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Frankreichs Konversion zum Islam spiegelt sich in den Motiven von Houellebecqs Figuren. Sie erfolgt aus sexuellen, pragmatischen und naiv-romantischen Gründen. Vom Koran, Mohammed und Allah selbst ist niemand überzeugt – selbst der muslimische Staatschef erscheint als kühl berechnender Machtpolitiker, der aus taktischen Gründen die „Islamkarte“ spielt. Hier greift Houellebecq ein thomistisches Argument auf, das katholische Gelehrte über Jahrhunderte tradierten: Mohammed verführte die Völker „durch Versprechung fleischlicher Genüsse, zu deren Verlangen die Begierde anstachelt“, führt Thomas von Aquin in seiner Summa contra Gentiles aus. Mohammeds Anhänger folgten daher keiner ausgefeilten Theologie, sondern glaubten „leichtfertig“, weil der Islam ein genussvolles Leben erlaubte.
Der Islam als Religion eines mekkanischen Kaufmanns macht es seinen Anhängern einfach; das Christentum als Religion des Gottessohnes dagegen unglaublich schwer. Mohammeds Anhänger werden noch zu Lebzeiten mit Kriegsruhm, Beute und Frauen reichlich entlohnt; Christi Apostel sterben dagegen den Märtyrertod. Nach Aquino wäre die Hinwendung eines ultraliberalen, hedonistischen Westens zum Islam daher kein Paradoxon, sondern logischer Zwang.
Für Houellebecqs Protagonisten François, dessen Vorbild Joris-Karl Huysmans auf die Dekadenz des späten 19. Jahrhunderts mit dem Klostereintritt reagierte, bleibt die mystische Träumerei von einem auferstandenen Abendland in Rocamadour bloße Phantasterei: „Nach einer halben Stunde stand ich, endgültig vom Geist verlassen und auf meinen lädierten, vergänglichen Körper beschränkt, wieder auf und ging traurig die Stufen zum Parkplatz hinunter.“ In späteren Interviews prognostiziert der Autor jedoch auch dem Katholizismus eine Renaissance.
Doch Houellebecq irrt zugleich, wenn er im Interview erklärt, das Phänomen der Rückkehr der Religionen sei „zunächst einmal völlig unvorhersehbar“ gewesen. Das berühmte Diktum von André Malraux – „Das 21. Jahrhundert wird religiös sein, oder es wird nicht sein“ – popularisierte Peter Scholl-Latour im deutschsprachigen Raum. Und indes Samuel Huntingtons Theorie unausweichlicher Zivilisationskriege immer noch die Gemüter erregt, verbreitet sich mittlerweile eine Stimmung, die zumindest in Grundlinien prophetische Wendungen darin ersehen will.
Viel mehr noch als Malraux oder Huntington hat der britische Historiker Christopher Dawson bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Europas Weg klarsichtig beschrieben: Religiosität ist Grundlage jeder Kultur, und Kulturen, die ihre Religion negierten, seien zum Scheitern verurteilt. Die Rückkehr der Religion ist demnach gleichbedeutend mit dem Überlebenskampf einer Kultur; sie ist unausweichlich, will sie sich selbst erhalten. Für Dawson war daher eine Rückkehr zum mittelalterlichen Abendland der logische Schritt.
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