Der neue Soundtrack von John Williams ist eine Enttäuschung – das vorweg. Ich will den Altmeister gar nicht kritisieren; man erwartet einfach zu viel. Dass Williams bereits bei Tim und Struppi mich größtenteils unbefriedigt ließ, habe ich andernorts schon ausgeführt. Die letzten überzeugenden Soundtracks waren – für mich – noch jene der Harry Potter Filme. Da sang der Phoenix, da flog die Eule, da weinte die Vergangenheit. Natürlich hat sich Williams immer an Vorbildern bedient; aber kann es so falsch sein, sich hier vornehmlich auf Tschaikowsky (versetzt mit einigen dvořákschen Tönen) und Konsorten zu stützen? Wenn ich mich schon an jemanden orientiere, dann doch immer an den besten!
Es ist daher auch unmöglich, nun von Williams wieder die Originalität zu erwarten, die er in seinen Glanzzeiten besaß. Williams hat die Welt mit dem Eröffnungsthema zu Star Wars, mit der Erkennungsmelodie von Indiana Jones, mit dem Weißen Hai, mit E.T. und Jurassic Park bereichert. Aber daneben existierte immer eine Vielzahl von Stücken, die Perlen blieben, die aber im strahlenden Licht der Hauptelemente kaum beachtet wurden. Dazu zählen der oben erwähnte Phoenix Fawkes aus der Kammer des Schreckens und das Fenster zur Vergangenheit aus dem Gefangenen von Askaban.
So besteht der neue OST zu Star Wars VII: Das Erwachen der Macht leider (wie auch der gesamte Film) nur aus Reminiszenzen, mit ganz wenigen Neuerungen. An sich wäre das nicht schlecht; aber allein, auch die Wiederholungen mögen nicht wirklich gefallen. Wie der Film selbst steht der Soundtrack unter dem Motto: keine Experimente. Es existiert nur eine einzige Ausnahme, nämlich das wundervolle Thema der Protagonistin Rey. Es wird zum eigentlichen Hauptthema, das auch beim Schauen des Films eingängig bleibt, an das man sich erinnert, das man wieder hören will; bereits beim ersten Kontakt damit stellte sich bei mir ein ganz wohliges Gefühl ein.
Im Nachhinein betrachtet wusste ich bereits wieso: es war – wie der gesamte Film – ein déjà-vu. Die Töne kamen mir bekannt vor. Deshalb wollte es nicht aus meinem Kopf gehen. Diese Komposition aus sanfter, weiblich angehauchter Lyrik, Aufbruch und Abenteuer ließ mich deswegen nicht los, weil ich rastlos nach ihrem Grund suchte. Copland, Dvořák, Prokofiev kamen mir direkt in den Sinn.
Ich sollte mich nicht völlig irren.
Die Melodie ist stark verwandt mit dem irischen Thema aus Dvořáks 9. Sinfonie, „Aus der Neuen Welt“. Man höre sich nur einmal die Stelle im ersten Satz an. Dass mir daher Rey sofort zu Herzen ging ist kein Zufall. Die „Neue Welt“ des großen Böhmen ist eine meiner prägendsten Musikerfahrungen. Über sie lernte ich den Dirigenten Claudio Abbado kennen und schätzen; über sie erhielt ich immer wieder Inspiration. Sie begleitete mich durch das gesamte Löwenbuch des Milione, sowohl im Jahr 2004, als auch im Jahr 2013. Müsste ich fünf Werke nennen, die meine Beziehung zur klassischen Musik umreißen, so wäre „Aus der Neuen Welt“ mit Sicherheit darunter.
Ähnliches gilt für Prokofievs Ballet „Romeo und Julia“. Auch dieses hatte ich einige Zeit lang sehr intensiv gehört und mich mit der Entstehung, den verschiedenen Versionen und dem shakespearschen wie bandinellischen Urstoff beschäftigt. Einige Melodien sind mir bis heute ins Gedächtnis eingebrannt. So auch dieses Abklingen von Romeo und Julias Abreise, welches atmosphärisch einem Grundgefühl von Rey sehr nahe kommt. Da ich insbesondere Laura mit dieser Musik verbinde, und es auch einige charakterliche Gemeinsamkeiten gibt, fühle ich mich auch in diesem Falle unterbewusst erinnert.
Rey’s Theme ist bereits jetzt ein sehr wichtiges Stück als Begleitung für mein derzeitiges Projekt geworden, an dem ich arbeite; auch hier passt es zu einem weiblichen Protagonisten. Dabei spielen Uhren eine wichtige Rolle. Man sollte daher nicht überrascht sein, wenn nun auf diese klangfarbenreiche Sprache von Williams nun eher der bass- und orgeltönende Zimmer folgt. Wie angemerkt, bin ich auch mit Interstellar kaum einverstanden. Dennoch, wenn man wirklich einen Uhrschlag haben möchte, der das Universum erbeben lässt, und von Alpha Centauri bis zum Andromeda-Nebel mit seinem Pendel schlägt, kommt man über den vielsagenden Titel Tick-Tock nicht herum. Da dröhnt etwas im Untergrund; etwas Großes, von dem man noch nicht so recht weiß, ob es furchtbar oder wunderbar ist. In all seiner Gravität; in all seinem unermesslichen Klang, der raumfüllend um sich greift, sich steigert, und nach allen Enden ausstreckt. Aus dem physikalisch-naturwissenschaftlichen Universum wird hier unfassbar übersteigerter Mythos der Unendlichkeit; aus dem monotonen, einfachen, nichtigen Schlag der Herzschlag der Welt; aus diesem plumpen Mechanismus speist sich der Aufbau des ganzen Alls.
Neben diesem Grundgedanken, was Zeit, was Raum ist, kehren wir zurück zu Sherlock Holmes: Ein Spiel der Schatten, in dem wir ebenfalls auf ein Tick-Tock stoßen. Aber eines, das uns sagt, dass die Zeit verrinnt, dass wir unter bedrohlichem Stress stehen, dass Zeit nicht wächst, sondern uns Zeit genommen wird – vermutlich auch Lebenszeit. Eignet sich natürlich für dramatische Gelegenheiten wie Verfolgungsjagden oder auch gefährliche Situationen, die man verhindern muss.
Und wie könnte ich ein Thema über Uhrschläge anfangen, ohne auch nur mit einem Wort Josef Haydns Uhr zu erwähnen? Ja, beschwingte, klassische Töne nach dem epischen Zimmer-Gedröhne.
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Im Übrigen, da fällt mir ein: am 3. Februar 1809 wurde Mendelssohn-Bartholdy geboren. Ein Hinweis auf meine Wertschätzung erübrigt sich. In meiner Hommage hatte ich dazumal alles verlinkt, was ich an ihm wertschätze – bis auf eine Ausnahme. Die Ouvertüre zum Sommernachtstraum soll daher hier nachgeholt werden.