Flucht mit der Hobbykamera (Teil II)

17. Februar 2018
Kategorie: Europa | Freiheit | Ironie | Machiavelli | Medien | Non enim sciunt quid faciunt

Die angebliche Parabel wird sich an einigen Stellen selbst zum Verhängnis, weil viele Szenen, die Mitleid für Flüchtlinge erwecken soll, in vielen Dingen an die „bösen Vorurteile“ erinnern, die Rechtsextreme streuen. So hat Familie Schneider eine enorme Anspruchshaltung. Als die Familie in Namibia ausgesetzt wird, statt in Südafrika (auch hier fragt man sich: warum? Die Schlepper bringen die Leute über 10.000 Kilometer weit und machen dann Schluss? Einfach, weil die gemein sind?), geht der Sohn verloren. Die Mutter fordert anschließend von irgendeinem (!) Beamten, dieser solle ihren Sohn suchen. Sie bittet nicht nur darum, sie insistiert. Der Beamte kommt dem kaum nach. Seine logische Äußerung, dass er bei hunderttausenden Flüchtlingen kaum Zeit habe, um nach einem einzigen Kind zu suchen, verhallt ebenso wie der Hinweis, dass niemand die Familien gebeten habe, hierher zu kommen. Das soll in den Ohren der Guten und Schönen wohl rassistisch und borniert klingen. Gegen die hysterischen Ausreißer der Frau Schneider – und von denen gibt es einige! – wirkt der Herr jedoch wie die Rationalität in Person. Als Einwanderungskritiker sieht man sich im Film eher bestätigt als geläutert. Ähnlich ergeht es dem Zuschauer, wenn das Asylverfahren beginnt und Familie Schneider richtig sauer auf die Verhältnisse ist (was? Ich muss mich an die Gesetze anderer Länder halten, wenn ich dort bin? Nie gehört). Ähnliches passiert, als ein deutscher Asylbewerber Morgens keine Zahnpasta bekommt, weil der im Flüchtlingslager zuständige Ladenverkäufer noch nicht aufmachen will. Der Film macht daraus eine moralische Anklage, denn als der Zahnpastafordernde nicht bekommt, was er will, randaliert er – und wird daraufhin abgeschoben. So etwas kann nur schreiben, der Eigentum prinzipiell für Diebstahl hält und auf Basis seiner eigenen Moral die ganze Welt beurteilt.

Auch hier versteht man bald: der Film funktioniert nur, wenn man selbst ein linksextremes Weltbild hat und nach deren moralischen Parametern die Welt beurteilt. Ansonsten bleibt vieles unverständlich. Bestes Beispiel ist hier die Abtreibungsszene einer Bloggerin im Flüchtlingslager. Sie wurde in Deutschland ihrer Arbeit wegen behindert (wie man so einen Charakter schreiben kann, ohne an das NetzDG zu denken, ist auch eine Kunst für sich) und von der Geheimpolizei (?) gefoltert und vergewaltigt. Wie sie einer anderen Frau erzählt, ist sie im 5. Monat schwanger. Was danach geschieht, entzieht sich dem moralischen Verständnis eines jeden Konservativen: unter der Dusche schlägt sich die toughe Bloggerin so oft in den Bauch, bis sie blutet. Vermutlich soll der Zuschauer dabei daran erinnert werden, wie rechte Parteien das „Recht auf Abtreibung“ beschneiden, denn vor der Flucht bestand anscheinend keine Möglichkeit mehr, sich des bösen Parasiten im Bauch zu entledigen. Aber auch hier krankt der Film an seinem platten Aufbau, denn die Bloggerin ist zu „stark“, als dass es sich um einen psychologischen Ausraster handeln könnte (das häufigste Motiv in der Literatur im Kindstötungsfall). Die Extremsituation ist auch nicht allzu extrem, dass die Tat nachvollziehbar wäre; die Zeiten „gefallener Mädchen“ samt gesellschaftlicher Ächtung wiederum zu entfernt, als dies als Verteidigung gelten lassen zu können. Kein Funken Reue, nicht einmal der Hauch eines moralischen Konfliktes sind bei der Schauspielerin zu sehen. Was hier zelebriert wird, ist ein „Recht auf Abtreibung“, das man sich nicht von den Rechten nehmen lassen will. Der Linksliberalismus will hier die Abgründe des Abtreibungsverbotes zeigen, tatsächlich zeigt er die unterschwellige Haltung der Drehbuchautoren, dass ein viermonatiges Stück Leben einfach mal per se keinen Anspruch darauf hat, das Licht der Welt zu sehen, wenn es Mama nicht will.

