Nachtrag zu „Geschichte eines Gesetzes“

24. Januar 2016
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Carl Schmitt | Freiheit | Historisches | Lesermeldung | Tichys Einblick

Geschichtswissenschaft lebt auch von Literatur und nicht nur von Quellen, heißt: auch die Gedanken anderer können belebend bei der Betrachtung eines Gegenstandes sein, um diesen besser zu deuten.

Ich hatte daher kürzlich den § 130 des StGb aus historisch-ironischer Sicht zu betrachten versucht. Theodred merkte in den Kommentaren an, ein Vergleich mit italienischen Regelungen wäre nicht schlecht; auch hier spricht natürlich der Historiker, denn Vergleich mit gleichwertigen Quellen ist selbstverständlich ebenso ratsam wie das Einholen anderer Meinungen per se. Ein Unternehmen im Übrigen, das mich immer noch reizt.

Nun denn. Ich hatte ja in meinem Beitrag bereits die beiden Einträge der 60er und 70er mit denen der 2015er verglichen. Dabei fiel einem kundigem Leser ein kleiner Absatz auf, der selbst mir entgangen ist – eben weil die letzte Revidierung so lang und unübersichtlich war, dass es schon schwer fiel, die gesamte Quintessenz zu fassen.

Bei der entscheidenden Ergänzung handelt es sich um folgende:

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Nummer 1 und 2, auch in Verbindung mit Absatz 5, ist der Versuch strafbar.

Das ist natürlich harter Tobak. Ich habe mir darauf nochmals das Gesetz vom März 2011 angeschaut, das ich in der Kollektion überging. Diese Regelung gab es im März 2011 noch nicht und ist brandneu im Januar 2015 eingeführt worden.

Nun ist also nicht mehr die Störung des öffentlichen Friedens selbst, sondern bereits der Versuch der Störung strafbar. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Der Facebook-Justizminister lässt grüßen.

Mit einer Quelle dieses Grades würde der Historiker nochmals einen qualitativen Sprung des repressiven Regimes auf deutschem Boden zwischen 2011 und 2015 vermuten. Dazu auch ein Beitrag bei Tichys Einblick.*

Bereits dort hatte ich in den Kommentaren eine Lesermeinung verfasst. Die Ereignisse holen einen wie immer ein.

Ich gebe daher zu bedenken: das alte politikwissenschaftlich-realistische Diktum, das Machiavelli und Hobbes vorgedacht, und Schmitt dann formuliert hat, lautet: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand verfügt.

Gilt es schon als Versuch der Störung des öffentlichen Friedens, wenn ich die Merkelrepublik karikierend als repressives Regime bezeichne? Grande San Marco…

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*Wo ich bereits folgendermaßen kommentierte:

Das alte politikwissenschaftlich-realistische Diktum, das Machiavelli und Hobbes vorgedacht, und Schmitt dann formuliert hat, lautet: “Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand verfügt”.

Nichts trifft die derzeitige Situation besser. Denn: auch, wer den Ausnahmezustand entfacht, macht sich zum Souverän. Die Exekutive hat in diesem Land längst die Führung übernommen, auch dank einer Großkoalition ohne nennenswerte Opposition. So braucht es auch keinerlei Notverordnungen von Reichspräsidenten Gnaden. Selbst wenn die Entscheidungen Merkels zur Abstimmung kämen – niemand hätte mehr den Schneid bei CDU/SPD diesen zu widersprechen. Siehe ESM.

Der normative Zustand des Faktischen existiert schon seit einigen Jahren, er wurde aber bisher nie in klare Worte gefasst. Wir sind längst den Weg von legaler zu charismatischer Herrschaft übergegangen. Ja, Frau Merkel ist eine Charismatikerin. Es hat nur niemand verstanden, weil eben nicht die schönsten und klügsten, sondern die mittelmäßigsten und normalsten zu Identifikationsfiguren werden, weil 90% der Menschen langweilig und mittelmäßig sind. Sie ist der Heilsgestalt der normalen, der nicht so schönen, der nicht so klugen, aber träumenden Romantiker. Das erklärt insbesondere die mit ihr sympathisierende, aber niemals sie wählende grüne Klientel.

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