Aus „Dem Untergang der Republik Venedig“:
Am 12. Mai kam es zur Abstimmung im Großen Rat. Wie auch bei der Abdankung Kaiser Franz II., der das Heilige Römische Reich Deutscher Nation 9 Jahre später auflösen sollte, war der Vorgang nicht verfassungsgemäß. Bei der letzten Versammlung des Großen Rates von Venedig war nicht einmal die Mindestanzahl an Patriziern anwesend, um einen rechtmäßigen Beschluss zu fassen, die Sitze blieben zu zwei Dritteln leer. Lodovico Manin hielt als letzter Doge eine Abdankungsrede am Balkon. Dem Volk verkündete er, dass die Franzosen andererseits Feuer und Eisen brächten, die Venedig zerstören würden. Nach der Abdankung übergab Manin die Herrschaft an einige Vertreter der jakobinischen Sympathisanten in Venedig, welche den Gonfalon auf der Piazza San Marco einholten.
Noch am Nachmittag rottete sich ein Mob zusammen, der den Gonfalon erneut hisste. Die Häuser der Jakobiner wurden belagert und mit Steinen beworfen. Man forderte die Wiedereinsetzung des Dogen unter lauten „Viva San Marco! Viva la Reppublica!“-Rufen. Die von der Elite befürchtete Volksrevolte drohte nun auszubrechen – und wurde noch am selben Tag von Kanonenfeuer der neuen Regierung erstickt.
Ein Grund, warum es sich anbietet, den Untergang Venedigs nicht auf den 12., sondern eher den 13. Mai zu datieren, ist das Vakuum an diesen beiden Tagen. Noch am 13. Mai erließ die neue Regierung ihre Gesetze mit dem Markuswappen und dem Titel „Serenissimo Principe“, obwohl es weder Serenissima noch Dogen gab. Die Dekrete desselben Tages konnten jedoch nicht höhnischer ausfallen: Widerstand gegen die neue Staatsgewalt wurde mit dem Tode bedroht. Die Plünderer und Störenfriede des gestrigen Tages hätten sich zu stellen, denn schließlich seien die bedrängten Jakobiner „wohlverdiente“ (benemeriti) Leute, die sich nur um das Wohl des Staates kümmerten. Die Drohungen mussten herhalten, da erst am 14. Mai die Franzosen auf dem Markusplatz erschienen, und damit der Serenissima de facto ein Ende setzten.
Mit den französischen Unterstützungskräften proklamierte die neue Regierung eine Meldung, welche die Ideale der Aufklärung und Revolution postulierte. Darin war unter anderem zu lesen:
»Die venetische Regierung versucht, das System der Republik auf einer neuen Ebene zu perfektionieren. […] Wir sind dabei überzeugt, dass die französische Regierung einzig die Intention besitzt, die Kraft und das Wohl des venetischen Volkes zu fördern, und letzteres sich von nun an im Schicksal mit jenem der anderen, befreiten italienischen Völker bindet; die Regierung verkündet ganz Europa, und insbesondere dem venetischen Volk die freie Reform, welche als notwendig zur Verfassung der Republik angesehen wird. […] Die Nobili haben aus freien Stücken auf ihr Geburtsrecht verzichtet, die Ihnen das Recht zur Verwaltung des Staates zusichert. […] Die letzte Handlung der Nobili, ihre glorreiche Opferung der eigenen Titel, ist ein Zeichen, dass alle Kinder des Vaterlands eines Tages in Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit die Früchte der Demokratie genießen können […].«
Ab dem 22. Juli bedeutete in diesem neuen, freiheitlichen Gebilde, diesem Hort der Demokratie und der Menschenrechte… der Ruf „Viva San Marco!“ die Todesstrafe. Bereits am 4. Juni hatte man den Gonfalon in Fetzen gerissen und zusammen mit dem Libro d’Oro, dem Goldenen Buch, in dem alle Nobili Venedigs aufgelistet waren, in einem großen Feuer verbrannt.
…
Auch der eine oder andere Nicht-Venezianer dürfte mit Sicherheit dem Gedanken verfallen, dass Proklamationen wie jene oben aufgeführte sich in neuester Zeit jederzeit wiederholen können.