Die Situation im Flüchtlingslager soll verstören und bewusst machen, wie man so erbärmlich leben kann. Leider gelingt auch das nicht so, wie sich das die Macher wünschen; im Gegenteil ist bei mir sogar der Ekel geschwunden, da die Zeltaufbauten eher an die Zustände in L’Aquila 2009 erinnerten als an eine apokalyptische Dystopie. Nein, das Erdbeben war auch nicht schön, aber zu Raub, Mord, Totschlag und Abtreibungen unter der Dusche kam es in den Monaten danach in solchen Unterkünften auch nicht. Für eine Filmemachergeneration, die allerdings freies Internet für ein Menschenrecht hält, wirkt das alles natürlich wie eine post-nukleare Zumutung.

Beim Anblick des Zeltlagers kommen jedoch andere Fragen auf – zum Beispiel, wer dort eigentlich lebt. Die Massen suggerieren die Krisenjahre 2014 bis 2016 in Deutschland; soll das heißen, dass die zwei Millionen Zuwanderer aus diesen Jahren allesamt politische Dissidenten waren? Ist jeder von denen aus den Klauen des Assad-Regimes entronnen – das natürlich versuchte, alle an der Flucht zu hindern? Warum gibt es dort so viele verschiedene Menschen unterschiedlichen Geschlechts und Alters – auch das alles Regimegegner, wie die alte Frau, die auf dem Treck von Namibia nach Südafrika zurückgelassen werden muss? Alte fliehen für gewöhnlich nicht, sie verlassen ihr angestammtes Land nur, wenn sie es unbedingt müssen; so wie die Vertriebenen im 2. Weltkrieg. Oder glauben die Autoren wirklich, die Menge an Homosexuellen, Abtreibungsbefürwortern und linken Anwälten reicht aus, um solche Flüchtlingsstädte in Südafrika aufzubauen?

Auch interessant, dass Familie Schneider trotz Schiffbruch, trotz Treck quer durch das menschenfeindliche Namibia (wohl ein Abbild des orban’schen Ungarns) und aller Wirrnisse immer ihre sauber verwahrten Pässe dabei hat. Auch interessant, dass man sich im Gegenzug um jedes Smartphone in der Zeltstadt streitet. Es hat so nichts mit der vor allem männlichen, jugendlichen, passfreien – dafür smartphonebewehrten – Immigration zu tun, die wir in der Wirklichkeit erlebten. Die ARD zeigt die Flüchtlingskrise so, wie sie gerne darüber berichtet hat. Es gibt aber triftige Gründe, warum es eben solche Bilder zur Zeit der totalitären Diktaturen eben nicht gegeben hat. Muss man sie hier ausführen?

Es wurde bis hier sehr viel von Moral gesprochen; doch es ist im Grunde keine universelle Moral, sondern die Privatmoral einer kleinen linken Sekte. Sie lässt sich so übersetzen: Recht und gut ist, was den Auswanderern hilft, Unrecht und schlecht, was sie hindert. Familie Schneider lügt und betrügt die Behörden, um weiterzukommen; die Abtreiberin und der Ladenrandaleur sind Opfer; die Komplizen, welche Gesetze zugunsten der Familie Schneider brechen, sind die „Guten“, die Menschlichen.

