Die Untugend, das sind immer die anderen

17. Januar 2017
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Carl Schmitt | FAZ-Kritik | Freiheit | Ironie | Machiavelli | Medien | Non enim sciunt quid faciunt | Philosophisches

Der gestrige Beitrag von der „unerkannten Untugend“ kam nicht von ungefähr. Inspiriert wurde er von Wolfgang Herles – und jener Ereignisse, welche seit dem Wochenende ihre Kreise ziehen. Weniger fällt der Kontrast zwischen christlicher Tugend und gelebter Untugend auf, als die im Simplicissimus beschriebene Tugendrealität innerhalb bestimmter Gruppen. Kurz gesagt: wenn Sie zu lange mit einer bestimmten Art von Mensch unterwegs sind, merken Sie gar nicht mehr, was für einen Unsinn Sie treiben. Sie entkoppeln sich eigentlicher Normen zugunsten einer Gruppenmoral. Plötzlich ist die Moral, welche die Gruppe lebt, eine deutlich wichtigere und gefühlt „bessere“, obwohl Sie für den Außenstehenden als Heuchlerei erscheint.

Dazu einige Beispiele.

Man mag vom verstorbenen Journalisten Udo Ulfkotte halten, was man will – der Papsttreue trifft in etwa den Ton, den ich anstimmen würde. Vielleicht war er kein guter Journalist (das zu beurteilen, dafür ist dieser Beitrag nicht geschrieben worden), aber war er ein schlechter Mensch, über dessen Tod man sich freuen soll, kann, darf? Ich würde nicht so weit gehen, bei jedem Toten betreten zu schweigen, selbst wenn er ein großer Unmensch war; aber auch hier habe ich bspw. beim Ableben Fidel Castros mehr auf die Reaktionen, als auf die Person verwiesen. Beim Tode von Diktatoren halte ich Freude vermutlich auch nicht für die beste Wortwahl, aber „Erleichterung“ dürfte man zumindest empfinden dürfen, wenn ein Menschenschlächter das Zeitliche segnet.

Nun war Ulfkotte jedoch kein Massenmörder oder Verbrecher. Er war Journalist, der vermutlich einige unbequeme Wahrheiten (vielleicht auch Unwahrheiten?) verbreitete, die seinen Gegnern in der Presse und der Politik missfielen. Als Islamkritiker war er unbeliebt im „anderen Lager“. So, wie mir wohl auch Frankenberger und seine Mitfrankenberger immer wieder aufstoßen.

Aber den Tod feiern, und das sogar als bento-Mitarbeiterin (und damit mit dem Spiegel verbunden?). Zweierlei Maß. Dieselben Leute regen sich furchtbar über den Hass und die Sprache der Rechten auf, und appellieren immer an die „Menschenrechte“ oder Artikel 1 des Grundgesetzes, lassen aber gegenüber dem Gegner, der im Freund-Feind-Schema atomisiert wurde, keinerlei Gnade walten. Es ist eben dies die Untugend innerhalb des linksextremen bis linksgrünen Lagers, das unter sich bleibt, sich in seiner Moral selbst bestätigt, und die eigene Untugend nicht mehr erkennt. Im Übrigen sind dies dieselben Leute, die anderen vorwerfen, in einer abgeschotteten Blase zu leben. Die ganze Geschichte kann man hier nachlesen.

Ähnliches Konzept: Aktionen von links und rechts. Wenn Identitäre eine Theateraufführung stören, werden sofort Vergleiche zum 3. Reich gezogen. Es sind „Rechtsextreme“ die mit Kunstblut „bewaffnet“ sind und „stürmen“. Die Linken jedoch, die eine AfD-Veranstaltung verhindern, indem Sie den Lesesaal nicht räumen – sind nur „Studenten“ die einen Auftritt „verhindern“.

