Manche mögen einwenden, dass es wenig sinnvoll ist, irgendwie geartete Beiträge eines Portals zu kommentieren, das in gewissen Kreisen bereits den Namen „häretisch.de“ erhalten hat; die Befassung mit dieser Institution fördert Übellaune, Gastritis, schlechten Geschmack und zuletzt auch ein Stück weit Unglauben, also ziemlich genau das Gegenteil dessen, was der Verfasser dieser Zeilen allgemein mit dem Begriff „katholisch“ verbindet.
Andererseits haben Mitglieder der römisch-katholischen Kirche in Deutschland, ob konservativ oder progressiv, Besucher der alten oder der neuen Messe, gläubig oder ungläubig, ja, auch reine Kulturkatholiken ohne einzigen Messbesuch seit ihrer Kommunion das große Vergnügen, dieser Institution einen recht unangenehmen Teil ihrer sauer erworbenen Einkünfte in den Rachen zu werfen. Die Beziehung des Katholiken zu katholisch.de verläuft daher in mannigfaltiger Weise so ab wie jener des Gebührenzahlers zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk: ob Sie wollen oder nicht, das irre Spiel, was da geliefert wird, ob nun das Framing-Manual der ARD oder die Ergüsse eines Kommentators auf dem von der Bischofskonferenz ins Leben gerufenen Portals werden von ihren Beiträgen bezahlt. Die Chose ist daher zu ärgerlich, als sie nicht zu kommentieren, aber zu wenig wütend machend, als aufgrund der irren Gewohnheiten klerikal-reformerischer Kreise der oberen tausend im deutschen Verwaltungskatholizismus* nur an Austritt zu denken (dafür sind die Herrschaften dann doch zu unwichtig, der Teufel verprellt ja nicht, er verführt durch besser wirkende Angebote).
Lohnend ist die Befassung mit einem der jüngsten Kommentare auf dieser Seite auch deswegen, weil es sich um einen Angriff auf die Mitbewerber im katholischen Publizismus handelt, die – um einen Kollegen aus dieser Szene sinngemäß zu zitieren – nur bei einem Hundertstel des Kirchenportalkapitals vermutlich weit mehr reißen könnten als so mancher Redakteur von kirchensteuerlichen Gnaden. Kurz gesagt: es handelt sich hier auch immer um einen Streit zwischen den „freien“ katholischen Medien, die sich selbst finanzieren, dezentral agieren, und ihren mangelnden Wettbewerbsvorteil hinsichtlich herangekarrter Gelder durch Innovation, Kreativität und – Achtung, jetzt wird es dunkelkatholisch! – authentischen Glauben ausgleichen.
Insofern ist dieser Artikel als Lamento zu verstehen. Denn irgendwie schaffen es diese freien Webportale und kleinen Blogger, so viel Aufmerksamkeit zu generieren, dass sie größer scheinen, als sie sind. Darüber mokiert sich der Chef vom Dienst, gesteht damit aber natürlich indirekt ein, dass diese Seiten offensichtlich etwas haben, woran es dem Schlachtschiff der katholischen Webpublizistik mangelt. Was das sein könnte, wird nicht hinterfragt; stattdessen wird auf den Feind, der in einem „wir gegen die“-Schema mündet, munter geschossen. Ein Schema übrigens, das üblicherweise gerade von progressiven Kräften an konservative Vertreter geheftet wird. Der Feind, den der Redakteur konstruiert, sieht etwa so aus: Besucher der alten Messe, gegen Gleichberechtigung von Mann und Frau, an alte Hierarchien orientiert und „rückwärtsgewandt“.
Das sind sehr interessante Kategorien, denn mit dem hypothetischen Gegenbild zeichnet der Redakteur das von ihm gewollte Bild eines Idealkatholiken. Fraglich bleibt, inwiefern das mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau, bzw. den „alten Hierarchien“ gemeint ist. Dass die alle nämlich letztendlich unmittelbar auf Jesus so zurückgehen – die Kirche als Sukzession der Apostel baut letztlich nur auf Männern auf und Jesus war mit Sicherheit alles andere als ein Demokrat, der seine Regeln im Stuhlkreis festlegte – rückt das Weltbild des verantwortlichen Redakteuers vielleicht in ein „progressives“ Milieu, ob das dann aber noch katholisch ist, steht auf einem anderen Blatt. Die Kirche kann schlicht nichts ändern, was Gott so angesetzt hat.**
Insofern ist auch der Vorwurf der „Rückwärtsgewandtheit“ ein recht fraglicher – denn die „Reformen“ in der zweitausendjährigen Geschichte der römisch-katholischen Geschichte gingen ja eben nicht von Revolutionären, sondern Reaktionären aus. Reform, das hieß, zur guten alten Zeit, zu den guten alten Zuständen, zu den guten alten Sitten zurückzukehren. Die Kirchenväter haben eher auf die Durchsetzung althergebrachter Traditionen gesetzt. Daher sticht auch der Vorwurf hinsichtlich sog. „Reformgegner“ nicht, denn Reform hieße ja gerade das, was die Beklagten verlangen, kirchengeschichtlich gesprochen.
