Robert Blum

9. November 2015
Kategorie: Die Euganeischen Anekdoten | Freiheit | Historisches | Italianità und Deutschtum | Zum Tage

An einem Märztag des Jahres 1848 hielt der Kaiser von Österreich ein üppiges Bankett ab. Plötzlich unterbrach Lärm das Klirren von Geschirr und Besteck. Der Monarch wollte sich zuerst nicht aus der Ruhe bringen lassen, doch als die Stimmen draußen immer lauter wurden, warf er empört seine Serviette auf den Tisch, und begab sich zum Balkon. Zu seiner Verwunderung bemerkte er, wie eine Volksmenge mit Fahnen und Waffen vor dem Schloss stand.

»Kanzler, was machen die Leute da?«

Der Kanzler, der Fürst von Metternich, kam herbei. Ihm brach der Angstschweiß aus:

»Herr, die machen Revolution!«

Der Kaiser blickte erstaunt zur Menge, dann wieder zum Kanzler:

»Ja, dürfen die das denn?«

Das Ungeheuerliche war eingetreten: die Deutschen erhoben sich! Nicht nur in Wien, sondern in allen großen Städten: in Mannheim, in München, sogar in der preußisch-ordentlichen Hauptstadt Berlin. Ähnliches taten schon ihre Nachbarvölker, aber selbst die rieben sich verwundert die Augen. Dass die Franzosen alle paar Jahre ihren Herrscher vom Thron stürzten, seitdem sie einmal auf den Geschmack gekommen waren, erschien bereits als Gewohnheit. Und dass die Italiener der Fremdherrschaft überdrüssig waren, ebenso. Aber die Deutschen, die lieber in Innigkeit und Sehnsucht schwelgten, oder die heimische Gemütlichkeit lebten? Damit hatten die Monarchen, welche alle liberalen und demokratischen Bewegungen unterdrückt hatten, nicht gerechnet – zumindest nicht in dieser Wucht.

Bald mussten die Fürsten dem Volk nachgeben, wenn sie ihre eigene Haut retten wollten. Sogar der Preußenkönig behauptete, sein Land werde in einem neuen Deutschland aufgehen. Wie dieses Deutschland aber aussehen sollte, das wusste noch niemand so recht. Und wie es seit Urzeiten deutsche Sitte war – ob auf den mittelalterlichen Hoftagen oder auf dem Reichstag der Frühen Neuzeit – trafen sich die Abgeordneten der revolutionären Bewegungen erst einmal, um dies auszudiskutieren. Man hatte damit ja bereits reichhaltige, jahrhundertelange Erfahrungen gemacht.

Weil sich schon im 17. Jahrhundert die Gesandten des Reiches nie einigen konnten, hatte man dazumal den Reichstag für „immerwährend“ erklärt, damit er keine Beschlüsse mehr fällen musste.

Dasselbe sollte nun in Frankfurt passieren: in der Paulskirche versammelten sich Gelehrte aus allen Teilen des Deutschen Bundes, und vertraten ihren Kreis. Wie es bei Gelehrten aber oftmals war, kam es sofort zu Diskussionen und Unstimmigkeiten, besonders bei Details, weshalb sich die Debattendes ersten Parlaments in die Länge zogen – ganz in der Tradition aller guten deutschen Einrichtungen, vom Thing und Reichstag bis zum Stuhlkreis des 20. Jahrhunderts.

Aus der Menge stach dabei der Kölner Robert Blum aus den Reihen heraus: erstens, weil er aus dem gemeinen Volk stammte; zweitens, weil er ein geborener Redner war; und drittens, da er oftmals einen Kompromiss zwischen den Liberalen und Demokraten suchte. Blum bezeichnete sich selbst als „radikalen Demokraten“; radikal hieß wortwörtlich „von der Wurzel“. Blum war kein glühender Revolutionär oder Extremist, sondern er war damit ein „Wurzeldemokrat“, ein Demokrat durch und durch: die Freiheit des Eigentums, des Glaubens und der Presse bildeten für ihn unveräußerliche Grundrechte. Denn die Freiheit der Person selbst wog mehr als menschengemachte Gesetze und Fesseln, in welche die Monarchen die Deutschen gelegt hatten.

