„Die Selbstbezeichnung als Abendland ist unglücklich“

16. März 2018
Kategorie: Carl Schmitt | Europa | Freiheit | Historisches | Machiavelli | Medien | Non enim sciunt quid faciunt

Kaum meldet man sich im eigenen Diarium zurück und lässt seinen Machiavelli auftreten, da meldet sich auch die stets wiederkehrende Nemesis des Mähnenbeschwingten zurück: Herfried Münkler stellte sich in der NZZ den Fragen Marc Felix Serraos.

Wie so oft stellt sich die Eingangsfrage: lohnt eine Betrachtung Münklers überhaupt noch? Wetze ich hier nicht nur Zähne ab, und vertrödle Zeit, die möglicherweise besser darin investiert wäre, die Feinkostwaren in der nahen Bäckerei auszuprobieren, wo es ab jetzt Blaubeerzimtschnecken und Hefebrötchen mit friesischem Quark zur Auswahl gibt?

Münkler ist und bleibt ein Phänomen: deswegen, weil er wie kaum ein anderer in Fleisch und Blut die Elite dieser Bundesrepublik abbildet. Manche mögen Elite nur noch als Ironie begreifen oder diese in Anführungszeichen setzen. Wenn der Löwe jedoch von Elite spricht, ist immer die machiavellistische Konnotation gemeint: Elite ist bar Begabung oder Position jeder, der in diesem Land in irgendeiner Form Macht, Einfluss oder Posten besitzt, im Gegensatz zum gewöhnlichen Volk. Es sind die Netzwerker, die Pfründeinhaber und Verlautbarungsorgane, gleich ob diese Talent haben oder nicht. Die Position macht die Elite, nicht die Begabung. So traurig das auch klingen mag: aber genau dieser machiavellistische Zynismus hat die Deutung des Begriffs schon vor 500 Jahren vorweggenommen.

Wer also Münkler seziert, seziert die bundesdeutsche Elite, ihren Habitus, ihr Selbstverständnis. Daher: doch, es lohnt sich immer noch auf Münkler einzugehen, weil sich in ihm schlichtweg alles personifiziert, was man als Grund für die derzeitige Situation dieses Landes und anderer Länder Europas als „Wurzelübel“ diagnostizieren kann. Es handelt sich um eine Schicht, die gerne den Oberlehrer spielt, sich weltgewandt und wissend gibt, zu den aufrechten Verteidiger fehlerhafter Systeme oder gescheiterter Persönlichkeiten gehört, wenn es um die eigene Besitzstandswahrung im geistigen wie im materiellen Sinne geht. Dahinter verbirgt sich nicht nur Arroganz und Selbstüberschätzung, sondern auch eine ideologische Verblendung. Fakten werden – ob bewusst oder unbewusst – verzerrt, umgedeutet oder geleugnet, wenn sie nicht ins Weltbild passen. Theorien werden nicht der Realität, sondern die Realitäten der Theorie angepasst. Man gibt sich weitschauend und vernünftig, jagt jedoch in Wirklichkeit Wunschbildern nach.

So hält sich beispielsweise Professor Münkler für einen Historiker, obwohl er Politikwissenschaftler ist, zudem für einen Integrationsexperten, Strategen und Philosophen. Vielleicht morgen auch für einen Astronauten, wenn man ihn zu seiner Meinung zum Raumfahrtprogramm der NASA oder möglichen Marsmissionen befragt. Der Interviewer lässt Münkler in viele solcher Fallen laufen – leider wird die Nacktheit des Kaisers wohl auch in diesen Fällen wieder mit feingeistiger Intellektualität verwechselt.

Was ist Europa, Herr Münkler?

Europa ist zuerst ein Kontinent, allerdings mit unklaren Grenzen. Nehmen wir den Osten. Nach den Reformen Peters des Grossen haben die Geografen die Grenze bis zur Wolga und zum Ural verlegt. Wenn dort eine solche Modernisierung stattfinde, dann ende Europa erst an der Westgrenze Russlands, war damals die Argumentation.

Bereits die Einstiegsfrage führt das vor Augen. Man mag den Löwen jetzt einen Pedanten schimpfen, aber die Aussage ist im Grunde falsch. Bereits für die Griechen stand fest, dass der Don die Grenze des europäischen Kontinents war; man nannte ihn Tana bzw. Tanaïs. Die große Stadt an seiner Mündung hatte dementsprechend denselben Namen, und bezeichnet das heutige Asow, nach dem das Asowsche Meer benannt ist (heute mündet der Don einige Kilometer entfernt bei Rostow ins Meer). Tana war eine griechische Kolonie und nordöstlichste Siedlung des griechischen Kulturraums. Später war es eine genuesische bzw. venezianische Kolonie. Durch die gesamte Kulturgeschichte lässt sich beobachten, dass Tana und der Don als letzter Außenposten europäischer Kultur galt – und vom Don bis zur Wolga ist es nicht weit entfernt. Auf Weltkarten wurde dieser Fluss daher als Grenze zwischen Europa und Asien besonders hervorgehoben.

