Pjotr

22. Mai 2015
Kategorie: Caravaggioduft | Hintergrund und Schreibarbeit | Persönliches

Wenn ich mir meinen letzten Beitrag (Marianne) zu diesem Themenkomplex durchlese, erscheint es unglaublich, wie gut es seitdem wieder voran ging – teilweise so flüssig und wie in der Anfangsphase im August und September. Nahezu jeden Tag ist die Novelle gewachsen; und seit meinem Aufenthalt in Italien rauscht der Schreibfluss nur vor sich hin. Seit Ende April geht dies schon so.

Ich bin nun beim letzten Sechstel oder Siebtel der Geschichte angelangt. Sollte ich dieses Pensum einhalten können, wäre ich Mitte oder Ende Juni durch (in der Hoffnung, dass nicht wieder etwas dazwischen gerät). Wie immer gab es Zweifel, ob es wirklich so gut geraten ist, wie man das vor oder während des Schreibens denkt. Aber je öfter ich Korrektur lese, desto häufiger habe ich den Eindruck, dass das hier wirklich etwas werden könnte. Wie immer kein Mainstream – dazu gibt’s zu wenige Sexszenen und Drachen – aber der innere Wert dieses Buches ist für mich persönlich mit jeder Seite gewachsen.

Die Themen, die diesem Buch zugrunde liegen, und die Charaktere, die sie leben, atmen aus sich selbst heraus; das heißt, es fügt sich vieles von alleine zusammen. Das ist das Schönste am Schreibprozess: wenn man nicht mehr denken, nicht mehr konstruieren muss, sondern sich alles organisch von selbst zusammen fügt. Wenn die Szene, die immer wieder gemieden wurde, weil man dann an ihr festhing, und nicht weiterkam – plötzlich an einem Donnerstagmorgen steht, obwohl man damit nicht gerechnet hat. Wenn sich Knoten lösen, und die Dialoge fremder Stimmen im Kopf erzählen, statt dass man sich diese ausdenken muss.

Wenn man um Mitternacht zur Musik nur kurz etwas tippt, und der Text sich zu genau dem Stück formt, vor dem man sich monatelang gefürchtet hat; weil man es perfekt haben will, weil man weiß, was alles reinkommen muss, weil man sich dennoch kurzfassen will, und zuletzt: weil man den Anspruch an sich selbst fürchtet. Und dann ist es plötzlich nach 2 Uhr früh, und man liest das, wonach man so lange gesucht, was man so lange verdrängt hat, und ist überrascht darüber, dass diese Hürde genommen wurde. Obwohl man sich noch einen Tag davor den Kopf darüber zermarterte, wie lange man diese Passage aufschieben wollte.

Diese Story kommt einfach herüber. Man kann sie einfach lesen. Aber unter der Oberfläche rumort es. Eine Auswahl der Themen? Kunst, Millionraub, Britishness, Italianità, Vernunft, Glaube, Macht, mehrfacher Autodiebstahl, Geruch, Geschmack, Vanitas, Farben, Faschismus, Liberalismus, Sozialismus, Dosenbier, Wendezeit, Göring, Stalin, Mussolini, Hedonismus, Kapitalismus, Zigaretten, Degen, Whisky, Detektivregeln, Milchshakes, amerikanischer Imperialismus, Europa, Russland, Mord, Erpressung, Entführung, Dante, D’Annunzio, Huysmans, Synästhesie, Dekadenz, Brioni, Versace, Tartanmuster, Mafia, Identität, Geldscheinfetischismus und selbstgemachte Pasta. Das 20. Jahrhundert in Stereo.
Aber vor allem: Wahrheit.

Es geschieht selten, dass mir mein eigenes Geschriebenes Mut macht. Hier spüre ich etwas, wie lange nicht mehr. Eine Zuversicht, dass es dieses Mal anders wird. Und selbst wenn ich wieder einmal keinen Verlag finden sollte: von dieser Novelle weiß ich bereits jetzt, dass sie verdammt gut ist, und mit das beste, was ich bisher geschaffen habe. Sollte ich wieder dutzende Absagen ernten, so weiß ich jetzt schon: an der Geschichte selbst werde ich nicht zweifeln. Vielleicht an meinem Unvermögen, sie nicht noch besser machen zu können, was aber über meine eigenen Kräfte hinausginge. Womöglich wird es mein letztes, großes Projekt sein. Aber ich bin bereits jetzt so mit allem im Reinen, dass mich selbst die Ablehnung durch Lektoren, Agenten oder anderen Kritikern nicht mehr erschüttern kann.

Italo würde sagen: der Löwe brüllt wieder.

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