Obwohl Robert Blum diese Prinzipien bis zum Äußersten verteidigte, versuchte er stets, die Debatten nicht zum eigenen Vorteil auszunutzen, sondern konstruktiv und besonnen die Gräben zu überwinden, die sich immer wieder auftaten. Einmal kam es zum Streit zwischen Demokraten und Liberalen, weil letztere keine Fehler machen wollten; als die Demokraten forderten, die Revolution zur Not auch mit Waffengewalt fortzuführen, griff Blum ein. Er ermahnte die Liberalen, sich nicht in kleinen Schritten zu verlieren, und damit die Deutsche Revolution zu verspielen – belehrte aber auch seine eigenen Amtskollegen darüber, dass Gewalt niemals ein Mittel sein konnte, auch, wenn Sie in der Sache Recht hätten.

Nicht selten handelte Blum Kompromisse aus, wenn beide Seiten sich voneinander entfernten, selbst, wenn der Kölner damit seine eigene Meinung zurückstellen musste. Als einmal ein Vorschlag Blums zu scheitern drohte, zeigte er sich einsichtig, dass er zwar seine Meinung vertreten werde; doch sollte er damit das Wohl des Volkes gefährdet sehen, dann wollte er für den Beschluss stimmen, den die Mehrheit des Parlaments forcierte.

Was Blum aber sah, verstanden andere nicht, und verhedderten sich lieber in Wortklaubereien oder Nebenfeldern, statt die Hauptfragen der Deutschen Nation zu beantworten; woanders wollte keiner von seiner Position abrücken, was zur Blockade führten. Blum bemerkte bald, wie in den Monaten, welche die Abgeordneten die Debatten zubrachten, die Fürsten wieder ihre Heere bewaffneten. Der Kaiser von Österreich und der König von Preußen hatten die Märzrevolution nicht vergessen. Kaum, dass der revolutionäre Schwung im Sommer erschlaffte, und im Herbst wie altes Laub zu vermodern begann, machten die Gerüchte die Runde, die Monarchen wollten die Revolution niederschlagen. Blum ahnte, dass die Deutsche Einheit und die Deutsche Freiheit bald auf die Probe gestellt werden würden.

Im Oktober brach in Wien wieder eine Revolte aus. Die Bürger und das Militär lieferten sich Häuserkämpfe. Robert Blum übernahm persönlich den Auftrag der Frankfurter Nationalversammlung, um den Revolutionären eine Grußbotschaft zu senden – denn solange die Fürsten Deutschlands um ihre Macht fürchten mussten, blieben die Demokraten selbst mächtig. In Wien angekommen, zeigte er sich erschrocken über die Brutalität der kaiserlichen Soldaten. Alles, was dort geschah, bestätigte seinen Verdacht, dass man die Demokratie ersticken wollte, bevor sie begann. Der Abgeordnete beließ es daher nicht bei einer bloßen Grußbotschaft, sondern hielt eine Rede, die er an die Wiener adressierte:

»In Wien entscheidet sich das Schicksal Deutschlands, vielleicht Europas! Siegt die Revolution hier, dann beginnt sie von neuem ihren Kreislauf; erliegt sie, dann ist wenigstens für eine Zeitlang Kirchhofsruhe in Deutschland.«

Danach griff Blum selbst zu den Waffen und stieg auf die Barrikaden. Die Wiener feierten ihn als Fahnenträger der Freiheit, der voran ging und sie anführte. Ein Weggefährte dagegen, der Blum in der Paulskirche erlebt hatte, und daran erinnerte, dass Gewalt kein Mittel sei, stellte den Kollegen zur Rede. Der aber zeigte sich wild entschlossen:

»Zuerst nehmen Sie einem Recht frei zu sprechen; dann nehmen Sie einem das Recht frei zu denken; und zuletzt nehmen Sie einem das Recht frei zu leben!«

Genau so geschah es auch. Soldaten schlugen die Revolution nieder. Wieder herrschte die Zensur, wieder erließ man Denkverbote. Der General von Schwarzenberg verurteilte Blum nicht nur zum Tode; jemand wie Blum hätte „alles verdient“.
Die Hinrichtung erfolgte an einem 9. November, nur einem Tag vor Blums eigenen Geburtstag.

Die alten Griechen glaubten, dass die Vollendung eines Lebens sich darin zeigte, wenn man am eigenen Geburtstag starb. Nichts vermochte das Schicksal dieses aufrechten Demokraten besser zeichnen. Kurz vor dem Ziel scheiterte er – und mit ihm später die ganze Deutsche Revolution.

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