Die Wendehalsigkeit der Presse

5. Mai 2017
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Europa | Freiheit | Historisches | Ironie | Medien

Kürzlich kam mir unter Eindruck der deutschen Presselandschaft wieder einmal Napoleon in den Sinn. Natürlich kennen die meisten Besucher dieses kleinen Standcafés bereits die Anekdote. Ich möchte aber beizeiten daran erinnern, dass Fake News und das Presstitutionswesen weitaus älter sind, als uns die Jünger der Wahrheitspresse weismachen wollen. Ginge man nach denen, sind Zeitungsenten und Gesinnungsjournalismus erst gestern erfunden worden. Vielleicht mag mich auch die jüngste Episode um die Saudi-Arabien-Affäre dazu hinreißen.

Am 1. März 1815 hat Napoleon Bonaparte genug: sein Exil auf Elba wird ihm zu eng. Er setzt nach Frankreich über; obwohl die Mächte Europas ihn vom französischen Kaiserthron gestoßen haben, hat der „Weltgeist zu Pferde“ immer noch treue Verbündete in wichtigen Funktionsstellen der restaurierten Monarchie. Ein Regimewechsel scheint zuerst absurd; doch innerhalb von zehn Tagen ergreift der Korse neuerlich die Macht.

Folgend die Schlagzeilen des „Moniteur“, das offizielle Blatt der Regierung, die sich je nach Vormarsch Napoleons wandelten.

1. März: Der Menschenfresser hat seine Höhle verlassen.
2. März: Der Werwolf von Korsika ist soeben bei Cap Juan gelandet.
3. März: Der Tiger ist zu Gap gelangt.
4. März: Das Ungeheuer übernachtet in Grenoble.
5. März: Der Tyrann reitet durch Lyon.
6. März: Der Usurpator steht 60 Meilen vor Paris.
7. März: Bonaparte rückt schnell vorwärts.
8. März: Napoleon wird morgen unter unseren Mauern sein.
9. März: Der Kaiser ist zu Fontainebleau angelangt.
10. März: Seine Kaiserliche und Königliche Majestät hielten gestern Abend Ihren Einzug in Ihr Tuilerien-Schloss, in der Mitte Ihrer getreuen Untertanen.

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