Die Tagesschau rühmt sich ob ihrer Faktenfinder, gewissermaßen das globale Medium gegen Donald Trump, Putin und die vereinigte rechtspopulistische Internationale. Er wurde bereits einmal im Zuge der Dieselaffäre hier vorgestellt, als die Tagesschau quasi völlig ungefiltert die Propaganda der Deutschen Umwelthilfe übernahm. Unter dem Titel „Hass als Strategie“ hat das Medium über die Italienwahl berichtet – und tritt mit einer Mischung von ideologisch geprägter Interpretation und Halbwahrheiten auf.
Das Ergebnis der italienischen Parlamentswahl vom 4. März war ein deutlicher Rechtsruck. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus und Senat bekamen rechtsextreme und neofaschistische Parteien mehr als 23 Prozent der abgegebenen Stimmen. Besonders erfolgreich war Matteo Salvinis Lega, die mit offen fremdenfeindlichen Parolen auf Stimmenfang gegangen war und nun als stärkste Partei im Mitte-Rechts-Lager Italiens Regierungschef stellen möchte. Aber auch die Erben des Faschismus, wie Fratelli d’Italia, Casapound und Forza Nuova, kamen zusammen auf fast sechs Prozent.
Die Lega ist keine rechtsextreme Partei. Weder hat sie vor, die freiheitlich-demokratische Grundordnung abzuschaffen – sie regiert eher reichlich unaufgeregt in zwei der wichtigsten italienischen Regionen und war auch mal auf Nationalebene beteiligt – noch hat sie Interesse an einem autoritären Zentralstaat. Die apokalyptischen Reiter blieben uns erspart. Außer natürlich, man hält die Einführung des Föderalismus für das größte Übel der Menschheit. Von mir aus darf man die Lega rechtspopulistisch oder auch eine Vereinigung von Klein- und Wutbürgern nennen, aber ob allein EU-Skepsis und Einwanderungskritik mittlerweile dafür ausreicht, um jeden gleich als rechtsextrem zu brandmarken, bedürfte doch zuerst einer Revision des Wörterbuchs und der politischen Definition.
Ähnliches gilt für die Fratelli d’Italia. Ja, die historische Entwicklung lässt sich bis zur Alleanza Nazionale (1995-2009) zurückführen, die wiederum Nachfolgepartei des Movimento Sociale Italiano (1946-1995) ist, die wiederum eine Gründung von ehemaligen Mitgliedern des Partito Fascista Repubblicano (1944-1945) war, die wiederum eine Nachfolgerpartei des Partito Nazionale Fascista war. Endlich! So viele Schritte, so viele Jahrzehnte brauchte es. Fällt was auf? Na?
Ja, die Aufzählung war lächerlich. Bereits die Alleanza Nazionale war zwar eine nationalkonservative Partei, aber hatte sich bereits vom Faschismus abgegrenzt. Die AN ging dann 2009 in Berlusconis Parteibündnis Popolo della Libertà auf – so weichgespült waren diese vermeintlichen Erben des Faschismus bereits. Die Fratelli d’Italia gingen daher auch nicht direkt aus der AN hervor, sondern als Abspaltung von Berlusconis Partei, weil man ein Problem mit Berlusconis Politik, seinen Zielen und auch seiner Person hatte. Die heutige Parteichefin Giorgia Meloni war nicht nur mal Ministerin für Jugend und Sport, sondern hat sich mehrfach vom Faschismus distanziert, weil – nun ja – man in Italien es einfach nicht so drauf hat mit diesem ewigen Herumgewälze in der Vergangenheit.
Zuletzt insinuiert der letzte Satz, dass die drei Parteien vergleichbar seien. Während die FdI ihre Probleme mit dem Faschismus haben, wird man bei der Forza Nuova und CasaPound nur wenige Vertreter finden, die sich nicht als Faschisten bezeichnen würden. Die Zusammenlegung (fast sechs Prozent) verfälscht aber die eigentlichen Fakten und erweckt den Eindruck einer stärkeren Präsenz der FN und von CasaPound, als sie tatsächlich ist. Von den sechs Prozent fallen 0,95 % auf CasaPound und gerade mal 0,38 % auf die FN (unter dem Motto: Italia agli Italiani). Der Löwenanteil von 4,35 % fällt auf die FdI.
