Die Kirche und die Seuche

4. April 2020
Kategorie: Die Tagespost | Europa | Historisches | Ich bin Guelfe, ich kann nicht anders | Linkverweis

Es begann mit einem Feuer. Auf dem Zenit der Renaissance zerstörte ein Brand im Jahr 1519 die prestigeträchtige Kirche San Marcello in Rom, deren Geschichte bis in die Spätantike zurückreicht. Wie durch ein Wunder verschonten die Flammen einen Teil des Gotteshauses. Darin: ein hölzernes Kreuz aus dem 14. Jahrhundert, zu dessen Füßen eine Lampe brannte. Das Kunstwerk sienesischer Herkunft erregte schlagartig Aufmerksamkeit. Es gründet sich eine Bruderschaft vom Heiligen Kreuz, die jeden Freitag zu Füßen des Heilands betet und die Lampe entzündet. 1522 – drei Jahre später – entsannen sich die Römer im Zuge einer Pestwelle des lebensgroßen Kreuzes, das über die Flammen triumphierte. Es schallte der Ruf: im Kreuz liegt die Rettung. Die städtische Obrigkeit versuchte eine Versammlung des Volkes zu verhindern, weil sie weitere Ansteckungen fürchtet. Doch bald überstieg die Angst vor dem Volkszorn die Angst vor der Pest. Eine 16-tägige Prozession durch die Ewige Stadt folgte. Wenige Tage später wich die Seuche aus Rom.

Fast 500 Jahre später stellt sich Papst Franziskus in diese Tradition – und dennoch ist die Aufstellung des Pestkreuzes in ihrer Form einzigartig. Der Papst erteilt den Segen „Urbi et orbi“, ruft zum Zusammenhalt auf – aber vor einem menschenleeren Petersplatz. Anders als 1522 leistet nur der Zeremonienmeister Gesellschaft. Der einsame Mann in Weiß vor einem leeren Platz, vor einer in Finsternis gehüllten Kirche: die Szenerie ruft Erinnerungen an die Kunsttechnik des Chiaroscuro eines Caravaggio wach. Was im Feuer begann, endet im Regen. Das Kreuz, dem die Flammen nichts anhaben konnten, wird von Wasser beschädigt.

Es ist das nächste Kapitel in einem Buch, dessen Ende noch nicht feststeht. Die Kirche und die Krankheit: Bisher hatte sich die Braut Christi vor dem Thema eher zurückgezogen und den staatlichen Ratschlägen gebeugt. Die großen Gesten gingen von Landpfarrern aus, die einsam mit Monstranzen durch die Straßen zogen. Die katholische Welt wurde von dem Virus überrascht, wie es schon bei der „peste di San Carlo“ in Mailand geschah. „Plötzlich kommt vom Himmel die Pest, die die Hand Gottes ist, und mit einem Schlag wurde dein Stolz erniedrigt“, urteilte Karl Borromäus über das Schicksal der lombardischen Hauptstadt in den Jahren 1576 bis 1577. Der damalige Erzbischof von Mailand avancierte zum Volkshelden, als sich alle anderen Verantwortungsträger davongestohlen hatten. Sein vorbildliches Handeln gilt als Musterbeispiel für den Umgang der Kirche mit Seuchen. Anders als Kardinal Marx und Bischof Schick hatte Borromäus eine klare Meinung, wer für das Übel verantwortlich war. Eine „Geißel“ sei die Pest, vom Himmel gesendet, wegen der Sünden der Menschen.

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