Kniefall und Hymne

19. Juni 2021
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Die Tagespost | Freiheit | Historisches | Ironie | Linkverweis | Machiavelli | Medien | Musik

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Es dürfte kaum Zufall sein, dass Kniefall und Hymne – also patriotische Erhebung und diffuses Schuldbewusstsein – in dieser Nähe konzentriert werden. Der „symbolische Akt“ des Kniefalls gewinnt zudem in einem Zeitalter der historischen Amnesie höhere Bedeutung als die eigentliche kulturelle Tradition: die politisch aktuelle Ideologie wird verstanden, die Erinnerung an nationale Größe und kulturelle Identität ist dagegen größtenteils verblasst. Als Portugiese vom edelsten und heldenhaftesten Volk der See zu singen, das „der Welt neue Welten schenkte“ – kurz: die Entdeckung und Kolonisierung der Erde durch die abendländische Zivilisation – um sich anschließend zur Schuld des weißen Mannes zu bekennen, setzt entweder das Unverständnis eines der beiden Bekenntnisse voraus oder eine fortgeschrittene Schizophrenie.

Die Geschichte des Niederkniens bei Sportveranstaltungen ist damit kaum von der Respektlosigkeit gegenüber der eigentlichen Zeremonie zu trennen – nämlich des Abspielens der Nationalhymne. Beide Vorgänge stehen in einem Konkurrenzverhältnis, das nur dadurch übertüncht wird, dass sie nunmehr zeitlich voneinander getrennt sind. Es ist symptomatisch für die Gegenwart, dass der Verstoß gegen die Würde eines Symbols als „verkraftbar“ angesehen wird, mit dem Verweis, es sei eben nur ein „Symbol“, die ideologisch goutierte Botschaft dagegen eine solche Aufladung erfährt, dass eine Nichtbeachtung desselben als unerträglicher Zustand verstanden wird.

Die Demütigung einer Nation, einer Kultur oder der eigenen Vorfahren erscheint unproblematisch; die Hinterfragung einer offensichtlichen politischen Agenda dagegen nicht, wenn sie vordergründig gute Absichten verfolgt. Für die ostmitteleuropäischen Völker ist der Kotau schon deswegen schwer verständlich, da sie einerseits über keine Kolonialgeschichte verfügten und andererseits selbst Opfer ihrer europäischen Nachbarn waren. Das Kapitel der Selbstverleugnung hat der ehemalige Ostblock ausführlich erlebt, ein Aspekt, der im Geist der Nationalhymne mitschwingt. Die Polen besingen bis heute das Verschwinden ihres Vaterlandes, den atheistischen Kommunisten war die ungarische Hymne – mehr ein Bittgebet zu Gott denn eine nationale Selbsterhöhung – ein Dorn im Auge.

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Der ganze Artikel bei der Tagespost.

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