Ich werde einmal sagen können: ich war dabei. Bei was genau, das bedürfte wohl eher einer langjährigen Therapiestunde. #AufbruchInsUngewisse
— Italo (@434Italo) February 14, 2018
Böse Löwenmäuler könnten lästern, ich hätte ein paar Tage gebraucht um jenes groteske Mosaik ideologischer und belehrender Überzeugungen im Gewande eines weniger als mittelprächtigen Filmes zu verarbeiten. Ebenso böse Löwenmäuler könnten (neuerlich) anmerken, dass ich zum Masochismus neigte; nun denn, man kann kaum dauernd die Kassandra spielen und dann, wenn das Pferd in die Stadt gezogen wurde, einfach wegsehen. Das zum Einstieg: beim Fall des Abendlandes schaut man mit Contenance und wachem Blick zu, wenn man schon nichts mehr an den Zwangsläufigkeiten ändern kann. Als Historiker ist man ja ständig damit beschäftigt, den Verfall von Zivilisationen, Genozide, Katastrophen oder beklagenswertes Siechtum zu dokumentieren und zu analysieren. Ein miserabler Fernsehfilm mehr oder minder fällt dann auch nicht mehr ins Gewicht.*
Kurz und gut: die Bombardierung Dresdens oder die Eroberung Konstantinopels kann man sich nicht vom Balkon ansehen, bleibt also die morbide Lust an der Beobachtung des geistigen Verfalls der medialen Elite. Die Frage, die sich am Anfang stellt: was erwartet uns? Trash-Fernsehen, über das man wenigstens lachen kann? Reines, moralinsaures Theater nach bekanntem Duktus? Effektheischerei, um Gefühle aufzuwühlen und zu manipulieren? Die Antwort darauf gestaltet sich schwierig – denn alle dies trifft zu und doch irgendwie nur zum Teil. Was wir bekommen, ist das typische Geldgrab des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ein Cocktail aus all dem, weshalb die Kiste in der Familie Gallina seit Jahren ausgeschaltet bleibt; der x-te Familienfilm mit den ewiggleichen Schauspielern, Drehbuchautoren, ausgelutschten Klischees, moralinsaurer Botschaft und dem gleichzeitigen Anspruch, Unterhaltung auf höchstem Niveau in der Schule Brechts und Fassbinders zu bieten, alles verbunden mit dem Bildungs- und Demokratieauftrag.
Heißt: Tatort meets Lindenstraße meets ARD-Familiendrama meets himmelschreienden Dilettantismus. Das ist weder Zynismus noch Übertreibung, denn die verschiedenen Drehbuchatoren (!) des Films stammen aus eben diesem Milieu. Tatsächlich gilt es in den USA als professionell, Drehbücher in Gruppen gemeinsam zu verfassen; das fertige Produkt hat aber nichts mit jenen von den Working Rooms aus Übersee gemein, wie sie bei Erfolgsserien von „Breaking Bad“ bis „House of Cards“ die Regel sind. Film und Crew haben hohe Ansprüche an sich selbst, das merkt man an einer gewissen Grundhaltung (mit Betonung auf „Haltung“) des gesamten Projekts, das deskriptiv daherkommt, in Wirklichkeit aber höchst pathetisch ist – wobei in Hinblick auf Hollywoodproduktionen auch das Wort „pathetic“ in den Sinn kommt.
Eine Grundregel des Schreibens lautet: Ein Autor darf alles, außer langweilen. Gerne angehängt wird die noch höhere Regel, dass es nichts Schlimmeres gibt als einen Autor, dessen Texte ein Leser nicht versteht. Selbst ein langweiliges Buch ist besser als ein unverständliches Buch. Es ist nicht nur die ideologische Komponente, die diesen Film zu so einem Problem macht, sondern auch handwerkliche Fehler, die nur verziehen werden können, wenn man dieses Produkt aus „Haltung“ verteidigen muss oder tatsächlich an den Unfug geglaubt wird, der dort veranstaltet wird.
