Flanieren? Gehn’se doch in den Park!

27. Juni 2019
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Europa | Freiheit | Historisches | Ironie | Italianità und Deutschtum | Persönliches

Berlin lebt aus der Gegenwart. In Verona oder gar Rom schlingt sich die Vergangenheit wie Efeu um die Beine. Der Schritt wird gemäßigter, ruhiger, der Boden und die Pflastersteine fühlen sich alt an. In italienischen Städten mag man eilen, weil der Bus vor der Nase wegfährt, aber ansonsten ruft alles nach Schlendern und Spazierengehen. Berlin kennt eine solche Atmosphäre nicht. Es ist die Ausgeburt deutscher Effizienz in dem Sinne, dass sich offensichtlich niemand bei Bau und Planung Gedanken darüber machte, wer hier einmal wohnen oder leben will – so es denn eine solche Planung überhaupt gab, sieht man einmal vom Tiergarten des Bonners Peter-Joseph Lenné ab. Sie können diese merkwürdige Aversion gegen das Promenieren in den angeschlossenen Stadtteilen beobachten: obwohl das Berliner Einzugsgebiet über eine erstaunliche Anzahl von Flüssen und Seen verfügt, sind diese kaum durch beiläufige Fußwege erschlossen. Kaum eine Promenade, die man am Wannsee in Zehlendorf, an der Dahme in Köpenick, oder in Friedrichshagen am Müggelsee findet! Ein Rheinländer oder Lombarde hätte parallel zum Gewässer eine breite Straße gezogen, mit Bäumen, Cafès und Restaurants, inklusive Pavillons und Bänke. Der Einheimische wie der Tourist hätte meilenweit flanieren können, durchgehend von einem Ende der Metropole zum anderen.

Augenscheinlich legte der preußische Bauherr Wert auf die richtige Parzellierung von Flussgebieten. Das heißt: Häuser haben direkten Zugang zum Wasser, die Öffentlichkeit wird hingegen der Idylle beraubt. Nur ab und an führt ein kleines Sträßchen zur Flusslandschaft, abgerundet von einem Park mit Bank. Ist das preußisch-monarchischer Geist? Schwierige Mentalitätensuche. Gewiss ist jedoch eins: die Stadtplaner der Re-Capitalisierung Berlins erkannten wohl das Problem und legten insbesondere auf der Höhe des Regierungsviertels eine großzügige Promenadenanlage an der Spree an. So breit, so großzügig – dass ihr die ganze Trost- und Seelenlosigkeit anderer Betonbauten im Stile des Kanzleramtes zukommt, in dessen Schatten der eine oder andere Fahrradfahrer rollt, indes außerhalb der Sommermonate befremdliche Leere am Spreeufer herrscht. Zaghafte Versuche, den legendären Spreebogen mit Leben zu füllen, unternimmt nun die eine oder andere Strandbar, die mit Sonnenstühlen aufwartet, aber ohne nennenswertes Panorama: wer will schon im Urlaub auf das Glasgetöse der Bundespressekonferenz oder andere eintönige Bauten der Moderne schielen? Der Versuch imitiert ein Pariser Vorbild, aber Paris ist nun einmal Paris, die Spree nicht die Seine, und der Berliner schon gar kein Franzose. Da können die exotischsten Drinks auf der Tafel stehen – über jeder Berliner Bar hängt zuletzt der Geruch von Pommes und Currywurst, und runzlige Frauenkörper mit Tattoos sind weniger hilfreich als die französische Studentin in Qualitätskleidung. Die aufgesetzte Lockerheit verkommt zum Spießertum, und das beschwerliche Dröhnen der Spree-Kähne hallt von den Flussmauern wider.

Spaziergänge sind eine Qual: nirgendwo lädt etwas ein, hier länger zu verbleiben; womöglich beabsichtigten die Architekten die Flucht jedes Organismus, damit ihre schönen Bauten in Beton und Glas möglichst makellos bleiben.

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