Im Zuge des Referendums war es natürlich unerlässlich, auch die deutschen Reaktionen zu lesen. Nach gefühlten Ewigkeiten wählte ich daher FAZ.Net. Wohl aus alter Gewohnheit und nicht zuletzt, da ich mir Zeit, Spiegel, Welt oder andere Quantitätsmedien ersparen wollte. Ausgerechnet ein Kommentar von Frankenberger begrüßte mich auf der Hauptseite.
Man wollte mich also vor eine harte Probe stellen. Die Schlagzeile Matteo Renzi: Zu kühn oder zu dumm hielt, was sie versprach. Und die Einleitung ließ einem schon die Löwenkrallen zu Berge stehen.
Italien hat sich gegen eine Verfassungsreform entschieden – und gegen seinen Regierungschef. Das ist tragisch, denn die Reform wäre sinnvoll gewesen, für Italien und für Europa. Ein Kommentar.
Allein im letzten Satz stecken bereits Fehler und Suggestionen, die mich darauf vorbereiteten, dass ich es mit einem typischen Frankenberger zu tun hatte. Warum dann dieses kurze Abenteuer? Weil der Artikel so gut wie alles enthält, woran die deutsche Medienlandschaft derzeit krankt. Nehmen wir diesen Satz:
Denn käme es zu Neuwahlen, wäre mit einem Erstarken der populistischen Kräfte zu rechnen und der euroskeptischen Protestbewegung „Fünf Sterne“ des sogenannten Komikers Beppe Grillo, der in Wahrheit ein Hetzer vor dem Herrn ist.
Erstens: das „sogenannt“ ist völlig überflüssig. Es insinuiert, dass Grillo kein Komiker, oder vielleicht ein schlechter sei. Das kann nur jemand schreiben, der keine Ahnung von Grillo hat und sich keinen Augenblick mit dem Werdegang des Mannes beschäftigte. Diese Herabsetzung liest man immer wieder im deutschen Raum.
Beppe Grillo war in den 90ern und den frühen 2000ern einer der beliebtesten italienischen Komiker auf nationaler Ebene. Noch 2006 erschien sein Buch „Tutto il Grillo che conta“ im renommierten Feltrinelli-Verlag. Grillo hatte einst auf RAI (vergleichbar mit der ARD) seine eigene Show, trat beim PD auf dem Parteitag auf, war überall zu sehen und man darf sagen: einer der beliebtesten Komiker Italiens. Er war aber eben kein „Clown“, sondern wurde mit der Zeit immer kritischer gegenüber der Politik. Politisch eher links zu verorten, stieß ihm aber schon bald das Kastenwesen aller Parteien auf, welches er immer wieder anprangerte. Höhepunkt: auf dem Parteitag der Sozialdemokraten sprengte er eine Vorstellung. Die Genossen hatten Unterhaltung erwartet, stattdessen hielt er eine ätzende Tirade gegen seine Kontrahenten. Das rückt Grillo in seiner Art eher in die Nähe von Henryk Broder oder Volker Pispers. Seine Angriffe schmeckten den Politikern nicht, die – wie in Deutschland – Entscheidungsbefugnisse in den Öffentlich-Rechtlichen haben. Auftritte wurden seltener. Bald gab es einen unausgesprochenen Grillo-Boykott im Fernsehen, weil der Mann zu ungemütlich wurde.
Und auch, wenn der Leser Grillo nicht kennt – es spricht für seine Satire, wenn er als so gefährlich eingestuft wird. Die Pointen mussten gesessen haben. Noch 2005 wählte das europäische Time-Magazin zum Helden („Seriously Funny“). Ein Auszug gefällig?
Comedian Beppe Grillo may be banned from TV, but He hasn’t let that stifle his unique political humor
Maybe Beppe Grillo should have been a state auditor instead of a comedian. Back in December 2003, Italy was rocked by the Parmalat scandal, in which the Italian dairy conglomerate imploded in a vacuum of debt and deception that became the largest bankruptcy in European history. But Grillo had seen it coming. As early as 2001, he had a whole routine built around the Parma-based firm’s dubious balance sheet—noting that even as a multibillion-euro debt was piling up, Parmalat was expanding its product line to include a new milk that contained the fish-based supplement Omega-3. Grillo would walk through the crowd dunking a dead fish in a glass of milk, looking for a taste tester: “Drink it. Drink it. What’s the problem? It’s Omega-3!” It’s the quintessential Grillo tragicomic formula: use a touch of over-the-top humor to probe the serious social issues that leaders don’t want to touch.
