Im 31. Kapitel der „Promessi sposi“ bricht die Pest in Mailand aus. Alessandro Manzoni hat dieses Kapitel sehr historisch und auf Quellen basiert geschrieben. Vieles davon kommt nicht unbekannt vor. Hier ein Auszug.
Wir haben schon gesehen, mit welcher Gleichgültigkeit man bei den ersten Berichten von der Pest im Entgegenwirken, sogar in der Untersuchung zu Werke ging; hier einen andern, nicht weniger wunderbaren Beweis von Lässigkeit, wenn sie nicht etwa durch Hindernisse erzwungen war, die eine höhere Obrigkeit veranlaßt hatte. Jene Verordnung wegen der Gesundheitspässe, die man unterm 30. October beschlossen, wurde nicht eher als am 23. des folgenden Monats vollzogen und erst den 29. erlassen. Die Pest war schon in Mailand eingedrungen. Tadino und Ripamonti wollten den Namen dessen, der sie zuerst hereinschleppte, und die näheren Umstände über die Person und die Thatsache aufzeichnen; und in der That, wenn man den Ursprung einer so ungeheuren Sterblichkeit betrachtet, wo die Opfer der Zahl nach kaum durch Tausende bezeichnet werden können, so entsteht eine eigene Wißbegierde, jene ersten und wenigen Namen, die aufgezeichnet und erhalten sein konnten, kennen zu lernen; es ist, als ließe sich aus dieser genauen Kenntniß und aus den besondern Umständen in dieser ungeheuren Vertilgung irgend etwas Verhängnißvolles und Merkwürdiges erkennen.
Der eine wie der andere Geschichtschreiber behaupten, daß es ein italienischer Soldat in spanischen Diensten gewesen sei; im Namen wie in allem Uebrigen stimmen sie nicht recht überein. Nach Tadino war es ein gewisser Pietro Antonio Lovato, in dem Gebiete von Lecco einquartiert; nach Ripamonti hieß er Pier Paolo Locati von Chiavenna. Auch den Tag seiner Ankunft in Mailand geben sie verschieden an; der erste legt ihn auf den 22. October; der andere auf denselben Tag des folgenden Monats; und man kann weder die eine noch die andere Angabe als richtig annehmen. Beide stehen im Widerspruch mit andern weit genaueren. Und doch mußten Ripamonti, der auf Befehl der Rathsversammlung der Decurionen schrieb, viele Mittel zu Gebote stehen, um die nothwendigen Erkundigungen einzuziehen; und Tadino könnte vermöge seines Berufes besser als jeder andere von einer Thatsache dieser Art unterrichtet sein. Uebrigens geht aus dem Vergleiche mit andern Angaben, die uns genauer zu sein scheinen, wie wir gesagt haben, hervor, daß es vor der Bekanntmachung der Verordnung der Gesundheitspässe geschah, und wenn es darauf ankäme, so könnte man auch beweisen, oder fast beweisen, daß es in den ersten Tagen jenes Monats geschehen sein mußte; aber der Leser wird uns gewiß diesen Beweis erlassen.
Wie dem nun auch sei, dieser unglückliche Soldat und Träger des Unglücks kam mit einem großen Bündel von Kleidungsstücken herein, die er deutschen Soldaten abgekauft oder gestohlen hatte, begab sich in das Haus eines seiner Verwandten in der Vorstadt des Thores Orientale dicht bei dem Kapuzinerkloster; kaum angelangt, erkrankte er; man brachte ihn nach dem Krankenhause; eine Beule, die sich unter der einen Achsel bei ihm zeigte, erregte in seinem Arzte den Verdacht dessen, was es wirklich war; am vierten Tage starb er.
Die Gesundheitsbehörde ließ seine Familie absondern und in der Wohnung abgesperrt halten; seine Kleider und das Bett, worin er im Krankenhause gelegen, wurden verbrannt. Zwei Krankenwärter, die ihn gepflegt hatten, und ein Mönch, der ihm beigestanden, erkrankten nach wenigen Tagen alle drei gleichfalls an der Pest. Den Verdacht, den man gleich anfangs über die Natur des Uebels in dem Krankenhause gefaßt hatte, und die getroffenen Vorsichtsmaßregeln verhinderten, daß dort das Contagium sich weiter verbreitete.
Aber der Soldat hatte außerhalb einen Keim hinterlassen, der nicht zögerte sich zu entwickeln; der Erste, bei dem er zur Erscheinung kam, war der Wirth des Hauses, bei dem jener gewohnt hatte, Carlo Colonna, ein Lautenschläger. Darauf wurden alle Miether aus jenem Hause auf Verordnung der Gesundheitsbehörde in das Lazareth geschafft, wo die meisten erkrankten; einige starben bald darauf an dem offenbaren Contagium.
Das Contagium war durch diese Leute, durch ihre Kleider und Hausgeräthe, welche Verwandte, Miether oder Dienstboten vor der durch die Gesundheitsbehörde gebotenen Nachsuchung und dem Verbrennen verborgen hielten, schon in der Stadt verbreitet worden und griff durch die Mangelhaftigkeit der Verordnungen, durch die Nachlässigkeit in der Vollziehung und durch die Gewandtheit, mit der man sie zu umgehen wußte, immer mehr um sich und schlich während des ganzen übrigen Jahres und der ersten Monate des darauffolgenden 1630 versteckt umher. Von Zeit zu Zeit wurde bald in diesem, bald in jenem Stadtviertel irgend Einer davon ergriffen und starb; die Seltenheit dieser Fälle aber ließ noch immer die Wahrheit nicht aufkommen, bestärkte vielmehr die Einwohner in dem blödsinnigen und mörderischen Wahne, daß die Pest nicht da wäre, oder daß sie auch nur auf einen Augen blick da gewesen. Auch stimmten viele Aerzte noch in die Stimme des Volkes mit ein – war sie auch in diesem Falle Gottesstimme? – sie verspotteten die finstern Weissagungen, die drohenden Warnungen und hatten Namen von gewöhnlichen Krankheiten bereit, um einen jeden Pestanfall, zu dessen Heilung sie herbeigerufen wurden, damit zu bezeichnen; unter was für Symptomen oder Anzeichen er auch auftrat.
Wenn auch die Gesundheitsbehörde von diesen Fällen Kenntniß erhielt, so geschah es meistens spät und ungewiß. Der Schrecken vor der Contumaz und vor dem Lazareth erfand Mittel sie zu umgehen; man verheimlichte die Kranken, man bestach die Todtengräber und Aufseher; selbst von der Gesundheitsbehörde erlangte man von den Unterbeamten, die sie absandte, die Leichen zu besichtigen, für Geld falsche Zeugnisse.