Wer sind eigentlich die Antagonisten des Films? Obwohl das deutsche Regime so schrecklich verklärt wird, reichen die Anfangsminuten eben nicht zum Bedrohungscharakter aus. Dafür ist es zu weit weg und zu kurz gekommen. Worst case: Familie Schneider wird zurück nach Deutschland abgeschoben. Damit sind aber eher die Organisationen in Namibia und Südafrika die eigentlichen „Gegner“ der Protagonisten. Dass die Familie zuerst in Namibia landet und dort alles andere als erwünscht ist, gilt als Affront; Grenzschutz im Sinne Ungarns ist ein Unding. Wer seinen Dienst tut, ist qua Handlung ein Übeltäter. Dabei ist interessant, wie vorbildlich die beiden afrikanischen Systeme arbeiten: da ja jeder Immigrant einen Pass hat, hat er auch eine ID und kann zugeordnet werden. Abschiebungen geschehen sofort und auf den Fuß, die Erfassung dauert kurz und wer aus der Reihe tanzt, wird sofort sanktioniert. Mit den überlasteten Flüchtlingshelfern, den ächzenden Behörden, verlorenen Pässen, Mehrfachidentitäten und allen Problemen, die Deutschland seit dem „Sommermärchen“ im Griff haben, hat das alles nichts zu tun. Im Film erscheint Südafrika als effiziente und vorbildliche Bürokratie von der man sich manchmal wünschte, dass Deutschland nur im Ansatz über ein ähnliches Zahnräderwerk verfügte.

Da aber Betrug und Lüge legitime Mittel sind, um das Ziel zu erreichen, erfolgt die Rettung durch einen Trick. Familie Schneider soll eigentlich abgeschoben werden – da kommt die Nachricht, dass der beim Schiffbruch verschollene Sohn gerettet worden sei und auf der Intensivstation liege. Die Enttäuschung folgt, als sich herausstellt, dass der gefundene Junge nicht der Gesuchte ist. Doch Familie Schneider kommt Rettung aus höchster Not, man hat einen Einfall: wenn man den Jungen als den eigenen Sohn ausgibt, dann können die Schneiders bleiben. Familien, deren Mitglieder dringender medizinischer Intensivsorge bedürfen, können vorerst nicht abgeschoben werden. Man verbündet sich mit dem malträtierten Kind und schauspielert (böse Zungen dürften hinzufügen: es ist einer der wenigen Momente in diesem Film).

Es fällt plötzlich wie Schuppen von den Augen: die Moral der Linken ist eine machiavellistische, nämlich gar keine. Kann man das Schauspiel daher überhaupt moralinsauer nennen? Doch, man kann. Wenn Moral und Haltung heute nur noch deuten, dass das, was die Linken sagen und glauben, wahr ist – dann ist es ein Paradebeispiel linker Moral. Ich glaube allerdings, dass diese Definition einem großen Teil der Linken nicht gerecht würde, als eher einer kleinen, paranoiden, ideologisierten Sekte, die vor lauter Geifer nicht mehr die Realität wahrnimmt. Relativismus äußert sich dann auch dann, wenn man Afrika mit Europa gleichsetzen kann, die Emigration Stefan Zweigs mit der im Schlauchboot, oder den fiktiven Behördenapparat Südafrikas mit dem Deutschlands. Es bleibt in weiten Teilen linke Phantasterei ohne Unterbau, ohne Logik, ohne Glaubwürdigkeit. Von „Soumission“ mit seiner Tiefgründigkeit, mit seiner messerscharfen Sezierung westlicher Dekadenz und ironischer Zuspitzung bezüglich menschlicher Triebe und inhaltsloser Demokratie ist dieses Stück so weit entfernt wie Animal Farm von Tom&Jerry. Es kommen irgendwie Tiere vor, das war es dann aber auch schon – wobei Tom&Jerry wenigstens unterhaltsam sind.

Der Film will von Brecht leben, indem er nur beschreibt. Dafür erscheinen die Szenen aber nur als Fetzen, als billige Reminiszenzen bekannter Erlebnisse (Boot kippt um, totes Kind am Strand, Atemnot im LKW). Pure Effektheischerei, die aber so völlig verpufft. Die Macher scheinen wirklich zu glauben, man müsse nur Schwarze durch Weiße ersetzen, und schon hätten die Leute Mitleid. Das Stück wird aber aufgrund dieser Plumpheit niemanden zum Umdenken bringen. Und es zeigt: die Ideologen denken wirklich, Einwanderungskritiker störten sich an der Hautfarbe, nicht am Gesetzesbruch. Nein, es wird überhaupt nichts verständlicher oder nachvollziehbarer, und es berührt auch nicht mehr, nur weil da Leute mit meiner Hautfarbe herumlaufen. Es wird nur offenbar: einige der Macher haben selbst rassisches Gedankengut, wenn sie in solchen Sphären denken und glauben, Hautfarbe wäre überhaupt relevant bei der Beurteilung, und nicht etwa Verfahren, Bildungsgrad, Sprachkenntnisse und kulturelle Kompatibilität. Diejenigen, die immer „einfache Lösungen“ oder „Populismus“ kritisieren und zugleich von einer „komplexer werdenden Welt“ schwafeln, leben selbst in einer stecknadelgroßen, naiv-unterkomplexen Gedankenblase.