Die Vorstellung ist also einige Jahrhunderte älter, als es Münkler darstellt, und auch nicht von Aufklärungs- bzw. Modernisierungsvorstellungen dominiert. Das Exempel mag veranschaulichen, was die Ideologisierung für Blüten treibt. Münkler spricht von Geographie, verwechselt diese aber mit Kultur (und da war es tatsächlich lange nicht klar, ob Russland dazu gehörte oder nicht). Bei letzterer tut sich Münkler abermals schwer, denn obwohl es diesen „kulturellen Zusammenhang“ Europas gibt, kann er sich nicht so recht damit abfinden.

Sie meinen das Abendland?

Ich meine die Frage: Ist Europa bloss ein Ensemble von Nationen, oder ist es durch eine gemeinsame Idee gekennzeichnet, die der Aufklärung? Abendland ist ein schwieriger Begriff. Luther hat den Begriff des Morgenlands erfunden, und das Gegenstück nennen wir deshalb Abendland. Aus dem Reich der untergehenden Sonne kommt aber nichts Gutes. Dort leben die Dämonen. Deshalb sind die Türme der grossen Kirchen alle nach Westen ausgerichtet. Zur Abwehr.

Wie die Wasserspeier an den Fassaden, die Monster aus Stein.

Exakt. Die Selbstbezeichnung als Abendland ist unglücklich.

Wie viele andere Intellektuelle seines Schlages und so ziemlich die gesamte derzeitige im Kampf gegen Rechts versammelte Professoren- und Journalistenschaft tut sich Münkler mit dem Abendland schwer. Für ihn gibt es nur die Aufklärung – so, als hätte es davor nichts Verbindendes gegeben! Christentum, römische Rechtsprechung, griechische Philosophie oder Renaissancehumanismus spielen keine Rolle. Damit kommt er in dieselbe Bredouille wie Winkler und Konsorten, die andernorts ausführlicher geschildert wurde, zieht die Linie aber trotzdem durch.

Zuerst zum Begriff: im romanischen Raum gibt es kein Abendland, es heißt immer Occidente; die Idee ist aber dieselbe. Dazu braucht es auch keinen Luther. Fast schon erheiternd widersprüchlich, dass Münkler offenbar vom Mittelalter nichts wissen will, obwohl er gerade die Bilder, die unsere Städte bis heute prägen, übernimmt: die Türme der Kathedrahlen sehen wir allerorten, wie können diese denn gar nichts mit uns zu tun haben? Selbst, als Serrao ihm dies überdeutlich auf die Nase bindet, merkt Münkler nicht, dass er gerade ein Kulturbild des alten Europa rezitiert, wie es auch von Huizinga stammen könnte.

Natürlich: Mit der Aufklärung kann der „Westen“ besser arbeiten und sich seiner christlich-antiken Identität besser entkleiden. Es funktioniert einfacher, weil wir dann nur noch säkulare Werte und Universalwerte haben. Das Problematische: unsere Vergangenheit ist damit nun einmal nicht weg, wir leben in einer spezifischen Umwelt mit historischen – und vor allem: komplexen – Parametern. Einige davon verstehen wir selber nicht, sie funktionieren rein instinktiv. Und wir werden sie auch nicht einfach los, weil wir sie wegreden oder neu erfinden. Wir tragen die Kathedralen und die römischen Ruinen auf dem Buckel. Zu behaupten, diese gäbe es nicht, macht diese nicht unsichtbar. Und schlimmer: ohne das Bewusstsein, dass es sie gibt, können wir auch zu enormen Fehleinschätzungen neigen.

Es sind Ideologien und Fehleinschätzungen wie diese, die dazu führen, dass afghanische Muslime ohne Probleme „neue Deutsche“ werden können. Es ist dies der Grund, warum ich diesen Anfang des Interviews in den Vordergrund stelle: im Grunde hat Münkler keine Ahnung, warum er gerade ein Interview geben kann, warum die Aufklärung entstanden ist, warum wir als einzige Zivilisation auf dem Globus diese Meinungsfreiheit, diese Intellektualität und diese Geschichte haben. Aufklärung schwebt frei im Raum, die Wurzeln und Gründe sind arkan. Die Gretchenfrage, warum Aufklärung immer exportiert wurde, sich aber nie von selbst in China oder Afrika entwickelte, bleibt unbeantwortet. Wir können nur sicher sein: mit der spezifischen Geschichte und Kultur Europas hat es bestimmt (nichts?) zu tun.