Eine absolute Versteigung erfährt das kleine Kampfkommentärchen mit der folgenden Note: „Es werden Stellungnahmen und Kampfschriften der ewig gleichen Kirchenvertreter publiziert, die in der Kirche längst an Bedeutung verloren haben oder die diese niemals besaßen.“ Wie immer bleibt die Klage diffus, Namen von Portalen, von Blogs, von Kirchenvertretern (!) werden nicht genannt. Meint er vielleicht Kardinal Müller, immerhin ehemaliger Chef der Glaubenskongregation? Vielleicht Kardinalpräfekt Sarah? Oder doch Carlo Maria Viganò, der früher als Generalsekretär des Governatorats der Vatikanstadt immerhin mal so etwas wie der de facto Bürgermeister des Vatikans war? Wir wissen es nicht. Eine bedauerliche Angelegenheit, denn Journalisten sollen ja eher Klarheit schaffen als Nebel. So stochert man als Leser genauso im Dunkeln wie der Redakteur mit seinen Tiraden – sie schlagen in alle Richtungen aus, treffen aber niemanden konkret. Warum einige Kardinäle überdies besser sind als andere, lässt der Autor ebenso offen; offensichtlich, weil sie eben nicht die Meinung oder anberaumte Agenda des Autors teilen.
Der Kommentar ist demnach genau das, was er eigentlich seinen Gegnern vorwirft. Laut. Er ist verärgert, wütend, getrieben, austeilend, unkonkret, dadurch in beängstigender Weise irrational und emotional; er reklamiert Aufklärung und Vernunft, weil er seinen Gegnern, die er nie richtig benennt – abgesehen von einem diffusen Mischbild eines möglichen Piusbruder-Trolls im Internet mit großer Reichweite – eben das Gegenteil unterstellt. Dass es sich nur um ein Klischee handeln kann, kommt dem auf Qualität und seriösen Journalismus wert legenden Portal (denn das ist ja der große Unterschied zu den anderen Portalen und Blogs des Gegners) nicht in den Sinn. Welche Filterblase hier wirkt, ist ersichtlich; es ist aber mit Sicherheit nicht die der verbrämten Traditionalisten.
„Wer laut ist, hat meist weniger Macht als er denkt“ fasst demnach das zusammen, was im Politischen schon so oft als Dogma gefallen ist: Projektion des eigenen Zustandes auf den Gegner. Denn offensichtlich ist für ein millionenschweres Nachrichtenportal das eine Prozent der Anhänger des Alten Ritus und die wenigen verstreuten Stimmen, die sich gegen einen relativistischen denn reformerischen Kurs stellen, bereits unerträglich geworden. Welche „Regenten“ und „Professoren“ vor Kritikern angesichts der verbreiteten Aufgabe des Althergebrachten – Zölibat, Abendland, exklusive Eucharistie – Angst haben, sind wohl in diesem Falle eher an einer Hand abzuzählen, wenn das deutsche Staatsoberhaupt die „Kommunion für alle“ fordert und Priester in jedem Lokalblatt die römische Sexualmoral in Frage stellen. Es ist wie so oft: der schaurige Kampf gegen Geister im Nebel. Wie man Personen, die im Nebel selbst erdachte Gespenster laut anschreien, üblicherweise nennt – das bleibt Ihnen überlassen. Da hilft wohl auch der vermeintliche unheilige Rest nichts, der solchen Journalismus wünscht und fördert.
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*Amtskirche, so monierte man mir kürzlich gegenüber, „geht gar nicht“.
**Oder sie kann es, muss dann aber mit der Konsequenz leben, nicht mehr Kirche zu sein – und hat als rein caritativer Verband nicht mehr das Recht, sich auf Christi Verheißung zu berufen. Dass die Wahl zwischen beiden Möglichkeiten heute offensichtlich schwerfällt, legt einige unschmeichelhafte Rückschlüsse bezüglich der real-existierenden Kirche nahe.