Die folgende Erzählung entstammt den Euganeischen Anekdoten.
Ein Gast besuchte das Haus des Schriftstellers Gabriele D’Annunzio in Gardone, welches der Künstler zu einem prachtvollen Anwesen mit allerlei Kuriositäten ausgebaut hatte. Dort empfing ihn ein Herr, der ihn in den Sälen und Gängen herumführte. Zuerst trat er in die Bibliothek ein, mit tausenden Bänden und zugestellt mit Büsten, Gemälden und anderen Antiquitäten. Dass der Herr dabei über D’Annunzios literarisches Schaffen philosophierte, bemerkte der Gast kaum, zählte er doch die wertvollen Manuskripte, Handschriften und alten Wälzer.
Im spirituellen Raum des Meisters rezitierte der Herr ein Gedicht. Der Gast konnte sich kaum konzentrieren: überall sah er exotische Statuen aus Asien und Afrika, daneben Madonnenbilder, Engel und Markuslöwen, die ihn ablenkten. Als sie den Raum verließen, glaubte er, nicht einmal ein Viertel dessen wahrgenommen zu haben, was dort wirklich stand.
Ähnliche Szenen wiederholten sich, da der Herr von der Entstehungsgeschichte eines Dramas erzählte, der Gast stattdessen die kunstvollen Gläser des beginnenden 20. Jahrhunderts, die Portraits von D’Annunzios Geliebten, ein Foto seiner Windhunde und seines Rennwagens staunend zur Kenntnis nahm, oder ein Jugendstilfenster im Esszimmer bewunderte.
Zuletzt nahm er baff zur Kenntnis, dass D’Annunzio über eine Kollektion von 300 handgefertigten Schuhen verfügte.
Der Herr bemerkte die Abwesenheit, blieb stehen, und drehte sich zum Gast:
»Und, was halten Sie von D’Annunzios Werk?«
Der Ton erschien dem Gast etwas gereizt. Dennoch antwortete er offen:
»Wissen Sie, ich kann mit D’Annunzios Büchern, Dramen und selbst seinen Gedichten sehr wenig anfangen. Ich sage es Ihnen frei heraus: zum Künstler D’Annunzio finde ich keinen Zugang.«
Er machte eine Pause, und schaute fasziniert zu einem Bild des Künstlers, der vor einem Jagdflugzeug posierte:
»Aber die Person D’Annunzio, die bewundere ich.«