inkarnation von Wilhelm Marx zelebrierte, der an Hindenburgs Stelle den Untergang der Berliner Republik verhinderte. Da war die Bedrohung ganz nah, ganz spürbar, ganz populistisch. Hier, in diesem Interview, unterstrich der Bundespräsident, dass die Demokratie in Deutschland nicht in Gefahr sei. Aus Sicht Steinmeiers müssten wohl auch noch Berlin, Frankfurt, München und Köln brennen, damit er den Gewalttätern mehr Aufmerksamkeit schenkt als ein paar versprengten „Populisten“.

Aber gut, die Prioritätensetzung der deutschen Regierung war schon immer etwas eigen. Wie in diesem Magazin, welches als eine weitere Hauptstory den Dieselskandal hochschreibt – andere Gazetten sollten in der folgenden Woche gleichziehen.

Alle Vorurteile über die deutschen Medien sind wahr. Womöglich würde ich, äußerte ich meine eigenen weltanschaulichen Ideale in solchen Redaktionen, mit der Heugabel verfolgt werden. Hier verwursten Journalisten ihre Paranoia als (Schreib-)Therapie. Der Leser sitzt dabei neben der gepolsterten Bank und kann nur zustimmend nicken – oder sich die Brille putzen.

Als mein Auto dann endlich fertig ist, spürte ich einen leichten Trotz bis Stolz, füge ich doch das letzte Element meines reaktionär-dunkeldeutschen Lebens hinzu, als ich die nur durchgeblätterte Ausgabe dieses Querschnitts durch das Denken medialer wie politischer Elite achtlos beiseite werfe.
Ich fahre einen Diesel.

Addendum: Inhaltsverzeichnis der Sternausgabe und Zusammenfassung des Steinmeier Interviews.

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