Richtig müsste es also heißen: 21 Prozent entfielen auf rechte Parteien. Rechtsextreme und (neo)faschistische Parteien kamen auf 1,3 Prozent (ein Wert, der ziemlich genau dem der NPD bei der Bundestagswahl 2013 entspricht).
„Wir können auf jeden Fall nachweisen, dass der Online-Einfluss, den rechtsextreme Aktivisten versucht haben auszuüben, sehr, sehr hoch ist. Sie haben sich teilweise abgesprochen in verschlüsselten Chat-Applikationen, um gezielt die Propaganda von rechtsradikalen Parteien vor allem auch zugunsten Salvinis, aber auch Fratelli d’Italia, Casapound, da vor allem die Propaganda zu verstärken.“
Das ist der ganze Skandal dieser Nachricht. Leute vernetzen sich übers Internet und tauschen sich aus. Dürfen die das? Hat Herfried Münkler nicht gesagt, diese Arbeit von Nationalisten untereinander sei sowieso letztendlich nur eine Sache auf Zeit und funktioniere nicht? Und warum ist dasselbe bei anderen Parteien erlaubt? Haben die etablierten Parteien etwa keine Berater, die vom amerikanischen Wahlkampf gelernt haben? Und wie redlich ist eigentlich die Skandalisierung eines solchen Verhaltens, wenn deutsche Parteien ausländische Parteien nicht nur beraten, sondern auch noch per Spende unter die Arme greifen – so wie bei Hillary Clinton 2016 geschehen?
Die ganze Argumentation mutet in dem Falle lächerlich an; hier wird ein völlig übliches Mittel im Krieg der politischen Meinungsmache verwendet. Mit der Einschränkung: quod licet Iovi. Den politischen Gegner einfach als verkappten Nazi darzustellen und deswegen a priori von jedweder Förderung auszuschließen, mag zwar das Niveau eines selbst ernannten Faktenfinders sein – dass die Doppeldeutigkeit des Wortes bisher nicht in Redaktionskonferenzen aufgefallen ist, spricht für die Humorlosigkeit der Verantwortlichen – beleidigt aber die Intelligenz des mittelmäßigsten Zuschauers.
Ein Beispiel: Nachdem der Neofaschist Luca Traini am 3. Februar in Macerata sechs Migranten mit einer Pistole angeschossen und vor seiner Festnahme den rechten Arm zum „römischen Gruß“ gehoben hatte, versuchten rechte Netzwerke die Deutungshoheit zu gewinnen und extrem rechte Positionen in den Mainstream zu bringen.
Schnell kursierten im Netz Bilder und Graphiken, so genannte „Memes“, die Traini als Helden darstellten und seine Tat als Teil eines Krieges, um den „Untergang der weißen Rasse“ abzuwenden.
Damit sollte, erklärt Ebner, ein angeblicher „Rassenkrieg“ in den Mittelpunkt gerückt werden. Und diese Strategie sei erfolgreich gewesen: Man habe danach wirklich einen starken Anstieg gesehen in den Gesprächen zu Immigration und einen starken Anstieg sowie Zulauf zu rechtsextremen Gruppen nach dem Anschlag.
Was wir eher sehen, ist ein Blick in die merkwürdigen Kausalketten, die sich in den Köpfen mancher ideologisch leider doch schon sehr weit beeinträchtigten Schreiberlinge ergeben. Ja, natürlich – dass man in Macerata der Lega über 20 % der Stimmen gab, hing damit zusammen, dass User im Internet Traini idealisierten und Memes mit Rassenkriegen hochluden. White pride und so.
Dass zuvor eine junge Italienerin von einem Nigerianer bestialisch zerstückelt wurde und die Emordung für regionales wie nationales Entsetzen sorgte, ist mit Sicherheit zweitrangig. Denn die Medien hätten ja mit Sicherheit darüber berichtet und den Fall richtig eingeordnet, statt sich nur auf Traini zu stürzen!