[…]
Then in 1987, during an appearance on the rai public television network, Grillo took a swipe at then Prime Minister Bettino Craxi that referred to ongoing suspicions of corruption. When the host of the show walked off, Grillo quickly realized that in the highly politicized world of Italian state TV, he was doomed. “The doorman wouldn’t even look at me,” he recalls with a wink. Craxi’s career ended in disgrace six years later after a vast corruption scandal, but ever since, Grillo has been persona non grata on state-owned stations and on Prime Minister Silvio Berlusconi’s private Mediaset network.
Instead, Grillo barnstorms around the country in sold-out arena shows, using the stage ever more as a platform for his crusades against government and corporate malfeasance. A big, bearded bear of a man, the 57-year-old Genoa native likes to roam through the crowd, mixing the physicality of John Belushi with the social conscience of José Bové.
[…]
Gewinnfrage: Fällt Ihnen vielleicht noch ein Mann ein, der in einem anderen Land als hocherfolgreich galt, überall prominent zugegen war, seine eigene Fernsehshow besaß, und zu den beliebtesten VIPs des Landes zählte – und nach seinem Einstieg in die Politik als Populist und „Hassprediger“ dämonisiert wurde? Der Unterschied: Grillo trat mit seinem M5s (Movimento 5 stelle) bereits 2013 zur Wahl in Italien an und wurde damit stärkste Kraft.
Womit wir beim Thema wären. Dieser „Hetzer vor dem Herrn“ wie ihn Frankenberger nennt, und als Witzfigur niedergemacht wird, ist ein Mann, der für Meinungsfreiheit seine Privilegien eingebüßt hat, ungemütlich war, den Mächtigen auf der Nase rumtanzte, aber früher mal extrem beliebt war im Volk. Und nicht etwa durch „Hetze“ sondern wegen überspitztem Humor, der einigen gar nicht gefiel. Erwähnter Sketch, mit dem er Craxi zur Weißglut brachte, wird sogar auf der deutschen Wikipedia zitiert:
1987 attackierte er die Sozialistische Partei (PSI) und ihren Führer Bettino Craxi aus Anlass seines Chinabesuchs. Grillo sagte: „Wenn die Chinesen alle Sozialisten sind, wen bestehlen sie dann?“ Diese Aussage spielte auf die für Korruption berüchtigte PSI an.
Der Löwe macht hier keine Werbung für Grillo. Aber die aufgezählten Fakten dürften zeigen, dass die „Hetze“, die Grillo anwendet, im besten Sinne „Hatespeech“ ist: es handelt sich um Meinungsäußerungen, die vom Gesetz gedeckt sind, aber wegen ihrer Ungemütlichkeit den Mächtigen nicht gefällt.
Und genauso bürstet Frankenberger Grillo hier ab: einseitig, unreflektiert, die Topoi der Elite übernehmend, der er selbst angehört. Hetze geht gar nicht. Dass aber Frankenberger stellvertretend für einen Großteil der deutschen Medienlandschaft damit gegen Grillo hetzt, indem er ihn genau so bezeichnet, den Vorwurf muss er sich gefallen lassen. Geht auch nicht, der Vorwurf? Dann frage ich: warum darf Grillo sich über die italienische Politik mokieren, aber Frankenberger ohne Fingerklopfen Renzi „dumm“ nennen? Weil er Journalist ist? Wie nennt man nochmals Sachzusammenhänge, die vereinfacht werden? Populismus.
Klar, der Ton hat sich verschärft. Klar, Grillo ist hart in der Wortwahl. Aber ganz abgesehen davon, dass der Tonfall italienischer Politik deutlich rauer ist als der in Deutschland (und auch früher schon war), geht Grillos „Hetze“ fast ausschließlich gegen die Politik und die Medien. Letztere fürchten sich vor allem vor Grillos populistischem Vorschlag, den ÖR auf einen Kanal zusammenzustampfen und die Gebühren auf ein Minimum zu reduzieren.
Weiter im Text:
Dennoch ist es beinahe tragisch, denn die Verfassungsreform wäre sinnvoll gewesen, nicht (nur) weil sie der Regierung größeren Durchgriff gegeben hätte, sondern weil sie etwas gegen den exzessiven, lähmenden und ineffizienten italienischen Föderalismus getan hätte.
