Vom Schleimkritiker zum Oberschleimer

29. März 2016
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | FAZ-Kritik | Freiheit | Ironie | Linkverweis | Medien

Wer die FAZ kennt, dem dürfte der Name Volker Zastrow vertraut sein. Sein größter Wurf war der damalige Einwurf in die Sarrazin-Debatte. Zastrow empfand die politische Korrektheit als unerträglich und verfasste einen Beitrag, der nicht nur auf FAZ.NET zu einem der meistgeteilten und bestbewerteten Artikel gehörte. Wir halten fest: das ist mehr als fünf Jahre her. Die Zeilen sind jedoch zeitlos. Sie beklagen das unterentwickelte deutsche Freiheitsgefühl; außerhalb der diktierten Meinung seien Einwürfe ohne allgemeine Gegenmobilmachung nicht möglich. Wer die Wahrheit benennt, lebt nicht nur gefährlich, er sieht sich einer Kohorte von Nacktschnecken ausgesetzt, die auf dem eigenen Schleim Karriere machen.

Es sind Wortkriege in Schleimsprache: Man kann nicht „ertragen“, dass einer was sagt oder mit am Tisch sitzt, es ist „nicht hilfreich“, wenn einer ein Buch schreibt. Nicht hilfreich, nicht zu ertragen, so lauten soziale Todesurteile unter den Nacktschnecken, die auf der eigenen Schleimspur Karriere machen, nach oben, ganz oben.

Wie wunderbar schneckisch diese Erklärung des Merkel-Sprechers, es ist gut, einvernehmliche Regelung, endlich in Ruhe, wichtigen Aufgaben. Der Bundespräsident höchstselbst presst einen Bundesbankvorstand aus dem Amt, Rechtsgrundlagen: nicht nötig, zum Schluss wird geschmiert. Es ist nur noch widerlich, würdelos, pflichtvergessen.

Im Milieu der Schnecken sind Säure und Seife nicht artgerecht, was ätzt oder klärt, wirkt schleimlösend. Aber wie immer ist es zu einfach, alles auf die Politik zu schieben. Deutschland hat kein Verhältnis zur Freiheit. Es straft Meinungen mit Berufsverboten, mit der öffentlichen Todesstrafe, dem Ruf-Mord. Schon vor Jahrzehnten, am Bundestagspräsidenten Jenninger, wurde demonstriert, dass nicht zählt, was einer gemeint hat, sondern ob man es ihm erfolgreich verdrehen kann, gern bis ins Gegenteil über allen Anstand hinaus. Dazu passt, dass nahezu jeder, bis ins Privateste, mit der Überzeugung durch die Gegend zu kriechen scheint, seine Gefühle seien Heiliges, das nie und nimmer verletzt werden dürfe – der heilige Schleim. Wir lieben es nicht, das offene Wort, den Freimut, die Ehrlichkeit. Nicht privat, und öffentlich erst recht nicht. Da gilt Null Toleranz. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, aber bitte ph-neutral.

Der Abschnitt soll Lust machen, den gesamten Kommentar zu lesen; es lohnt sich. Denn vieles hat nichts von seiner Aktualität verloren. Noch immer glaubt man sich vom triefenden Schleim umgeben. Die Themen haben sich teils gewandelt, das Symptom bleibt dasselbe.

Was also hat Zastrow heute zu sagen? Beängstigendes. Nicht, weil er dem heutigen Merkelismus in seiner gesteigerten Turbostufe den Krieg erklärt hätte. Sondern weil er sich seit seinem ebenfalls vielbeachteten Kommentar zu Pegida und AfD völlig in die Reihen des noch ein halbes Jahrzehnt zuvor bekämpften buntesrepublikanischen schwarz-rot-grünem Korps einreiht. Zastrow: die neuen Rechten sind eine neue völkische Bewegung, die Elemente einer Bürgerkriegspartei beinhalten. Starker Tobak. Nicht etwa Deutschlands Freiheitsdefizite sind das Problem, sondern diejenigen, die sie in Frage stellen. Wenig verwunderlich, dass der Artikel weniger bei den Lesern, als vielmehr bei den Kollegen der Medienschaffenden gut ankam.

Der Leser durfte – anders als vor fünf Jahren – nicht einmal kommentieren. Freiheit? Freiheit der Journalisten, darüber zu bestimmen, wer sie kritisieren darf.

Der Fall Zastrow hat in jüngster Zeit eine neuerliche Stufe erreicht, was die Anbiederung an den real existierenden Merkelismus betrifft, liest man sich den diesen Monat erschienen Artikel zum Türkei-Deal durch. Da lesen wir Lobeshymnen wie:

Nun widerlegt das einstimmige Ergebnis des Brüsseler Gipfels die Behauptung, Merkel sei in Europa isoliert. Es ist außerdem ein Ergebnis, das die Kanzlerin, wie ihre Äußerungen in dieser Sache bezeugen, stets angestrebt hat.

Sie hat das unmöglich Scheinende möglich gemacht und ihr erstes maßgebliches Zwischenziel erreicht, nämlich eine Übereinkunft mit Ankara, die Voraussetzungen dafür schaffen soll, wieder zu geordneten Verhältnissen an den europäischen Außengrenzen zurückzukehren.

Wenn man verstehen will, warum gerade der FAZ und vielen anderen Leitmedien die Leser weglaufen, und sich so manch einer fragt, warum das dumme Volk an eine irgendwie geartete „Selbstgleichschaltung“ des Medienapparates glaubt, muss nur einmal diesen Wandel vom merkelkritischen Saulus zum neuen Regierungssprecher in spe ansehen. Es ist einfach Wahnsinn, was sich vor unseren Augen tut. In wenigen Worten wird nicht nur die „Theorie“ einer deutschen Isolation widerlegt, nein, es ist ein Beweis für Merkels Plan, Standfestigkeit und vor allem: das Möglichmachen von Unmöglichen. Ein Osterwunder, gewissermaßen.

Scheint, als schleife Zastrow auf der eigenen Schleimspur, im Glauben an einen Nacktschneckenmessias.

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