Nicht wahr?
In mehr als 40 Prozent der Fälle seien es Spitzenkandidaten wie Matteo Salvini selbst gewesen, die den Hass unter das Wahlvolk gebracht hätten, sagt Riccardo Nouri von Amnesty International Italia. Auch in Italien sei „dieser spaltende brandstiftende Diskurs angekommen, voll von xenophober Rhetorik“, sagt Nouri.
Beachtlich, wie wieder das Totschlagargument Hatespeech herhalten muss. Beachtlich auch, wie dauernd über Salvini gesprochen wird, aber niemals ein Beispiel genannt wird, was er gesagt hat. Um Missverständnissen vorzubeugen: doch, mit Sicherheit hat Salvini den ein oder anderen Spruch geklopft. Aber wäre es nicht besser bei einem Faktenfinder, den Fakt – also mal einen Ausspruch Salvinis – zu zitieren, damit das Publikum, das keinen Überblick über den Wahlkampf hatte, selbst einordnen kann, was es davon hält? Dauernd die Interpretation anderer Leute zu Wort kommen zu lassen ist kein Fakt, sondern Deutung. Aber Deutungsfinder hört sich nicht so prickelnd an für eine angebliche Informationssendung …
Diese Rhetorik lasse sich auf den Punkt bringen: „WIR gegen DIE.“ Diesen Hass habe es schon seit einiger Zeit gegeben, „aber das ist das erste Mal, dass wir sehen, wie das in einem Wahlkampf strategisch angewandt wurde“.
Wir gegen die. In einem Wahlkampf. Bei politischen Auseinandersetzungen! Jetzt bin ich baff. Das hat es ja noch NIE gegeben. Ehrlich.
Ja, ich weiß: wer lange genug in Deutschland lebt, könnte mit Sicherheit auf die Idee kommen, dass Merkel Spitzenkandidatin der SPD ist, und Schulz irgendwie auch Unionskandidat. Zumindest hatte man den Eindruck damals im Wahlkampf, Stichwort Kanzlerduett. Aber zur deutschen Weltoffenheit müsste eigentlich auch das Eingeständnis gehören, dass andere Länder das etwas anders mit der Demokratie verstanden haben. Wettbewerb. Wahlkampf. Freiheit statt Sozialismus.
Die Verbreitung von Hass ist also auch in Italien zum Mittel der politischen Auseinandersetzung geworden. Doch der Erfolg dieser Strategie lässt sich nicht präzise quantifizieren.
Heißt: eigentlich können wir nicht mit Sicherheit sagen, ob das, was wir eben erzählt haben, nicht reiner Stuss (weil irrelevant) ist, wir setzen es aber dennoch rein, weil: wir sind der Faktenfinder.
Und es ist nur scheinbar paradox, dass die, die nationalistische Propaganda verbreiten wollen, international bestens vernetzt sind, ihre Erfahrungen mit Netzwerken anderer Länder austauschen und offenbar auch gewillt sind, über Ländergrenzen hinweg vereint loszuschlagen.
Man erwartet eigentlich, dass es weiter geht. Denn wenn es nur scheinbar paradox ist, dann müsste ja eine Erklärung folgen, womöglich eingeläutet mit „denn“. Warum ist es scheinbar paradox? In dieser Konstellation bleibt es paradox, weil gar nichts erklärt wird. Sind also die angeblichen Nationalisten vielleicht doch nicht so national, wie die Redaktion annimmt? Wir werden es wohl nicht erfahren. Genau so wenig, wie wir irgendetwas Substantielles in diesem ganzen Artikel erfahren haben. Außer, dass wir für einen linksdrehenden Faktenfinder zahlen dürfen, der sich die Welt so erklärt, wie er will, und den Zuschauern das auch noch als Aufklärung verkauft.
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*Kleine Nebenbemerkung: nennen Sie mal einen Leghista Nationalist, Sie werden im besten Falle noch rechtzeitig ins Krankenhaus eingeliefert.