Ich verlebe derzeit wohl meinen angenehmsten Italienaufenthalt der letzten 6 Jahre. Einen Monat bin ich nun hier unten, und eigentlich habe ich keinerlei Lust zurückzukehren. Selbst die wahnsinnige Idee eines permanenten Rückumzugs drängt sich bei mir auf. Die Jahreszeit hat begonnen, in der ich morgens Pfirsiche und Trauben frühstücke (zudem Kirschen, weil gerade Saison ist). Und da es meine Verwandtschaft mal wieder viel zu gut mit mir meint, riecht die ganze Wohnung bereits beim Aufstehen nach Nektarinen und anderem Obst.
Wenn es für mich einen Duft des Sommers gibt, dann diesen.
Im Gegensatz zu sonst bin ich ausschließlich am See geblieben; der Aufenthalt in Verona war schon die weiteste Reise, sieht man von einer Rundfahrt über Gargnano, Riva und Affi zurück nach Salò ab, die aber eher unfreiwillig geschah (wegen des Rückstaus am 2. Juni war ich dazu gezwungen worden). Täglich zwei Stunden Spaziergang, meistens mehr; abends Besuch in Desenzano, Maderno, Salò, Peschiera oder anderswo, um Menschen zu analysieren.
Auch die Umgebung hat sich geändert. Vor zwei Jahren herrschte hier echte Depression. Überall Schilder an den Häusern und Booten, die zu vermieten und zu verkaufen seien; die Geschäfte und Restaurants blieben leer, überall jammerten und klagten die Leute, und überhaupt herrschte eine „tristezza“, die man selbst in den Gesichtern der Passanten ablesen konnte. Die Krise ist in Italien mit Sicherheit noch nicht überwunden, aber es hat sich erheblich gebessert. Ich hoffe, dass dies auch die „Germanisierung“ Italiens aufhält, die kulturell schon an Boden gewonnen hatte.
Mit Germanisierung meine ich: Gründung von Billigläden und Discountern (Spar/Lidl) an allen Ecken, Menschen, die sich „deutsch“ kleiden (heißt: nicht elegant italienisch, wie ich es besonders von den Frauen hier unten gewohnt bin), Zugrunderichtung traditioneller Geschäfte (Mode, Handwerk, Bäckerei) und zuletzt eine Hingabe an den deutschen Mainstream, der von Bio-Produkten und zaghafter Infiltration von Gender & Co. bis zur Aufstellung von Windrädern reicht (ich bekam einen Schock, als ich die ersten 6 Windmühlen bei Affi sah – das wäre so, als stellte man ein Kohlekraftwerk in die toskanische Landschaft!).
Dass die Jugendlichen in Desenzano jetzt aber die Hotpants an den Nagel hängen, und junge Frauen wieder im Kleid oder Rock über die Promenaden flanieren, tut dem Ästheten in mir gut. Für Geist und Auge ist es eine Beleidigung, wenn die Erben D’Annunzios, der in Gardone sein Exil verlebte und 36 Paar von Hand gefertigte Schuhen besaß, im Schlabberlook wie die Studentesca gewisser deutscher Städte rumlaufen. Italien ist also noch nicht verloren, was man nur mit einem doppelten Glas Cedrata feiern kann (die lokale Limonade aus Zedratzitrone, für die Uneingeweihten*).
Da ich hier auch endlich mal zur Ruhe komme, ist es wenig verwunderlich, dass ich bei den letzten Szenen des letzten Kapitels des Caravaggioduftes hänge. In diesem Urlaub habe ich einiges geschafft; ob ich in der letzten Woche noch fertig werde, glaube ich eher nicht, aber vielleicht komme ich noch bis zu den entscheidenden Finalsequenzen. Selbst mit dem Exposee habe ich bereits begonnen, und die Fingerübung – Zusammenfassung in 100 Worten als Pitch – steht bereits seit Tagen. Man kann nur noch hoffen, dass Agenten oder Lektoren den Kram einigermaßen interessant finden und sich wenigstens das Manuskript ansehen wollen. Was ich nämlich bereits jetzt merke: die Story ist extrem dicht an Handlung geworden, sodass man die Geschichte kaum gekürzt wiedergeben kann, ohne wichtige, sinnstiftende Zusammenhänge auslassen zu müssen.
Insofern futtere ich jetzt noch ein paar Nektarinen zu passender Musik:
Lachrimae Caravaggio (im Andenken an Montserrat Figueras)
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*Nebeninfo am Rande: die Zedratzitrone ist im Übrigen auch das Wappenzeichen der venezianischen Patrizierfamilie Memmo.