Was ich Thukydides und Machiavelli verdanke

21. März 2018
Kategorie: Antike | Fremde Federn | Italianità und Deutschtum | Machiavelli | Philosophisches

In seiner „Götzendämmerung“ finden wir bei Friedrich Nietzsche im Kapitel „Was ich den Alten verdanke“ folgenden Passus:

Den Griechen verdanke ich durchaus keine verwandt starken Eindrücke; und, um es geradezu herauszusagen, sie können uns nicht sein, was die Römer sind. Man lernt nicht von den Griechen – ihre Art ist zu fremd, sie ist auch zu flüssig, um imperativisch, um »classisch« zu wirken. Wer hätte je an einem Griechen schreiben gelernt! Wer hätte es je ohne die Römer gelernt!… Man wende mir ja nicht Plato ein. Im Verhältniß zu Plato bin ich ein gründlicher Skeptiker und war stets außer Stande, in die Bewunderung des Artisten Plato, die unter Gelehrten herkömmlich ist, einzustimmen. Zuletzt habe ich hier die raffinirtesten Geschmacksrichter unter den Alten selbst auf meiner Seite. Plato wirft, wie mir scheint, alle Formen des Stils durcheinander, er ist damit ein erster décadent des Stils: er hat etwas Ähnliches auf dem Gewissen, wie die Cyniker, die die satura Menippea erfanden. Daß der Platonische Dialog, diese entsetzlich selbstgefällige und kindliche Art Dialektik, als Reiz wirken könne, dazu muß man nie gute Franzosen gelesen haben, – Fontenelle zum Beispiel, Plato ist langweilig. – Zuletzt geht mein Mißtrauen bei Plato in die Tiefe: ich finde ihn so abgeirrt von allen Grundinstinkten des Hellenen, so vermoralisirt, so prä-existent-christlich – er hat bereits den Begriff »gut« als obersten Begriff –, daß ich von dem ganzen Phänomen Plato eher das harte Wort »höherer Schwindel« oder, wenn man’s lieber hört, Idealismus – als irgend ein andres gebrauchen möchte. Man hat theuer dafür bezahlt, daß dieser Athener bei den Ägyptern in die Schule gieng (– oder bei den Juden in Ägypten? …). Im großen Verhängniß des Christenthums ist Plato jene »Ideal« genannte Zweideutigkeit und Fascination, die den edleren Naturen des Alterthums es möglich machte, sich selbst mißzuverstehn und die Brücke zu betreten, die zum »Kreuz« führte… Und wie viel Plato ist noch im Begriff »Kirche«, in Bau, System, Praxis der Kirche!

Meine Erholung, meine Vorliebe, meine Cur von allem Platonismus war zu jeder Zeit Thukydides. Thukydides und, vielleicht, der Principe Macchiavell’s sind mir selber am meisten verwandt durch den unbedingten Willen, sich Nichts vorzumachen und die Vernunft in der Realität zu sehn, – nicht in der »Vernunft«, noch weniger in der »Moral« … Von der jämmerlichen Schönfärberei der Griechen in’s Ideal, die der »classisch gebildete« Jüngling als Lohn für seine Gymnasial-Dressur in’s Leben davonträgt, curirt Nichts so gründlich als Thukydides. Man muß ihn Zeile für Zeile umwenden und seine Hintergedanken so deutlich ablesen wie seine Worte: es giebt wenige so hintergedankenreiche Denker. In ihm kommt die Sophisten–Cultur, will sagen die Realisten–Cultur, zu ihrem vollendeten Ausdruck: diese unschätzbare Bewegung inmitten des eben allerwärts losbrechenden Moral– und Ideal–Schwindels der sokratischen Schulen. Die griechische Philosophie als die décadence des griechischen Instinkts; Thukydides als die große Summe, die letzte Offenbarung jener starken, strengen, harten Thatsächlichkeit, die dem älteren Hellenen im Instinkte lag. Der Muth vor der Realität unterscheidet zuletzt solche Naturen wie Thukydides und Plato: Plato ist ein Feigling vor der Realität – folglich flüchtet er in’s Ideal; Thukydides hat sich in der Gewalt – folglich behält er auch die Dinge in der Gewalt…

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