Fragen zur Migration, Doppelpass und aktuellen Situation der Italiener in Deutschland

26. August 2016
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Ironie | Italianità und Deutschtum | Medien | Persönliches | Tichys Einblick

Fragen Sie sich, wann Sie zuletzt im Stadtbild Italiener getroffen, oder Italienisch gehört haben.

Fragen Sie sich, ob dies in den 80ern und 90ern in der Bundesrepublik anders war.

Fragen Sie sich auch, wie stark eine italienische Präsenz in ihrem Leben war, womöglich in Schülerzeiten, Studentenjahren, der Ausbildung oder prinzipiell in der Zeit vor ca. 2000.

Fragen Sie sich, welchen politischen Einfluss die italienische Präsenz auf den deutschen Alltag ausübte, als sie um 1970 den größten Ausländeranteil stellte.

Fragen Sie sich, warum man damals noch unproblematisch von „Ausländern“ statt von „Migranten“ sprechen konnte.

Fragen Sie sich, ob der Doppelpass der darauffolgenden Deutsch-Italiener irgendeine Auswirkung auf die Integration der hier lebenden Italiener hatte.

Fragen Sie sich, warum die Italiener, die als Gastarbeiter nach Deutschland auswanderten, Kinder bekamen und in großer Zahl vorhanden sind, bis heute keinen Zentralrat der Italiener brauchen, obwohl selbst 2015 ca. 600.000 Italiener ohne deutschen Pass hier leben (das sind immerhin mehr Italiener, als es SPD- oder CDU-Mitglieder in Deutschland gibt).*

Fragen Sie sich, warum es zur Begrüßung der ersten türkischen Gastarbeiter ein großes Jubiläum in Würzburg gab, inklusive Streit, aber beides bei der italienischen Minderheit nicht.

Fragen Sie sich noch einmal, wann Sie zum letzten Mal im öffentlichen Leben die italienische Minderheit wahrgenommen haben, abgesehen von einem möglichen Restaurant-, Friseur-, oder Eisdielenbesuch.

Fragen Sie sich, warum mittlerweile Pizzerien nicht mehr zwangsläufig von Italienern betrieben werden.

Fragen Sie sich, welche Partei eine Bevölkerungsgruppe früher gewählt hat, die „strunzkatholisch“ ist.

Fragen Sie sich, ob sich das Wahlverhalten eines italienischen Fließbandarbeiters grundsätzlich von dem eines deutschen Fließbandarbeiters unterscheidet.

Fragen Sie sich, ob der Anteil der Grünen-Wähler unter Bionadedeutschen höher ausfällt, oder unter einer Bevölkerungsgruppe, die aus einer katholischen, patriarchalischen und kulturell-traditionellen Region wie beispielsweise Sizilien stammt.

Fragen Sie sich, ob bei so vielen Restaurantbesitzern, Friseuren, Barbieren und Eisdielenbetreibern wirklich die Meinung vorherrscht, staatlich geführte Unternehmen seien eine gute Idee.

Fragen Sie sich nochmals, ob der Doppelpass per se eine schlechte Idee ist, oder doch nicht eher, wem Sie diesen erteilen.

Fragen Sie sich ein drittes Mal, wie stark die Italiener in der Öffentlichkeit stehen, wenn sie nicht gerade zu blöd zum Wählen sind.

Fragen Sie sich, warum das so ist.

Fragen Sie sich, warum die Zahl der Italiener in Deutschland langfristig eher abnimmt.

Fragen Sie sich, warum in Südeuropa eine Wirtschaftskrise herrscht, und Deutschland lieber auf fatamorganesque Facharbeiter aus dem Morgenland setzt.

Fragen Sie sich, warum immer mehr Italienstämmige nach Italien zurückwandern, trotz Krise – und ob das mit dem Bild des „besten Deutschlands aller Zeiten“ zusammenpasst.

Fragen Sie sich, wie ein 1960 zugewanderter Kalabrese – der Zeit seines Lebens gearbeitet hat, ohne „Willkommenskultur“ und Taschengeld – sich fühlt, wenn er nun Jugendliche einwandern sieht, die gewissermaßen von seinen hart erworbenen Sozialgeldern leben, ohne je einbezahlt zu haben.

Fragen Sie sich, ob aus dieser Geschichte heraus sein Unmut gegen die neuerliche Migrationskrise sogar noch größer sein könnte, als bei manchen Autochthonen.

Fragen Sie sich, ob die Loyalität der in Deutschland lebenden Italiener seit der neuen Doppelpassregelung gegenüber Deutschland abgenommen hat.

Fragen Sie sich, ob es in Italien eine Debatte über deutsche Doppelstaatler gibt und wie diese geführt werden würde.

Fragen Sie sich, ob ein Stück Papier etwas über ihre Deutschkenntnisse, ihre Bejahung der Trennung von Staat und Religion und ihren Geschmack bezüglich Frauenmode aussagt.

Fragen Sie sich, ob solche Scheindebatten den Kern treffen, wenn jeder weiß, um welche Migrantengruppe es in Deutschland bei der Diskussion wirklich geht.

Noch einmal: fragen Sie sich, wann Ihnen in der deutschen Öffentlichkeit, ob in der Straße, im Fernsehen, oder in ihrem Bekanntenkreis die italienische Minderheit aufgefallen ist.

Fragen Sie sich auch manchmal: „Wo sind all die Italiener hin…?“

Fragen Sie sich, ob das eine gute Entwicklung ist, auch im Angesicht des Wachsens anderer Migrantenblöcke.

Fragen Sie sich, ob „Migranten“ ein fester Block sind, und Italiener bzw. Polen gerne mit Türken in einen Topf geworfen werden, so, als wäre ein „Migrationshintergrund“ ein gleichmachendes Instrument.

Fragen Sie sich, ob nicht auch da die Krankheit der Gleichmacherei absurde Blüten treibt.

Fragen Sie sich, warum Polen, Italiener, Griechen, Spanier, Portugiesen etc. pp. in Deutschland jetzt das ausbaden sollen, was die Kanzlerin verbockt hat, indem man letzteren ihr Wahlrecht streitig machen will.

Fragen Sie sich, ob Sündenbockpolitik – die lieber über Nebenfelder parliert, statt das Hauptproblem zu bekämpfen – nicht womöglich ein Typikum dieser Kanzlerin ist.

Fragen Sie sich, wie patriotisch eigentlich diese Kanzlerin ist.

Fragen Sie sich, ob man unter diesem Gesichtspunkt nicht eher Frau Merkel, CDU-Vertretern und ihren medialen Unterstützern den deutschen Pass aberkennen sollte, statt einer vornehmlich gut integrierten Migrantengruppe, die nachweislich dieses Land wirklich um einige Nuancen (insbesondere hinsichtlich der Küche) bereichert hat, statt es in die Katastrophe zu führen.

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*Italienischstämmige mit deutschem Pass nicht einberechnet.

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