Die Widersprüchlichkeit und Phrasendrescherei Münklers wird dann offensichtlich, wenn er einerseits ein neues Europa-Narrativ bemüht – nämlich das der europäischen Kernunion – aber andererseits eben diese Erzählung vom Abendland gewissermaßen nicht gelten lässt. Zitat:

Die frühere deutsche Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff hat die grossen «Europa-Narrative» als unbrauchbar bezeichnet, als politischen Kitsch.

Vielleicht fehlt ihr als Verfassungsjuristin dafür der Sinn. Zu glauben, es genügt, wenn ein Regulationssystem vorhanden ist, das Juristen kompetent interpretieren können, ist politisch naiv. Es ist ungefähr so schlau wie jener Kommentar des preussischen Königs Friedrich Wilhelm III. zu einer Bemerkung, die Generalleutnant Gerhard von Scharnhorst über die Liebe des Volkes zum Vaterland notiert hatte: «Alles Poesie.» Scharnhorst antwortete damals: «Majestät, auf dieser Poesie ruht die Sicherheit ihres Thrones.» Daran würde ich auch die Verfassungsjuristen erinnern. Auf solcher Poesie ruht letzten Endes das europäische Projekt.

Warum ist nun das Narrativ des alten Europas, des Abendlandes so obsolet und problematisch, aber Münklers eigenes Europa-Narrativ nicht? Gibt es gute oder schlechte Poesie? Oder ist die Münkler-Poesie besser, weil es Münkler-Poesie ist? Warum sind Sentimentalitäten und „Ideen“ beim Prozess der EU wichtiger, als wenn es um die Identität der europäischen Völker geht? Darauf bekommen wir natürlich keine Antwort. Wir wissen nur: es muss wohl so sein. Womöglich aus Haltung. Verantwortung. Und so.

Und dennoch: nein, Münkler erzählt nicht nur Unfug. In seiner Einschätzung eines alten Europas der sechs karolingischen Staaten, eine Einigung, wie sie Adenauer und De Gaulle dachten, eine kerneuropäische Idee, wie sie auch noch Peter Scholl-Latour immer wieder als alter Gaullist ins Spiel brachte – in dieser Einschätzung hat Münkler ebenso recht wie, wenn er davon erzählt, warum diese Einheit nicht zustande kam.

Was wieder verstört: obwohl Münkler damit offen erklärt, dass das eigentliche Europa-Projekt gescheitert ist, und die heutige EU damit im Grunde nichts mit dem zu tun hat, was angedacht war, was wir brauchen, hält er eben diesem heutigen EU-Projekt die Stange. Und das, obwohl das Gebilde „kaum steuerbar“ ist, wie er selbst sagt. Oder – ebenfalls richtig – feststellt, dass die Krisen nicht vorbei sind, und nur Zeit gekauft wurde.

Münklers helle Momente treten dann aber völlig in den Hintergrund, als es um die EU und Merkel geht.

Ihrer Meinung nach akzeptiert die Peripherie die deutsche Vormachtstellung nicht trotz, sondern wegen der nationalsozialistischen Vergangenheit, weil sie das Land aussenpolitisch zähmt.

Ich habe von einem verwundbaren Semi-Hegemon gesprochen. Die kluge, zurückhaltende Art, mit der Frau Merkel auftritt, passt dazu.

Was ist klug an Merkels Politik?

Sie hält einen schwierigen Laden zusammen, indem sie laufend in die «common goods» investiert, die Gemeinschaftsgüter der EU. Das widerspricht den Imperialismus-Theorien mit ihrer Vorstellung eines Zentralakteurs, der die Ränder aussaugt.

Die Osteuropäer durften sich wegen ihres Widerspruchs in der Flüchtlingspolitik moralische Standpauken anhören. War das klug und zurückhaltend?

Frau Merkel hätte die Grenze im September 2015 dichtmachen und auf die Dublin-III-Verordnung verweisen können. Dann hätten sich die Menschen südöstlich von Ungarn gestaut, in einem Gebiet, auf dem kurz zuvor erst ein Krieg mühsam beendet worden war. Indem die Kanzlerin das Territorium der Bundesrepublik als Überlaufbecken für die Balkanroute eingerichtet hat, hat sie Europa gerettet.

