Francesco Hayez: Meditazione sulla storia d’Italia (1850)
Wie gut, dass ich auf keiner katholischen Bloggerliste stehe – denn die Dame trägt nicht einmal einen Bikini!
Spaß beiseite. Ganz abgesehen davon, dass ich die in Deutschland bei Katholiken verbreitete, beinahe schon protestantische Prüderie nicht verstehen kann – in den überwiegend katholischen Gesellschaften Italiens und Frankreichs war Nacktheit irgendwie nie so ein großes Thema (sieht man von einigen manieristischen Gegenbewegungen ab), außer, der iranische Ayatollah schaute vorbei – ist es doch bezeichnend, wie sich in dieser „Meditation über die Italienische Geschichte“ von Francesco Hayez all das urspezifisch Italienische mischt, was man sich vorstellen kann: ein Geschichtsbuch, das für die Würde und die Kultur Italiens steht; ein Kreuz, das den italienischen Katholizismus symbolisiert; und eben eine schöne Frau. Das nennt man die Symbiose der Ästhetik.
Hayez war – man mag es vom Namen her kaum glauben – Venezianer, und für seine Historiengemälde und Portraits im 19. Jahrhundert bekannt. Der Nachname erklärt sich durch seinen französischstämmigen Vater; die Mutter war dagegen gebürtige Muranesin. Seine Bilder sind Romantizismus pur, verklären oftmals große Episoden der italienischen Geschichte, und führten somit zu seinem Ruhm als Nationalmaler des Risorgimento, eben jener Zeit, in welcher die italienische Einheitsbewegung entstand.
Allerdings steht auch die „Meditazione“ eben nicht allein. Der Blick der Dame, die man durchaus als Personifikation Italiens verstehen kann, spricht Bände. Die Augen gesenkt, liegt da ein Hauch Melancholie in tiefem Augenschwarz. Eben jenes Gefühl der Niederlage Italiens, das damals als fremdbeherrscht galt. Andererseits ist dort jene Regung des Erwachens; keine Resignation, sondern ein Warten auf den Augenblick. Warten auf den Moment, in dem man doch wieder aufstehen kann. Wann jedoch dieser historische Moment kommt, an dem man sich im Bewusstsein der eigenen Geschichte doch noch einmal aufrafft, das bleibt die unbeantwortete Frage. Italien ist gebeutelt, aber es lauert auf seine Stunde. Unermüdlich.
So verblüffend es sich anhört: aber es ist gewissermaßen die italienische Antwort auf den spitzweg’schen Zeitungsleser der letzten Woche. Beide Bilder sind Reaktionen auf die niedergeschlagene Märzrevolution. Bei Spitzweg steht die Zensur und der Freiheitsgedanke im Vordergrund; der Zeitungsleser liest in seinem Gärtchen eine verbotene Zeitschrift, ist also im inneren Widerstand. Italien aber traf es weit härter: Deutschland war zwar nicht vereint, stand jedoch wenigstens nicht unter fremder Herrschaft. Das Gefühl der Ohnmacht wiegt daher im Bild weitaus schwerer. Hier geht es um Freiheit im Sinne der Unabhängigkeit; und im Gegensatz zum gemütlichen Deutschen erscheint die personifizierte Italia ohne Krone weitaus eher zum Kampf bereit. Eben weil man sie 1848/1849, im Zuge der österreichischen Intervention in Norditalien, so gedemütigt hatte. Wie Spitzweg musste Hayez hier seine Kritik tarnen. Die Botschaft aber war für die Zeitgenossen offensichtlich.
Obwohl Deutsche und Italiener mental manchmal meilenweit entfernt liegen: Freiheit, und der Verlust derselben, ist ein Thema, das beide Völker immer wieder vereint. Immer wieder muss sie neu errungen werden. Und immer wieder erfahren beide Völker ein immanentes Scheitern. Die Revolution von 1848 misslang in beiden Ländern; die autoritären Regimen des europäischen Kontinents wahrten ihre Macht und Deutungshoheit. Das spricht jedoch weder das eine, noch das andere Volk davon frei, es immer wieder zu versuchen.
Denn Märzluft… Märzluft tat Europa immer gut. Und macht frei.