Mit der Einblendung der ersten Zeilen wird im Zeitraffer zusammengefasst, was die große Angst der Schreibenden und Spielenden ist: die EU ist zerbrochen, Rechtsextreme haben überall in Europa das Sagen, die Grenzen sind dicht. Als letztes Land fällt Schweden. Von Säuberungsaktionen ist im Fernsehen die Rede, mit der Süddeutschen Post wird die letzte freie Zeitung dichtgemacht. Der Familienvater kommt nach Hause, ist verletzt, er ist Anwalt und hat Probleme, weil er wem „geholfen“ hat. Er will nicht wieder ins Gefängnis und nach Südafrika ausreisen. Seine Frau (Lehrerin) besteht darauf, mitzukommen und die Kinder mitzunehmen. Obwohl sich der Vater wehrt, setzt sich am Ende die Mutter durch. Die Kinder werden aus den Betten geholt, die Smartphones ihnen abgenommen – das System könnte sie sonst orten und an der Ausreise hindern.
Es ist dies alles, was der Zuschauer in die Hand gedrückt bekommt. Gefühlte drei Minuten, in denen die Ausgangssituation in Deutschland geschildert wird. Für Paranoide, die in jedem AfD-Wähler einen potentiellen Völkermörder sehen, mag das irgendwie zusammenpassen. Nüchtern betrachtet ist es aber eine merkwürdige Aneinanderreihung skurriler Merkmale einer Diktatur, die weniger vom Verständnis echter Macht- und Staatstrukturen zeugt, als der Märchenbuchwelt naiver Ideologen entspringt, für die nur Gefühle zählen. So hindert der rechts-autoritäre Gewaltstaat seine Bürger an der Auswanderung – eigentlich ein Motiv, das wir vor allem aus sozialistischen Diktaturen kennen.** Selbst die Nationalsozialisten begrüßten bis 1942 die jüdische Emigration, da sich dieses Problem somit von selbst regelte; erst die „Endlösung“ der Judenfrage bedeutete den Ausreisestopp. Weiterhin hakt die Parabel daran, dass Emigranten wie Berthold Brecht, Thomas Mann oder Stefan Zweig mit Sicherheit nicht per Schlepperbande ausgereist sind. Das Gros deutscher Emigranten „flüchtete“ eben nicht, sondern reiste per Dampfschiff in die Neue Welt und wählte den legalen Weg. Die mit der Mauer und den dramatischen Fluchtszenen, das waren die anderen.
Weiterhin krankt die Darstellung des Systems daran, dass man also die letzte Zeitung schließt. Erst jetzt? Üblicherweise entledigt man sich der freien Medien am Anfang. Und inwiefern noch klassische Zeitungen in der Zukunft – technologische Spielereien suggerieren einige Jahrzehnte, die vergangen sind – überhaupt eine Rolle im „Widerstand“ spielen, ist ebenso fraglich. Bereits heute ist klar, dass Alternativmedien aus der Kraft des Internets schöpfen. Abgesehen von der logischen Inkonsistenz macht sich also hier wieder die kleine naive Welt der Autoren breit, nämlich, dass die Stütze der Demokratie die gute Presse im Sinne der Süddeutschen ist, die Demokratie und Freiheit bis zuletzt verteidigt.
Dass ein Regime übrigens dafür niemals das Wort „Säuberung“ benutzen würde und eine neue rechtsextreme Ideologie nicht immer dieselben Parolen verwenden würde wie das System von 1933 bis 1945 (inklusive „Volksschau“) sollte jedem, der nur einen Hauch von Ahnung hat, sofort klar sein. Nicht so den Autoren, deren Provinzialität offensichtlich wird, wenn sie einen Orwell’schen Staat zeigen wollen, der aber nichts von Orwell hat, da ihm die Totalität fehlt; von Neusprech keine Spur. Und ebenso merkwürdig ist es eben, dass unser Familienvater Angst vor den Behörden und dem Gefängnis hat, dieser Staat sogar per GPS und Smartphone seine Bürger orten und aufhalten kann, aber erst nach so vielen Jahren in der Lage gewesen sein soll, eine Printzeitung zu erledigen.