Merkel, die edle Retterin: Deutschland geopfert, um Europa zu retten. Was Münkler nicht zu verstehen scheint: die „Flüchtlinge“ flüchteten ja im Sommer 2015 gerade nicht vor etwas weg, sondern gezielt wohin. Sie stauten sich auf dem Balkan, weil sie nach Mittel- und Nordeuropa wollten. Die Kanzlerin hatte die Situation auch nicht durch Öffnung der Grenzen gebessert, der Strom wurde nur noch unaufhörlicher. Erst das Winterwetter und die österreichische Balkanpolitik änderte daran etwas.

Aber nicht nur, dass die Ereignisse in einer interessanten Reihenfolge erzählt werden: Münkler bleibt bei seiner Feststellung aus vorherigen Jahren, Merkel habe von Anfang an einen Plan gehabt. All diese Erzählungen Münklers bezüglich eines „großen Plans der Kanzlerin“ (eine Illusion, der auch die Medien und breite Politikerreihen anhingen) verpufften jedoch spätestens mit dem Buch Robin Alexanders. Merkel wollte unschöne Bilder verhindern, fürchtete um Image und Gesicht, war getrieben von der Situation, statt sie zu steuern. Es war eines von Merkels typischen Wendehalsmanövern – das dürfte sich eigentlich mittlerweile herumgesprochen haben. Doch Münkler bleibt felsenfest bei seiner Analyse, mit der Beharrlichkeit eines marxistischen Wissenschaftlers, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erklären will, dass auf dem Kreml immer noch die rote Fahne weht. Und das auch noch im Moment, als Genosse Serrao ihn auf genau diese Fehler („Pull-Faktor“) hinweist. Aber wir haben eben den großen Plan der Kanzlerin noch nicht verstanden.

Aber doch nur für einen kurzen Moment. Die Grenzöffnung hat anschliessend als gewaltiger Pull-Faktor gewirkt.

Es gab das Konzept eines Dreischritts. Erstens: Die Leute kommen nach Deutschland. Zweitens: Die europäischen Grenzen werden gesichert; das ist relativ früh verhandelt worden, hat aber lange gedauert, weil die geopolitische Funktion der Türkei nicht gleich allen klar war. Drittens: Die Flüchtlinge werden in Europa verteilt.

Der zweite Schritt klappt kaum, der dritte gar nicht. War es nicht naiv, anzunehmen, dass sich die Migranten trotz dem riesigen wohlfahrtsstaatlichen Gefälle freiwillig über die EU verteilen lassen würden?

Das Problem ist die Haltung der Visegrad-Staaten, die sagen: Bei uns kommt keiner rein. Die Verteilung könnte man administrativ schon lösen. Aber die machen halt nicht mit.

Erinnern Sie sich noch Münklers freundlichen Semi-Hegemon Deutschland? An die Gemeinschaftsgüter der EU, die Merkel so gut wahrt? In welchem Buch Münklers haben wir das noch gleich gelesen … ach, es steht nur wenige Zeilen weiter oben! Widersprüchlich? Nicht für Münkler.

Haben wir alle Klischees durch? Nein, natürlich nicht. Es fehlt noch der Butzemann. Putin wurde bereits angedeutet, aber die rechte Bedrohung, ein Wurzelgrund wie in der Weimarer Republik, sie spukt auch hier wie überall dort, wenn die deutsche Elite sich zu Wort meldet.

Ihr 2016 erschienenes Buch «Die neuen Deutschen» kann man als Manifest gegen diese Entwicklung lesen. Sie beschreiben darin zusammen mit Ihrer Frau die Flüchtlinge als nationalen «Jungbrunnen». In den Feuilletons gab es viel Zustimmung. Bei Amazon hingegen …

… klingt das anders, ich weiss. Wenn man da genau reinschaut, sieht man viele vorformulierte Texte. Der Weg dieser intellektuellen Konserven führt vermutlich nach Schnellroda.

Zu dem rechten Verleger Götz Kubitschek?

Ja. Da oder an ähnlichem Ort ist das wohl vorformuliert worden. Wir haben auf unseren Lesereisen ganz selten jemanden erlebt, der mit solchen Positionen aufgetreten ist. Die Idee von meiner Frau und mir war die: Es ist ein Problem da, und das kann man als Nullsummenspiel oder als Win-win-Situation begreifen. Wir schlagen Letzteres vor. Wir sind überzeugt, dass sich Flüchtlinge, wenn man ihnen früh genug Angebote zur Sicherung des Lebensnotwendigen durch Arbeit macht, erfolgreich integrieren können. Das ist ja die grosse Angst der Rechten. Die wollen keine Integration. Die Flüchtlinge sind für sie der Hebel, mit dem sie 60 Jahre deutsche Einwanderungsgeschichte rückgängig machen wollen. Denken Sie an das Gerede von Politikern wie Poggenburg. Tellkamp hat in Dresden jetzt tendenziell dasselbe erzählt.