Die Selbstbestätigung der Blasenuntugend betrifft jedoch nicht nur die Presse. Ähnlich spielt der deutsche Klerus mit. So äußerte sich Kardinal Marx am Wochenende (laut FAZ) folgendermaßen:

[…]
„Es gibt eine gewisse Bandbreite des politischen Engagements, aber da gibt es auch eine rote Linie“. Wo grob vereinfacht werde, „wo Parolen zur Feindschaft beitragen – da kann ein Christ eigentlich nicht dabei sein“, betonte Marx. Dies sei der Fall bei den Themen Ausländerfeindlichkeit, Verunglimpfung anderer Religionsgemeinschaften, einer Überhöhung der eigenen Nation, bei Rassismus, Antisemitismus, bei Gleichgültigkeit gegenüber der Armut in der Welt, „aber auch bei der Art und Weise, wie wir miteinander reden“, sagte der Münchner Erzbischof. Mit Blick auf die Bundestagswahl rief Marx zu einem fairen Wahlkampf auf. „Wir sagen: Verbal bitte mal abrüsten!“ Man dürfe nicht den Stil von Scharfmachern und Fundamentalisten übernehmen, mahnte der Kardinal.
[…]

Der Kardinal rügt also die Populisten aller Länder wegen ihrer „groben Vereinfachungen“ und der unchristlichen „Parolen“, welche zur Feindschaft beitragen, fordert aber andererseits, man müsse „verbal abrüsten“. Nichts lieber als das! Nun besuche aber auch ich den Gottesdienst im eher liberalkatholisch geprägten Bonner Münster, und frage mich bei Worten wie „braunen Rattenfängern“, also eindeutigen Vergleichen mit der NSDAP, ob man vielleicht doch noch einmal den Balken aus dem eigenen Auge entfernen sollte. Frei nach Matthäus. Aber nein: Vereinfacher, Schwarz-Weiß-Maler, Scharfmacher: das sind immer die Anderen.
Denn Kirche und AfD – das geht gar nicht.

Diese atemberaubende Hinwendung zur eigenen Moral manifestiert sich im Wort „Haltung“. Die unter politischen Interessen zusammengefassten, moralischen Haltungskomplexe werden in der eigenen Gruppe immer wieder selbst bestätigt, bis „Haltung“ ein Kultersatz ist. Kulte müssen von der eigenen Gemeinschaft gepflegt werden, durch Rituale. Wie das aber bei Pharisäern immer der Fall ist: sie versuchen einander in ihrer offen dargebotenen Glaubenszurschaustellung zu übertreffen. Bei keinem anderen Thema wird das offensichtlicher als bei der Bekämpfung des neu auf den Dämonenthron gesetzten Antichristen Donald Trump.

Dieselben Leute, die bei jedem „Einzelfall“ von „Differenzierung“ fabulieren, haben im neuen US-Präsidenten, der in wenigen Tagen vereidigt wird, den Erzsatan gefunden, den sie bekämpfen können. Der linke Haltungskomplex kennt in seiner stolzen Relativierung aller Werte kaum noch Götter, er braucht aber Teufel, die er angreifen kann, um sich selbst seiner heiligen Mission zu versichern. Deshalb besonders in den deutschen Haltungsmedien eine Kampagne, bei der sich jeder versucht, an Trump zu reiben und ein Denkmal zu setzen. In der sich selbst bestätigenden Gruppe braucht es keine Konventionen. Wie schon an Böhmermann gezeigt: der Angriff ist total, die Vernichtung komplett.

Am Montag hatte Ulf Poschardt vorgelegt. Deutschland ist nun im Widerstand (plötzlich spricht man wieder von Deutschen!), es müsse gewissermaßen das Anti-Trump-Land werden. Quintessenz:

Poschardt

Mittlerweile hat der Chefredakteur der Welt das „schwuler“ gestrichen, wohl weil die meisten Leser wie der Simplicio noch außerhalb der Banden leben und sich an der Sprache doch etwas mehr störten, als es unser Kämpfer für Deutschland und das Gute sich erträumte.* Womöglich wird in den Kommentarspalten bald das Wort „Volk“ wieder bei denen en vogue, die im neuen Wettstreit Deutschlands gegen die Anglosphäre (Theresa May wird von Poschardt ebenfalls als Gegenspielerin aufgeführt) bereits feuchte Träume bekommen.

Und da soll man noch vor der AfD Angst haben, die ein Viertes Reich aufbaut? „Dieses Mal bitte ohne Italien“ wird da meinerseits zum Wunschtraum.