Föderalismus? Lese ich das richtig? Im italienischen Zentralstaat, wo ein von Rom entsandter Präfekt jeden lokal gewählten Bürgermeister vom Posten ziehen kann? Ja, Italien hat eine überbordende Bürokratie, eine furchtbare Überregulierung, das teuerste Parlament der Welt, Kompetenzgerangel zwischen Institutionen – aber „italienischen Föderalismus“? Das einzige Stück regionaler Mitbestimmung auf Landesebene war ja gerade der Senat, und das auch nur ansatzweise – und der sollte nicht mehr direkt gewählt, sondern entmachtet werden! Entweder weiß Frankenberger nicht wovon er redet, dann wäre er als Journalist nicht qualifiziert; oder er weiß genau, wovon er redet, und will den unbedarften Lesern einen Bären aufbinden.
Es sind gerade diese Leute wie Frankenberger, die sich dann echauffieren, weil Begriffe wie Lücken- oder Lügenpresse auftauchen, obwohl sie selbst Beispiele liefern. Und Sie gehören zu den Welterklärern und Weltverbesserern, die diese Reform als „sinnvoll“ bezeichnen, ohne darauf hinzuweisen, dass:
Ad primo: Renzi keine Mehrheit im Senat hatte. Mit der Reform hätte sich Renzi über ein Referendum die Macht durch die Hintertüre zugesichert, eine Kammer zu entmachten, die seine Gesetze nicht angenommen hätte;
Ad secundo: Die Aufhebung der Direktwahl des Senats des härtesten Einschnitt in der italienischen Demokratie seit Mussolini bedeutet hätte;
Ad tertio: Die Reform ein Wahlrecht fundamentiert hätte (Prämie im Parlament für die stärkste Fraktion), welches von einer nicht geringen Zahl der Italiener als undemokratisch angesehen wird, und auch nach dem demokratischen Prinzip des „one man, one vote“ äußerst fraglich erscheint;
Ad quarto: Im Referendum eine Vielzahl von Reformen geschnürt wurden, von denen zwar einige Aspekte verführerisch gut waren (zum Beispiel Zusammenschrumpfung des Senats auf nur noch 100 Delegierte), aber unter Betrachtung anderer, unschmackhafter Gesetze (s. o.), kaum überzeugen konnten.
Insofern wurde das Referendum von vielen als „Mogelpackung“ verstanden. „Sinnvoll“ kann es ja wohl kaum sein, die italienische Demokratie auszuhebeln, nur weil das die Eliten zum Wohle des Euro so wollen (Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Gemeinschaftswährung nicht an den italienischen Kalamitäten ansteckt. Das hätte noch gefehlt, aber auszuschließen ist es nicht.). Der Hochmut der schreiberischen Eliten kommt hier in jeder Serife durch.
Noch etwas? Oh, fast hätte ich das vergessen! Weil dieses Mal wirklich das Maß voll war, erdreistete sich der Löwe doch glatt, diesen Fehler Frankenbergers zu kommentieren. Nach gefühlten Jahren fiel mir ein, dass ich ja dort einen Account besaß. Lesermeinung und so. Diskussionsforum. Also:
Exzessiver, lähmender und ineffizienter italienischer Föderalismus
Wir reden aber schon noch über Italien? Der Senat war eines der wenigen Vehikel des zahmen Föderalpflänzchen im erbitterten Zentralstaat. Es gibt sehr vernünftige Gründe, auch abseits Renzi, mit „no“ gestimmt zu haben. Aber es geht Frankenberger ja mal wieder mehr darum, die immer selben Parolen abzuspulen; letztendlich mal wieder eine Selbstentlarvung jenes Journalismus, deren Vertreter – ich bleibe im Duktus – „Populisten vor dem Herrn“ sind und jeder Durchdringung des Gegenstandes entbehren.
Und was glauben Sie, was geschehen ist? Einkassiert. Entsprach wohl in seiner polemischen Art nicht den Richtlinien. Nächstes Mal schreibe ich lieber von „dummen“ Premiers und „Hetzern vor dem Herrn“. Das ist wohl eher das Niveau, das man dort mittlerweile sucht. Denn wie Sie wissen, werden ja nur beleidigende, rassistische und sonstige Hassposts moderiert …
Addendum: Wenn Sie Lust haben, so lesen Sie doch diesen vor 7 Jahren verfassten Artikel über den „linksgrünen“ (!) Grillo beim Tagesspiegel, und vergleichen ihn mit heutigen Traktaten in den Zeitungen. Dort ist Grillo ein „Energiebündel“, der „Michael Moore aus Genua“, jemand, der Korruption aufdeckt und Wahlen durchwirbelt. Machiavelli hätte seine Freude daran …