Bitte verzeihen Sie, dass ich Sie störe; es ist mir eine sehr, sehr unangenehme Angelegenheit, bedaure es bereits zutiefst, Ihre Gedankenkreise einzunehmen und womöglich vom nächstliegenden Tab Ihres Browsers abzulenken; womöglich wollen Sie auf einer Seite der sozialen Medien ihre ikonographisch-schlicht gehaltene Zustimmung zum Lieblingsessen eines Freundes aus Oberammergau bewerten, auf Amazon ein Päckchen bestellen oder auch eher anzügliche Angebote jenes Weltennetzes benützen, von denen ich als Cherub nur begrenzte Kenntnis besitzen sollte (seien Sie darin bestätigt, dass ich alle meine Augen davor verschließe).
Ich möchte mich – wie gesagt – nicht allzu sehr einmischen. Mein Name? Nennen Sie mich Leonhard. Das machen hier alle so. Keine Schüchternheit, mein bester, meine teuerste! Das verwundert auch einige, die bei Petrus vorbeikommen, und sie denken sich immer wieder: Leonhard? Wenn Sie darauf bestehen, und wirklich nur, wenn Sie darauf bestehen: mein gesamter Name lautet Leonard de Hiezecihelis et Sancti Marci, doch wahrscheinlich wird Ihnen der Name Leo durchaus vortrefflicher und einfacher auszusprechen scheinen. Es ist ganz Ihrem Gusto überlassen, fühlen Sie sich nicht allzu sehr gezwungen!
Das mit Hesekiel ist übrigens ein Insider. Aber ich komme ins Schwätzen – verzeihen Sie, tausendfach.
Meine bescheidene Existenz ist nicht dafür bekannt zu jammern. In der Tat ist durchgängiges Lobpreisen sogar eine meiner Hauptbeschäftigungen, wenn es nicht gerade darum geht, die Apokalypse herbeizubrüllen – aber, bleiben Sie beruhigt, bis dahin ist es noch etwas Zeit. Unsereins verbringt üblicherweise sonst den Alltag damit, mit einem äußerst dickköpfigen Schriftsteller zu parlieren, der aufgrund einiger unglücklicher Missverständnisse den Märtyrertod in Alexandria gefunden hat, oder sich zum gemeinsamen Grillen mit Laurentius zu treffen (außer Freitags, da lädt Blasius zum Fischessen ein, aber das wussten Sie bestimmt bereits). Es ist weitaus besser als Sie sich vorstellen. Die unerfreulichen Erfahrungen eines engelhaften Kollegen, der mit der Aufgabe betreut wurde, der bayrischen Regierung die göttlichen Ratschläge auszuliefern, sind hier in der Tat nicht Gang der üblichen Dinge; Petrus hat allerdings einen einmaligen Sinn für Humor, wenn es darum geht, Münchener zu begrüßen.
Seien Sie versichert: wenn Sie nicht gerade aus München kommen, dann müssen Sie nicht mit dem Aufnahmeritual zurechtkommen, auf einer Wolke sitzend Harfe zu zupfen und sich von Manna zu ernähren. Allerdings haben auch himmlische Heerscharen Humor, und es ist ein schöner Zeitvertreib, sodass bei Georg, Mauritius und der Truppe keine allzu große Langeweile aufkommt.
Wo war ich? Ach, verzeihen Sie! Neben meinen diversen Verpflichtungen bin ich auch noch ein sprechendes Wappen. Ich hoffe, das verstört Sie nicht allzu sehr. Aber in ein paar Jahrtausenden sammelt sich so einiges an. Vertrauen Sie mir, ich bin bei der derzeitigen Leitung des Vatikans auch erfreut, dass bisher noch keiner auf die Idee kam, mich irgendwie zu erwähnen oder neue Aufgaben aufzubürden. Im Gegenteil! Ich bin ein großer Freund des derzeitigen Pontifikats. Hören Sie bitte nicht dort unten mit der massenhaften Heiligsprechung auf – das nimmt uns hier einiges an Arbeitsteilung ab. Ignatius sieht das zwar alles etwas anders und hätte da ein gewisses Gespräch zu führen (seine Meinung, nicht die meinige!) – aber was waren das für Zeiten, als Petrus noch ganz allein auf alle Seeleute aufpassen musste? Sie verstehen den Punkt, richtig? Gut.
Zurück zum Wappen! Ich bin gewöhnt und geehrt, immer wieder die Freude zu haben, als Evangelistensymbol von Städten und Staaten posieren zu dürfen. Bitte lesen Sie aus solchen Umständen keine Eitelkeit heraus, es ist nur eine ästhetische Angelegenheit, die ich zu entsprechender Stunde goutiere. Es scheint mir nur anderthalb Äonen her, dass ich meinen gerade wohltemperierten Earl Grey in die Kralle nahm und erfuhr, dass die Republik Venedig mein Emblem auf die Flagge setzte. Eine wahrhaft schöne Geste! Und nein, ich lasse mich von derlei nicht allzu sehr verwöhnen und dächte nicht auch an andere schöne Gemeinden, klein aber fein, die meiner gedenken (an dieser Stelle ein Gruß nach Oberickelsheim und Saint-Marc-Jaumegarde! Sind Leser aus diesen Orten anwesend? Nicht? Schade).
Mit Sicherheit wissen Sie, dass auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gerne derlei Wappengeschmäcker pflegen. Nicht ohne Stolz darf ich anmerken, dass gleich drei Päpste des 20. Jahrhunderts mein Antlitz kürten, damit es seinen Platz auf ihren Wappen einnimmt. Dies hat mich außerordentlich gerührt. Ebenso bin ich jedes Mal gerührt, wenn von einer solchen Möglichkeit auch auf niedrigeren Amtshöhen Gebrauch gemacht wird. Dafür möchte ich mich ganz herzlichst bedanken.