Man könnte jetzt darüber philosophieren, inwieweit meine Annahme der sich gegenseitig übertreffenden Haltungsbekundungen stimmt, insbesondere in kultischer Hinsicht, wenn die Hohepriesterin der deutschen Nachrichten par excellence, nämlich die Tagesschau – unter Zugzwang gesetzt – auf Poschardts Vorlage eins draufsetzen muss. Sie hören den vermutlich anti-amerikanischsten Kommentar seit Jahrzehnten. Selbst Bush und Reagan haben so eine Abfuhr nicht bekommen – und dabei ist Trump keinen einzigen Tag im Amt:

Und warum? Weil Trump Dinge ausspricht, welche die Heil(ig)e Welt der Haltungsjünger erschüttert. Trump ist ein Trampeltier, dass die Wände ihres Sicherheitsraumes aufbricht und das Kollegium der Schönen und Guten in Zwangslage bringt. Die schöne EU, gezeichnet von „Freundschaft“, „Werten“ und „Frieden“ – ein Machtprojekt, in dem Deutschland seine Hegemonie ausspielt? Die NATO – muss erneuert werden? Der Klimawandel – eine Lüge?
Darf der das sagen?

Neben Trump auf politischer Ebene macht unserer Haltungsjunta das Thema „Fake News“ zu schaffen. Nun gibt es tagtäglich Falschmeldungen, aber die Qualitätsmedien und die Regierung scheinen nicht mehr länger hinnehmen zu wollen, dass alternative Medien eben diese bösen Dinge aussprechen, wie es Trump tut. In der Tat: es existiert einiges an Müll im Internet. Dennoch ist das meiste davon durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Maas und Konsorten haben aber nach Anheuerung Kahanes zur Bekämpfung von „Hass“ nunmehr eine weitere Gruppe engagiert, nämlich „CORRECTIV“, welches Fake News entschleiern soll. Denn „Fake News“ lügen. Gewissermaßen eine Lügenpresse.

Merken Sie etwas?

Der Unterschied liegt nur darin begründet, wer Lügenpresse sagen darf und wer nicht. Dadurch akzentuiert sich Macht. Gehören Sie der simplizistischen Bande mit ihren einfach gestrickten Wahrheiten an, und bringen diese durch Trump oder Fake News in Bedrängnis, sind Sie Freiwild. Haltung.

Nur dumm, wenn gerade heute die Medien erneut zeigen, wer die echten Fake News sind.

NPDVerbot1

NPDVebrot2

NPDVerbot3

Ohne das eigentliche Urteil abzuwarten, vermelden die Etablierten, die NPD werde verboten. Dieser Haltungssieg muss sofort verkündet werden. Man streitet sich, wer der erste sein könnte. SPON geht als erstes voran. Und statt zu recherchieren – eben das, was Journalismus tun sollte, und genau das spricht man ja auch Fake News ab – schreibt man voneinander ab. Was in der Gruppe richtig ist, kann außen nicht falsch sein. Die Selbstbestätigungsblase läuft auf vollen Touren. Die vorbereiteten Artikel werden auf die Seiten gestellt.

Für Minuten passiert das, was man will, nicht das, was ist – bis das Kind auf den nackten Kaiser zeigt.

Die NZZ entschuldigt sich weniger, sie schleudert hier vielmehr den Ball zurück. Aber auch die NZZ muss sich fragen: warum macht man sich nicht selbst ein Bild? Warum prüft man nicht? Schaut man sich die Urteilsverkündung nicht selbst an? Ist das, was in der Gruppe gesagt wird, automatisch Wahrheit?

Die Kirsche auf der Haltungssahnetorte: während bei Phoenix noch die Urteilsverkündung läuft, die mit einem Abschmettern des Verbotsantrags endet – Begründung: die NPD sei zu unbedeutend! Soweit zum Aufstieg des Bösen, werte Damen und Herren, die sich im Kampf gegen Nazis befinden – läuft im Ticker bereits die Falschmeldung, die NPD sei verboten worden.

NPDVerbot4

Dem seltsamen Simplicio kommt in der Welt alles seltsam vor, und er hingegen der Welt auch.

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*Die Unterstellung von Homophobie gegenüber Trump ist im Übrigen genau so eine falsche Unterstellung wie jene des Antisemitismus. Mit Milo hatte Trump einen bekannten Aktivisten der Schwulenszene auf seiner Seite, ebenso ist das Portal Breitbart, das den republikanischen Wahlkampf unterstützte, schon vom Namen her erkennbar nicht gegen Juden gerichtet. Steve Bannon, Chef von Breitbart, ist nunmehr enger Berater von Trump.

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