Am dritten Sonntag des Monats findet in Lonato der Antiquitätenmarkt statt. Seit geschätzten 7 Jahren bin ich dort nicht mehr gewesen. Um hier keine allzu großen Erwartungen aufzubauen: weder ist der Antiquitätenmarkt von Lonato besonders groß, noch berühmt, noch erlesen. Allerdings bleibe ich im Sommer üblicherweise am Sonntag zu Hause, wenn ich am Gardasee bin; das hat den einfachen Grund, dass bei schönem Wetter neben den Anwohnern nicht nur die üblichen Touristen unterwegs sind, sondern auch die Leute aus der „provincia“.
Das heißt: Menschen aus dem Hinterland und aus Brescia selbst. Das Verkehrsaufkommen fällt dementsprechend aus und wird durch die üblichen Sonntagsfahrer und die berüchtigte Familie „Brambilla“ – der Stereotyp der Großfamilie mit langsam fahrendem Opa, genervten Eltern und plärrenden Kindern, die Sonntags einen Ausflug unternehmen – verschärft. Freie Fahrt? Unmöglich. Stattdessen sind die Restaurants überfüllt, die Straßen verstopft und überall ist es laut. Abends stapeln sich die Kolonnen mit stundenlangem Stau zurück nach Brescia.
Für mich der reinste Wahnsinn. Andere verstehen darunter ihre Sonntagserholung. Ehrlich, da bin ich früher unter der Woche lieber um 6 Uhr morgens aufgestanden, eine halbe Stunde mit dem Auto zum Bahnhof in Desenzano gefahren, habe den überfüllten Zug nach Verona genommen und bin dann noch mal eine halbe Stunde bis zum eigentlichen Ziel marschiert, bevor ich Sonntagsnachmittags das Haus verlassen hätte.
Dass die Brescianer natürlich sonntags die Familie auch zu Hause haben, und neben dem Einsatz von großformatigen, überwältigend lauten Heckenschermaschinen die nachbarschaftliche Schaukel unter genau so lautem Quietschen in Beschlag genommen wurde, steht auf einem anderen Blatt. Dazumal habe ich mir die ersten Kopfhörer meines Leben zugelegt.
Von den völlig bekloppten Motorradfahrern, die das andere Extrem zu den dösigen Sonntagsgroßeltern am Steuern bildeten, will ich hier gar nicht erst anfangen.
Zurück nach Lonato. Der Ort liegt auf einer Erhebung mit Blick auf den See, aber gleichzeitig in so einer perfekten Distanz dazu, dass Lonato nicht ans Ufer grenzt und von Touristen jedweder Art eher übergangen wird. Die Straßen dorthin sind erfahrungsgemäß frei; und da „Famiglia Brambilla“ solche Events nicht aufsucht, ist der eigentliche Andrang eher gering. Daher ein Zeitvertreib am Wochenende, den man ohne Nervenzusammenbruch am Steuer übersteht.
Nun war der Antikmarkt – wenig verwunderlich – weniger interessant. Ein paar Stände mit alten Möbeln, die man vielleicht nach einer Restauration wieder herrichten konnte; ansonsten wenige Gemälde. Die ältesten Bücher stammten aus dem beginnenden 20. Jahrhundert. Die meisten Stiche waren überteuert, und zudem englisch – einige Händler wollten schon für handtellergroße Kunstwerke 40 Euro haben. Vor zehn Jahren hätte ich die Teile zum halben Preis kaufen, einrahmen und für 10 Euro Profit wieder verscherbeln können.
Das interessanteste Objekt stellte da noch eine Karte der Österreich-Ungarischen Monarchie nach dem Ausgleich dar, vermutlich kurz vor der Jahrhundertwende (Bosnien-Herzegowina fand keine Erwähnung, auch nicht als Protektorat). Zudem ein kolorierter Stich, was auch nicht mehr so häufig vorkommt. Andererseits bin ich nun kein so großer Fan der K. u. K. Monarchie, als dass ich das Teil hätte erwerben wollen – nicht zuletzt, da mir zu Hause schon der Platz dafür fehlt. Kurz dachte ich daran, die Karte einem Freund zu schenken, ließ mich dann aber abschrecken, weil der Preis natürlich weit über dem lag, was das Papier wert gewesen wäre.
Auf dem Rückweg fiel mir an der Hauswand, vor der ich mein Auto geparkt hatte, ein Hinweis auf. In den über zehn Jahren, die ich Lonato – aus welchen Gründen auch immer – besuche, war mir das Gebäude nie aufgefallen; üblicherweise parkte ich auch ganz woanders. Wie es nun aber das Schicksal – oder die Geschichte – wollte, stand ich unweit des Palazzo Resi, in welchem (so der Hinweis) Napoleon sich einquartiert hatte, nämlich zwischen den Schlachten von Lonato und Castiglione im Jahre 1796.
Schon ein merkwürdiger Zufall, dass ich das Schild (und den Palazzo) in all den Jahren nie gesehen hatte, aber ausgerechnet in der Woche, in der sich der Untergang Venedigs jährte, auf dieses stieß. Auch merkwürdig, dass dies nur wenige Tage passierte, nachdem ich genau von diesen Vorkommnissen geschrieben habe.
Manchmal hat man den Eindruck, die Geschichte heftet sich an die eigenen Fersen und verfolgt einen…