Paranoia und Verfolgungswahn – das mag hart klingen, stimmt aber in der Sache. Wie ein großer Teil der Medien- und Politikerwelt lebt Münkler offenbar in einer sich selbst bestätigenden Blase (ein Übel übrigens, das diese immer bei anderen verortet). Die Feuilletons mit ihrer Meinungsvielfalt und ihren überhaupt nicht voreingenommenen Journalisten, die allesamt die Ereignisse des Jahres 2015 bejubelten, haben Münklers Buch gut bewertet – das dort, wo normale Leser dieses rezensieren, es nur miserable Bewertungen bekam, muss einer Verschwörung aus Schnellroda geschuldet sein. Ähnlich wie bei Sieferle, dessen Schriften man ebenfalls verfälschte. Und da „Rechte“ sowieso nicht argumentieren können, gab es intellektuell vorbereitete Schablonen. Mann, was bist du klug, Herfried, jetzt haben wir es alle kapiert. Alle Gegner rechts und blöd. Willkommen in der Sandkastenfestung.

Aber Münkler hat noch nicht genügend gezeigt, mit was für einem geistigen Kaliber wir es zu tun haben. Wieder einmal vermischt er Flüchtlinge und Einwanderer, meint Flüchtling, wenn es um Aufnahme geht, aber Zuwanderer, wenn er von Integration spricht. Sind nun die Millionen von 2015 Flüchtlinge, die Asyl verdient haben, oder eben doch Immigranten, die integriert werden sollen? Ist der einfache Unterschied zwischen Asylant und Einwanderer so verschwommen? Ersterer geht üblicherweise zurück, wenn die Krise vorbei ist, ihn muss man ja eben nicht integrieren.

Schwamm drüber. Münkler scheint sowieso Probleme mit dem Thema zu haben. Von den hervorragend integrierten Libanesenclans und Kurdengangs im Ruhrgebiet lesen wir ebenso wie von der dritten türkischen Generation hierzulande, die mehr mit Erdogan als mit dem Deutschlandlied anfangen kann. Die Rechten müssen demnach die Integration erst gar nicht rückgängig machen. Vor „erfolgreicher Integration“ brauchen Rechte wirklich keine Angst zu haben. Es ist zu befürchten, dass wir ähnliche Erfolge wie damals verzeichnen werden. Wie immer fragt man sich, in welchem Deutschland die intellektuelle Elite der Bundesrepublik lebt, und ob man nicht vielleicht auch dahin ziehen könnte.

Sie vergleichen den Schriftsteller Uwe Tellkamp mit einem rechtsradikalen AfD-Politiker?

Jedenfalls was die Rückgängigmachung der westdeutschen Integrationsgeschichte angeht.

Woran lesen Sie das ab?

Er hat furchtbare Angst vor dem Islam.

Er hat, anders als Poggenburg, keinen einzigen deutschen Muslim beleidigt.

Gewiss. Dafür ist er zu intelligent. Für jemanden wie mich, der in der alten Bundesrepublik gross geworden ist, ist die Strategie dieser Herren besorgniserregend. Schauen Sie, auf welche Autoren Kubitschek und seine Leute rekurrieren, das ist die Rechte der Weimarer Republik.

Damit soll dieser Artikel enden. Neben Ideologie, Faktenresistenz, Falscherzählung und Abgehobenheit zeigt sich ein weiteres Übel, das in diesen Kreisen zum Guten Ton gehört: Denunziation. Wie schon in der Causa Sieferle wird auf Abweichler eingedroschen. Rechte Autoren wie die der Weimarer Republik werden pauschal als unanständige Wegbereiter der Nazi-Diktatur deklariert – obwohl Münkler selbst nicht nur einmal auf Carl Schmitt rekurrierte. Aber was heißt das schon? In der heutigen Republik gilt nicht so sehr, was Sie sagen, sondern wer Sie sind. Als Münkler fühlt man sich jedenfalls erhaben, solange man zur tonangebenden Kaste gehört. Wenn selbst Per Leo, der nun wirklich nicht als Verteidiger der Neuen Rechten um Götz Kubitschek gelten kann, auf der Buchmesse Münkler „Niedertracht“ wie bei Sieferle attestierte, scheint an dem Vorwurf etwas dran zu sein …

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