Was der Film in den ersten drei Minuten falsch macht, zieht sich konsequent durch die gesamte Handlung. Das Leben in Deutschland erscheint nicht so schlecht, wie es die Filmemacher wollen, dass es scheint; es herrscht kein Krieg, kein wirtschaftlicher Missstand und Familie Schneider lebt – der Wohnung nach zu urteilen – nicht schlecht. Demnach hat auch die Auswanderung im Grunde nichts mit der Massenmigration von 2015 zu tun, sondern ist näher an der Emigration politischer Dissidenten, deren Ausgangssituation sich völlig anders stellt. Dennoch merkt man die hochheilige Absicht, beides zu verbinden, obwohl es schon rein logisch überhaupt nicht funktionieren kann. Weder die Emigranten aus dem nationalsozialistischen Deutschland, noch die Dissidenten aus Mussolinis Italien sind per Schlauchboot gereist. Jeder normale Mensch würde auch einwerfen: mit dem Schlauchboot von der libyschen Küste an die sizilianische ist ja auch ein Katzensprung. Dasselbe können die ja nicht von Hamburg nach Südafrika bringen.
Doch. Das bringen die wirklich.
#AufbruchInsUngewisse pic.twitter.com/h3Ko0IJog0
— Testicle Rick (@GenericWeeaboo1) February 14, 2018
Nach der kurzen Szene finden wir uns per Schnitt zwischen den Wellen. Wir wissen nicht, wie Familie Schneider ins Schlauchboot gekommen ist. Wir wissen nicht, ob sie vorher ein Frachter aussetzte, wir wissen auch nicht, ob es einen Zwischenstopp gab, kurz: der Zuschauer wird erst einmal im Dunkeln gelassen, wie die Schneiders per Schlauchboot von Hamburg nach Südafrika kamen. Während die Qualitätspresse (Spiegel) es feiert, wie nah diese bekannten Bilder gingen, überlegt der Zuschauer immer noch, was hier eigentlich passiert und warum. Auch die folgende Szene, als das Boot wegen einer Panik an Bord umkippt, kann kaum mitreißen, da die dilettantische Ausführung eher an Hobbyaufnahmen aus einem Low-Budget-Studentenfilm denken lässt an als ein Millionengrab sauer verdienter GEZ-Gelder.
Spätestens hier merkt der Löwe: was da auf der Leinwand passiert, berührt nicht, nimmt nicht mit, zieht nicht rein. Man muss die Botschaft und Moral gefressen haben, um hier etwas zu sehen, was es in Wirklichkeit nicht gibt. Der Film glaubt, aufgrund der Beschreibung der Ereignisse für sich selbst zu sprechen. Dafür müsste man aber mit den Charakteren mitfiebern können. Die bleiben platt und unzugänglich. Es gibt keinen Tiefgang, nichts, was sie interessant machte. Und schlimmer: die für einen Thriller elementare „Suspense“ (also das Gefühl, wissen zu wollen, was als nächstes passiert) tritt nie ein. Szenen reihen sich aneinander, ohne, dass man irgendwie einen Spannungsbogen verspürte. Niemals tritt jenes Gefühl der latenten „Bedrohung“ ein, von der solche Filme leben. Es fällt eher auf, dass die Protagonisten sich oftmals selbst in nicht nachvollziehbare Lebensgefahr bringen. Bei der Bootsszene, im Lager, bei der Essensausgabe fragt man sich immer wieder: warum haben die eigentlich Deutschland verlassen? Die Motive wurden dort schon viel zu wenig erklärt, es rächt sich dann über weite Teile des Dargestellten. Den Anspruch Fassbinders oder Brechts erfüllen die Autoren damit genau so wenig: die konnten zumindest in ihren Stücken noch die Situation analysieren.
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* Zugegeben, hier flunkere ich etwas. Den Film über Maximilian I. und Maria von Burgund kann ich mir einfach nicht antun, da es mir dann doch zu nahe geht. Es ist, als würden Verwandte vergewaltigt und das alles mit Gebührenzahlergeld zwangsfinanziert und einem Millionenpublikum gezeigt, während die Produzenten vor Stolz platzen.
** Rechte Diktaturen sind seltener von den sozialistischen Auswirkungen auf die Wirtschaftslage betroffen, welche linke Diktaturen oftmals dazu zwingen, ihre Leute zu Hause anzuketten.