Endlich Pest ohne Zweifel und ohne Widerrede

7. März 2020
Kategorie: Europa | Fremde Federn | Historisches | Ich bin Guelfe, ich kann nicht anders | Italianità und Deutschtum | Non enim sciunt quid faciunt

Im 31. Kapitel der „Promessi sposi“ bricht die Pest in Mailand aus. Alessandro Manzoni hat dieses Kapitel sehr historisch und auf Quellen basiert geschrieben. Vieles davon kommt nicht unbekannt vor. Hier ein zweiter Auszug.

Es gab übrigens eine gewisse Anzahl Menschen, die von dem Dasein der Pest noch immer nicht überzeugt waren. Und weil nun im Krankenhause sowohl wie in der Stadt doch einige wieder aufkamen, so sagte das Volk – die letzten Beweisgründe einer durch den Augenschein besiegten Meinung sind immer anziehend zu erfahren – so sagte das Volk und auch die vielen parteiischen Aerzte, es sei nicht die wirkliche Pest, weil Alle daran gestorben sein wür den. Um jeden Zweifel zu heben, fand die Gesundheitsbehörde ein dem Bedürfniß entsprechendes Hülfsmittel, ein Mittel, das in die Augen sprang, wie die Zeiten es verlangen und eingeben konnten. An einem der Pfingstfeiertage pflegten die Bürger auf dem Kirchhofe San Gregorio vor dem Thore Orientale zusammen zu kommen, um für die an dem ersten Contagium Gestorbenen zu beten, die hier begraben lagen; da sie nach dieser Andacht die Zeit zu Belustigungen und Schauspiel benutzten, so ging ein Jeder so geputzt als möglich dahin. An diesem Tage war unter Andern eine ganze Familie an der Pest gestorben. Auf Befehl der Gesundheitsbehörde wurden zur Stunde des größten Gedränges, mitten unter Kutschen, Reiter und Fußgänger, die Leichname dieser Familie, nackt auf einem Karren nach dem genannten Begräbnißplatze gefahren, damit die Menge an ihnen das offenbare Zeichen der Pest sähe. Ein Schrei des Abscheus, des Schreckens erhob sich überall, wo der Karren vorbeikam, ein langes Gemurmel folgte ihm, wo er vorüber war, ein langes Gemurmel lief ihm voraus. Die Pest fand mehr Glauben; übrigens erlangte sie aber von selbst täglich mehr Glauben, und jene Versammlung selbst sollte nicht wenig zu ihrer Fortpflanzung beitragen.

Im Anfange also keine Pest, durchaus keine, um keinen Preis; nur das Wort auszusprechen ist verpönt; dann pestartiges Fieber; die Vorstellung schleicht sich heimlich durch ein Beiwort ein; dann nicht wirkliche Pest; das heißt freilich Pest, aber in einem gewissen Sinne; nicht eigentlich Pest, aber etwas, für das man keinen andern Namen zu finden weiß; endlich Pest ohne Zweifel und ohne Widerrede. Aber schon hat sich eine andere Vorstellung damit verbunden, die Vorstellung der Giftmischerei und Hexerei, welche die durch das Wort ausgedrückte Vorstellung von der Pest, die sich nicht mehr zurückweisen läßt, verfälscht und verwirrt.

Man braucht, glaube ich, in der Geschichte der Vorstellungen und Worte nicht sehr bewandert zu sein, um einzusehen, daß viele einen ähnlichen Lauf genommen haben. Dem Himmel sei Dank, daß ihrer von der Art und Bedeutung nicht viele sind, die um einen solchen Preis ihre Glaubwürdigkeit erkämpfen müssen und mit denen sich Nebenumstände von solcher Art verbinden. Man könnte jedoch, in großen wie in kleinen Dingen, den so langen krummen Weg meist vermeiden, wenn man die seit so langer Zeit bestehende Regel befolgte, erst zu beobachten, zu hören, zu vergleichen, zu denken und dann zu sprechen.

Aber das Sprechen, diese so einzige Sache, ist viel leichter als alle die andern zusammen, daß auch wir, ich meine wir Menschen überhaupt, ein wenig zu bedauern sind.

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