Fabio Rampelli schweigt. Der Vizepräsident der italienischen Abgeordnetenkammer trägt Atemschutzmaske und Handschuhe. Dann geht er zur EU-Fahne im Büro, nimmt diese ab, und faltet sie ein. Die italienische Trikolore nimmt ihren Platz ein. Er widmet sich wieder der eingeholten Flagge, zeigt sie kurz in der Kamera, und spricht langsam, aber ernst: „Vielleicht sehen wir uns später (wieder). Vielleicht.“
Rampelli ist Mitglied der „Fratelli d’Italia“, der Partei von Giorgia Meloni. Die Nationalkonservativen gelten als Bündnispartner von Lega-Chef Matteo Salvini und sind für ihre kritische Haltung gegenüber der EU bekannt. Aber Rampellis Auftreten ist kein Einzelbeispiel. Mehrere Bürgermeister haben in ihren Kommunen ähnlich protestiert. Vittorio D‘Alessio, Bürgermeister von Mercogliano (Provinz Avellino) hat die EU-Flagge am Rathaus seit einer Woche auf Halbmast gesenkt. „Von der EU, die wir mitgegründet haben, erwarten wir etwas mehr. Konkrete Solidarität bekommen wir stattdessen von Ländern, die nicht der EU angehören.“ In der Kommune Castiglion Fiorentino hat Mario Agnelli die Flagge sogar ganz eingeholt. Er gehört einer unabhängigen Liste an, wird aber von Salvinis Lega unterstützt. Man würde die Flagge wieder an ihren Platz zurücksetzen, wenn Brüssel zeige, dass man einer echten Europäischen Union angehöre. Der Bürgermeister von Codoneghe in der Provinz Padua, Marco Schiesaro, bindet die Flagge mit zwei weißen Bändern zu.
In den sozialen Medien gehen Videos von Italienern viral, die ihren Unmut über die EU äußern. Darunter eines, in dem eine EU-Flagge zur italienischen Nationalhymne verbrannt wird. Einige Firmen haben vor ihrem Sitz die EU-Flagge gegen eine chinesische oder russische Flagge ausgetauscht. Die Italiener fühlen sich dabei nicht nur nach Wochen alleingelassen – Sie erkennen in der EU und den Mitgliedsstaaten phlegmatische Unbeweglichkeit. Premier Giuseppe Conte konzentrierte diese Stimmung in einer Videokonferenz der EU-Regierungschefs. Deutsche Medien sprachen von einem „aggressiven“ Verhalten des italienischen Ministerpräsidenten. In Wirklichkeit sah sich Conte mit einer Kanzlerin konfrontiert, die auch diese Krise aussitzen wollte; eine Strategie, die vielleicht bei vielen deutschen Mitbürgern Erfolg hat, aus italienischer Sicht jedoch Fahrlässigkeit bedeutete.