Elitäre Mitläufer

27. März 2018
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Carl Schmitt | Freiheit | Historisches | Machiavelli | Medien

Auf der Webseite des Ersten finden wir eine Buchrezension zu „Die Staatsräte“ von Helmut Lethen. „Titel, Thesen, Temperamente“ bezeichnet das Werk als eine „Auseinandersetzung mit rechten Hausheiligen“.

Damit beginnen die Merkwürdigkeiten: denn der Staatsrechtler Carl Schmitt gehört mit Sicherheit dazu. Aber der Schauspieler Gustaf Gründgens, der Chirurg Ferdinand Sauerbruch und der Dirigent Wilhelm Furtwängler? Mit Sicherheit: letzterer gehört zu den Hausseligen der Casa Gallina. Aber eben nicht aus ideologischen Gründen. Womöglich geht es einigen Theaterliebhabern ähnlich, die sich womöglich gar nicht als rechts verorten, aber dennoch Gründgens verehren. Andersherum besteht mit Sicherheit in Schnellroda oder in den neurechten Haushalten von Benoist und Camus keine Verpflichtung dazu, die Interpretation von Beethovens 9. Sinfonie oder Gründgens Rolle als Mephisto gutzuheißen, nur, weil diese im Nationalsozialismus Karriere machten.

Was die vier verbindet, ist ihr „elitäres Mitläufertum“. Auch hier muss ein Narrativ bedient werden, dass die Geschichte im Grunde nicht hergibt. Denn alle vier Geistesgrößen wurden von den Nationalsozialisten protegiert – aber eben erst als Handlanger des Staates und nach der Machtergreifung. Insbesondere Carl Schmitt machte eine Totalwende, hatte er doch vorher Kurt von Schleicher beraten und vorgehabt, am Aufbau einer autoritären Präsidialdemokratie mitzuarbeiten. Hitlers Aufstieg zerschlug seine Ambitionen. Schmitt befand sich noch bis zur „Machtergreifung“ in Opposition zum Nationalsozialismus. Bestes Beispiel mag der Tagebucheintrag vom 30. Januar 1933 sein:

»War noch erkältet. Telefonierte Handelshochschule und sagte meine Vorlesung ab. Wurde allmählich munterer, konnte nichts arbeiten, lächerlicher Zustand, las Zeitungen, aufgeregt. Wut über den dummen, lächerlichen Hitler.«

Die Rolle Schmitts ist deswegen eine besondere, weil wohl niemand zugunsten eigener Ambitionen sich so dem Regime an den Hals geworfen hat wie er. Vorher im politisch-theoretischen Widerstand, machte er es Hitler so recht wie er nur konnte. Schmitt war demnach ein Karrierist und Wendehals, die Ideologie folgte dem Aufstieg.* Es wiederholt sich die Tragik des Faust’schen Paktes.

Warum die Ausführungen? Weil die Einleitung des Rezensenten die heutigen Ereignisse in eine Reihe mit den damaligen stellt:

„Wie viel Zündstoff im Reden über die Rechten und mit ihnen liegt, das zeigt die Debatte im Anschluss an die Auseinandersetzung über Meinungsfreiheit, die sich die beiden renommierten Schriftsteller Durs Grünbein und Uwe Tellkamp in Dresden lieferten.“

Tellkamp also in einer Reihe mit Schmitt? War Furtwängler tatsächlich ein „Rechter“? Die Suggestionen ergeben vor den historischen Kulissen so gut wie gar keinen Sinn. Außer, wenn man „Bilder“ evozieren will. Das Bild ist aber auch deswegen schief, weil Tellkamp ja gerade nicht vom Staat protegiert wird. Statt dass uns Schmitt und Konsorten als mahnendes Beispiel derjenigen dienen, die auch heute ihre Überzeugungen zugunsten des Zeitgeistes und staatsmedialer Meinungen ablegen, wird wieder die Mahnung vor dem aufkommenden Vierten Reich zelebriert. Ein Name, der wie Schmitt in der Tradition von Thukydides und Machiavelli denkt, und seine Geisteskraft staatspolitischer Raison opferte (wenn auch nicht von vergleichbarer Intelligenz wie der Kronjurist des Dritten Reiches) fiele zumindest mir spontan ein. Ähnliche, traurige Szenen erwarten einen, wenn er sich die Fernsehfilme jüngerer Zeit anschaut, verbunden mit Schauspieler- und Komikerkarrieren, die immer dann an Tantiemen gewinnen, wenn sie den politischen Gegner und dessen Ideologie attackieren.

Weitab von der Rezension hätte man also das Buch durchaus als Inspiration zur Reflektion über die heutige Verzahnung des Staates mit der Politikwissenschaft und Unterhaltungsindustrie dankbar aufnehmen können. Es bleibt beim bräsig-moralischen Ton des besten Staatsfunks aller Zeiten:

„Bis heute sieht er [Lethen] sich als Linker, der einst nach anderen Antworten auf die deutsche Vergangenheit suchte und sich heute gegen das Erstarken der Rechten wehrt. Seine Tragik ist, dass er den Konflikt persönlich erlebt. Er ist verheiratet mit der Philosophin Caroline Sommerfeld, dem Shootingstar der Identitären Bewegung. Im vergangenen Herbst erschien ihr Buch „Mit Linken leben“, das sie gemeinsam mit dem identitären Ideologen Martin Lichtmesz geschrieben hat.“

Es sagt mal wieder so viel aus: er erlebt persönliche Tragik, weil mit Sommerfeld verheiratet – und bekommt in der ARD einen Artikel samt Interview. Und Sommerfeld, vice versa? Bei der ARD sind die Rezensenten vermutlich noch des Lesens mächtig, allein das Verstehen will nicht so recht gelingen.

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*Wenn auch nicht in allen Belangen. Stichwort Schmitt’scher Großraum contra NS-Lebensraum.

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