Das Presseecho der typischen Verdächtigen war zu erwarten. Der Spiegel sprach von Momenten „die durch Mark und Bein“ gehen und wartet mit einem Artikel auf, der diesen Film zu einem packenden Erlebnis macht, da er heutige Fluchterfahrungen mit der historischen Auswanderung der vom NS-Regime Verfolgten verwebt. Teils wünscht man sich, das Drehbuch wäre nur annähernd so spannend gewesen wie der Autor der Zeilen selbst schreibt – von der Dramatik bleibt im eigentlich Werk gar nichts übrig.*** Die Zeit schlägt einen ruhigeren Ton an, sieht aber das größte Manko des Films daran, dass die rechtsextreme Gefahr nicht viel stärker beschrieben wird, da ja mit der FPÖ in Österreich gewissermaßen das Vierte Reich vor der Türe steht: „Vor allem verzichtet Aufbruch ins Ungewisse darauf, das Szenario eines totalitären Deutschlands, das Oppositionelle in die Flucht treibt, genauer zu beschreiben. Auf den Fernsehfilm, der die derzeitige Bedrohung der bundesrepublikanischen Demokratie künstlerisch ambitioniert zum Thema macht, müssen wir also noch warten.“ Die Zeit bemängelt gar, der Film würde die Probleme zu sehr verniedlichen. Tenor: liebe ARD, es ist alles noch viel, viel schlimmer! Wie zu erwarten ist es die NZZ in der deutschsprachigen Zeitungslandschaft, die das Machwerk als das beschreibt, was es ist: „An die Ambivalenz von literarischen Entwürfen, wie sie etwa Michel Houellebecq («Unterwerfung») oder Boualem Sansal («2084») zur Zukunft Europas vorgelegt haben, reicht die plumpe Schwarz-Weiss-Umdrehung des Fernsehfilms nicht einmal ansatzweise heran. […] Für die Argumentation derjenigen Schreihälse, die der ARD wutentbrannt Staatspropaganda vorwerfen, ist «Aufbruch ins Ungewisse» Wasser auf die Mühlen. So plakativ und durchschaubar ist dessen Absicht.“

Dass der Film mit nur 500.000 Zuschauern in der werberelevanten Zielgruppe (insgesamt ca. 3 Millionen Zuschauer) ein Desaster war, will man bei der ARD nicht wahrhaben. Immer wieder schaltete der Sender stolz ein: eine Produktion des WDR im Auftrag der ARD. Man war berstend stolz auf das Gelieferte. So stolz, dass man einen Themenabend ansetzte, samt Maischbergersendung danach. Aus unerfindlichen Gründen wurde diese aber abgesagt. Wegen Streit in der SPD um die Große Koalition – nicht, dass es noch circa fünf andere Talk-Shows in den öffentlich-rechtlichen Medien gäbe, wo man dieses Thema hätte erörtern können. Aber – auch das muss man der pseudointellektuellen Medienelite lassen: die Paranoia sind wahr.

Der Deutschlandfunk reitet dasselbe Pferd: Flut an Hasskommentaren zu TV-Film kam aus Trollfabrik.

Dass man mit solchen wahnhaft anmutenden Verschwörungstheorien einem fiktiven, totalitären System weitaus näher ist, mag man sich in den Redaktionsstuben wohl ebenso wenig vorstellen wie die Möglichkeit, dass der Film nicht nur inhaltlich, sondern auch handwerklich miserabel war. An allem sind die Rechten schuld. Und in letzter Instanz sind wir das natürlich alle: denn von unseren Dukaten wird diese LSD-Party auf dem Refugee-Welcome-Zug per Zwangseintreibung auch noch bezahlt.

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*** Es sind so diese Momente, in denen man sich fragt, ob Diskussionen in diesem Deutschland noch Sinn haben, wenn die Weltwahrnehmung mancher Leute eine komplett diametrale ist.

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