Ewiggestrig

23. November 2015
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Medien

Ich höre und lese in letzter Zeit immer wieder das Adjektiv „ewiggestrig“ oder das Substantiv „Ewiggestriger“ (ein Schelm, der dabei denkt, es passiere nur, wenn ich auch in der Nähe bin). Meistens beinhaltet das Wort einen leicht negativen oder beleidigenden Unterton.

Je mehr ich aber über das Wort nachdenke, desto merkwürdiger finde ich die Überlegung, wie man dieses Wort negativ aussprechen kann.

Zuerst einmal sagt es über den Benutzer weitaus mehr aus, als über den Adressaten. Da steckt nämlich das Urteil drinnen, dass „gestrig“ prinzipiell schlechter ist als – sagen wir – heute oder morgen. Das ist natürlich bereits in der Theorie ein spektakulärer Fehlschluss, da ich wenigstens weiß, was gestern war, über heute aber nur geringe, und für morgen gar keine Prognosen abgeben kann.

Der Unterton, dass etwas Neues besser sei als etwas Altes, schwingt da deutlich mit. Aber mit welchem Recht? Wie schon oben erwähnt: neu ist eben nicht automatisch gut. Wer mal genauer darüber nachdenkt, dem wird auffallen, dass das schon bei handelsüblichen Gebrauchsgegenständen anfängt. Stichwort: Haltbarkeit, Garantie und Wegwerfgesellschaft. Sachen, die lange halten, sind meistens von gestern. Die Sachen, welche morgen bereits kaputt sind – dagegen meist von heute.

Ein Ewiggestriger hält sich also eher an das, was sicher, realistisch und messbar ist, eben das, was passiert war, und über das man sich ein Urteil erlauben kann. Insofern ist der Ewiggestrige also jemand, der sich an etwas hält, worauf Verlass ist.

Was ist daran schlecht? Wie kann ich ein Ewigmorgiger sein, und dauernd hoffen, es kommt so, wie ich es will? Das grenzt doch an grenzenlose Realitätsferne und Naivität. Und der Ewigheutige? Lebt nur im Jetzt? Also jemand wechselhaftes, ohne Anker? Ob das nun besser sein soll, ist doch rein subjektiv…

Es ist überhaupt ganz klar, dass nur der Gestrige „ewig“ bzw. ewiggestrig sein kann, weil er ja bereits weiß, was Bestand hat. Ohne das ist „Ewigkeit“ schwer messbar. Wie will ich über einen Zeitraum, über den ich keine Kenntnis habe, eine Aussage tätigen oder ein Prinzip ableiten? Das geht nur für einen abgeschlossenen Zeitraum. Alles in allem erscheint es mir bodenständiger, mit dem Kopf in der Vergangenheit zu bleiben, und von dortigen Ereignissen etwas abzuleiten, statt über die Zukunft zu theoretisieren.

Ganz abgesehen davon, dass „Ewigkeit“ für mich ein sehr schönes Wort ist. Mit „ewig“ lasse ich mich doch gerne titulieren. Schließlich geht es auch dem Ewiggestrigen um ewige Werte, und nicht um Zeitgeist und Moden.

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