Der 9. November bleibt der Schicksalstag der Deutschen, und für mich – da kann man mich belehren wie man will, als Italiener stehe ich dazu und damit: basta! – auch der gefühlte Nationaltag. Meine Anfeindung gegen den 3. Oktober resultiert nicht zuletzt daher, weil er nur einen bürokratischen Akt feiert. Da ist nichts Mythisches, nichts Greifbares, nichts Menschliches. Über den 9. November kann man erzählen. Über den 3. Oktober nicht.
Natürlich lastet dem Datum auch ein gewisser Ruch an. Aber: das ist nun einmal menschlich! Wer sich nur auf das Schlechte konzentriert, wird auch nur das Schlechte sehen. Aber dazu ist es ja auch da: um daraus zu lernen. Gerade die Dramatik, gerade das Tragische machen doch das Datum erst so faszinierend. War denn nicht auch der vormalige Feiertag, der 17. Juni, ein „gescheiterter“ Moment der Weltgeschichte? War dieser nicht in letzter Hinsicht auch eine ganz fürchterliche Erfahrung für die Beteiligten, die gegen ein menschenverachtendes Regime auf die Straße gingen, und einige dafür mit Blut und Leben bezahlten? Muss es wieder schön-deutsch-gemütlich sein? Bloß nicht anecken, bloß nichts Falsches sagen!
Da fällt einem ein: erinnert sich überhaupt noch wer an den Aufstand des 17. Juni? Ich glaube, kein Feiertag eines Landes ist so sehr in Vergessenheit geraten wie dieser.
Von den vier berühmten Ereignissen, die wieder vom Mediensauhirten durchs Propagandadorf gehetzt werden, können nur die von 1938 als durchweg schlecht gelten. Der Ludendorff-BöhmischerGefreiter-Putsch geschah zwar an diesem Tag – aber er wurde niedergeschlagen! Und wenn man nicht gerade Anhänger der preußischen Monarchie ist (ja, solche soll es geben) kann auch der 9. November 1918 als ein positives Ereignis gewertet werden. Von der Maueröffnung ganz zu schweigen.
Abgesehen von 1938 ist jedes dieser Schlaglichter der Geschichte eines der Freiheit; denn beim Putsch in München 1923 wehrt sich die Demokratie (noch). Ich verstehe nicht, wieso das einigen nicht in die Köpfe reingeht. Die NSDAP wurde an dem Tag faktisch aufgelöst. Dass sie 16 Jahre später die Läden und Gotteshäuser der Juden einschlägt oder verbrennt, ist daher zwar umso bitterer, aber der 9. November sagt uns daher auch: es hätte anders kommen können! Insofern ist „Schicksal“ hier auch nicht als unabänderlich zu verstehen, sondern als Wegmarke im Verlaufe der Geschichte eines Landes und eines Volkes.
Und statt wieder die Kanten zu glätten, sollten sich hier einige auf den faustisch-extremen Geist besinnen. Der 9. November zeigt mal wieder das Beste und Schlechteste.
Dazu gehören auch zwei weitere Ereignisse, die ebenfalls am 9. November stattfanden, aber nicht dieselbe Beachtung finden. Wie schon eingangs geschrieben: über den 9. November kann man erzählen.
Damit zu den Euganeischen Anekdoten, meinem laufenden Projekt. Zum Anlass des Datums gibt es davon zwei, eine heute, eine morgen. Insgesamt wäre ich gerne deutlich weiter. Ich bin nicht ganz zufrieden, wie ich einige Dinge verschleppt habe. Von den 100 Geschichten wollte ich Anfang November etwa 70-80 haben, es sind nunmehr eher 60. Ob ich das selbst gesteckte Fristende am 1. Dezember einhalte – sehr schwierig! Da müsste ich zwei am Tage schreiben. Nicht unmöglich, sogar durchaus zu schaffen; die Frist rückt dennoch bedrohlich nahe.
Ich muss zu meiner Verteidigung sagen, dass mich einige der längeren Geschichten auch aufgehalten haben; in ihrer Länge sind die Geschichten nämlich durchaus variabel. So ist es natürlich einfach, drei oder vier Anekdoten zu 200 Worten rauszuschütteln, wenn man Lust, Zeit und Idee hat. Wenn allerdings die Erzählung gewollt größer wird – das Hermelin von Cannelloni ist ein Beispiel – sitzt man eben auch mal zwei Tage dran. Ich halte 1.000 Worte für eine angenehme Größe, streue aber auch kleinere Anekdoten ein (wie der Hund des Odysseus), denn die Länge hat nichts mit Qualität zu tun. Pro Kapitel gibt es aber mindestens eine, manchmal zwei Anekdoten, die deutlich aus dem Rahmen fallen, und mehr als 2.000 Worte fassen. Die längste hat sogar 6.000. Da die meisten dieser Erzählungen aber abgeschlossen sind, könnte es durchaus sein, dass es nun wieder schneller vonstattengeht.
Einige Ergebnisse kann man ja immer wieder hier sehen.
Zuletzt: der 9. November ist nicht nur ein Tag der Deutschen. Heute, vor 75 Jahren, führte Joaquín Rodrigo zum ersten Mal das Concierto de Aranjuez auf. Eines meiner liebsten Stücke, wie schon in meinem Beitrag zu Schönberg als Gegenstück zu dessen Schaffen erwähnt. Allerdings: da ich sowieso nie genug davon bekomme, hier ist es noch einmal verlinkt.