Mit größter Betroffenheit musste ich jedoch feststellen, dass nicht jeder mein Zeichen im würdigsten Andenken behält. Wie ich bereits sagte: sprechendes Wappen. Ein gewisser Würdenträger hat aus diesen Gründen meine bescheidene Entität erwählt. Marx ist eine Form von Markus, und so empfand es wohl dieser Prälat als äußerst naheliegende Wahl. Ich hatte anfangs nicht dagegen, dergleichen ist seit einigen Jahrhunderten guter Ton, und da selbst ein großes italienisches Versicherungsunternehmen es sich nicht nehmen ließ, unter meinen Flügeln Schutz zu suchen, warum dann nicht ein Westfale, der in Trier und München Karriere machte? Ich bin nicht wählerisch, freue mich immer wieder über solche Bekenntnisse.
Nun denn. Wissen Sie, ich bin kein durch und durch unpolitisches apokalyptisches Wesen. Mit Venedig habe ich zusammen mehrmals ein paar Sarazenen gerissen. Ich bin immer der Meinung gewesen, dass ein Missbrauch kein Missbrauch ist, wenn er der Sache Christi dient. Das nennt sich in Ihrem Jargon Arbeitnehmerloyalität, früher war es Vasallentreue und hier oben haben wir einst eine ziemlich große Nummer rausgeworfen, weil dieser durchaus talentierte Engel dachte, er könne es besser als der Chef. Ich bin der festen Ansicht, dass Hierarchien nicht die schlechteste Sache sind.
Anders verhält es sich mit dem Alltagsgeschäft der Politik. Unsereins kennt eigentlich nur zwei Parteien, die merkwürdigen demokratischen Schattierungen sind mir ebenso ein Graus wie diese langweiligen Debatten, die sich um zwei Prozent einer belanglosen Steuer drehen, deren Name und Zweck in dreitausend Jahren sowieso wieder keine Rolle spielt. Und Sie empfinden andauerndes Hosianna-Singen als langweilig?
Leider ist die von mir genannte Person, nämlich Herr Marx, bereits in den letzten Jahren als äußerst negativ auffallendes Individuum geläufig gewesen. Sie werden anführen, dass das auch bei einigen Päpsten so war. In der Tat. Aber Borgia war unterhaltsam. Ich weiß nicht, wo sich Rodrigo aufhält – in der Tat habe ich ihn seit gefühlten fünfhundert Jahren nicht mehr gesehen, sein Aufenthaltsort ist mir schlicht unbekannt – aber wenn ein Prälat Politik macht, die außerhalb von Renaissancebanketten und Kreuzzügen fällt, bin ich immer ein ganz klein wenig skeptisch.
Allerdings habe ich mich bei der gestrigen Lektüre der Zeitung beinahe am schottischen Shortbread verschluckt – eine im Übrigen sehr freundliche Schenkung von Mungo, dessen Jahrestag morgen ist, alles Gute von meiner Seite und Dank an die Küche! – als ich las, was Herr Marx dort äußerte. Es ist eine äußerst blamable Angelegenheit für alle Seiten, wenn sich ein Kardinal vom „Christlichen Abendland“ distanziert, dessen leitendes Wappenzeichen immer wieder zur Glorie Christi erscheint, ob als Fahne im Krieg, als Malerei in Kirchen, als Ausweis christlicher Stadtkultur oder klerikalen Selbstverständnisses in marquesker Tradition. Verzeihen Sie bitte, wenn ich deswegen eine sehr radikale Entscheidung getroffen habe, eine Entscheidung, die mir Bauchschmerzen bereitet, da es sich um einen Präzedenzfall handelt. Aber Instrumentalisierung bedarf der Distanz, und in diesem Falle möchte ich nicht mit meinem Bild für etwas bürgen, was einem jeden Seraph, Cherub oder Erzengel höchst zuwider ist.
Ich fordere daher – so leid es mir tut und so sehr es meinem Löwenherze Pein bereitet – Herrn Marx dazu auf, mein Antlitz aus seinem Wappen zu entfernen. Ich möchte mit solcherlei Angelegenheiten nichts zu tun haben. Solcherlei Politik ist für jemanden meines Standes eine ausgeschlossene Sache.
Solange dieser betrübliche Missstand nicht abgeschafft wird, sehe ich mich dazu gezwungen, mit Petrus ein ernsthaftes Gespräch zu führen. Herr Marx wurde zwar in Geseke geboren, aber ich denke, als Erzbischof von München-Freising wäre er es nur ein Gebot gentlemanesquer Fairness, ihn in dieselbe Kategorie wie seine Schäfchen einzureihen. Und ich bin sehr sicher, uns fällt noch etwas mehr ein. Korbinian machte da neulich einen Vorschlag. Ich möchte dazu nichts mehr sagen – Sie kennen mich, ich kann Geheimnisse behalten wie ein Grab, Gesprächigkeit und Schwätzerei ist mir ja höchst zuwider – aber es geht wohl um eine besonders eigensinnige Verwendung seines Packbären.
Ansonsten gäbe es da ein paar Leute, die ein ernstes Wort mit Herrn Marx hier oben sprechen wollen, zuvorderst jene, die eben für dieses „christliche Abendland“ Leib und Leben gelassen haben. Im Gegensatz zu jenen zeichnet sie weniger Betrübnis als – sagen wir – eine negative Beeinflussung ihres allgemeinen Amüsements. Ich möchte das nicht als Drohung, sondern als freundlichen Hinweis verstanden wissen.
Glauben Sie mir, Capistran kann ein oftmals sehr sanguinischer Gesell sein, aber derzeit ist er wirklich ungehalten.