Die Katalanen als Unholde der Geschichte

1. Oktober 2017
Kategorie: Carl Schmitt | Europa | FAZ-Kritik | Freiheit | Historisches | Machiavelli | Medien | Regionalismus | Zum Tage

Für einen Regionalisten herrschen gerade besonders stürmische Zeiten. Im Oktober steht das Referendum über die Autonomie Venetiens und der Lombardei bevor, aktuell ist Katalonien in aller Munde. Das Schweigen meinerseits beruht dabei nicht nur auf akutem Zeitmangel. Wie mit den Schotten, so tut sich der Löwe seit einiger Zeit mit den Katalanen schwer, was in der eher linksliberalen Agenda beider Völker begründet liegt. Die Schotten gehen ja mittlerweile so weit, der territorialen Entität größere Bedeutung beizumessen als dem dort lebenden Volk; ein Auswuchs um sich greifender, zeitgeistiger Tendenzen, die eben keine Kulturen und Nationen kennen will. Das ist für ein Konzept wie den Regionalismus – das doch eben nicht nur auf territoriale, sondern auch ethnische Identität abzielt – reichlich abträglich. Zumindest meiner bescheidenen Meinung nach.

Die Katalanen gehen nicht so weit wie die Schotten. Hier spielt seit einiger Zeit die historische Komponente die größte Rolle. Dabei werden besonders die Negativereignisse in der katalanischen Geschichte als Identifikationspunkte ins Zentrum gerückt. Vor allem steht dabei die Franco-Zeit im Vordergrund. Die Medienberichterstattung übersieht jedoch, dass es sich nicht nur um verspätete anti-franquistische Tendenzen handelt: der nationale Gedenktag fällt auf den 11. September. Ein für die katalanische Geschichte weitaus verheerenderes Ereignis als der Anschlag auf das New Yorker Welthandelszentrum war der Verlust der staatlichen Eigenständigkeit des iberischen Königreichs Aragon. Die Grafschaft Barcelona war ein integraler Bestandteil dieses Königreichs. Aragon und Kastilien verbanden sich seit dem 16. Jahrhundert in einer Personalunion unter Karl V. (bei den Spaniern: Karl I.), der beide Kronen erbte, und damit das vereinigte Spanien begründete. Letztere Deutung erweist sich aber als schwierig, da Aragon (mitsamt Katalonien) seine Autonomien wahrte. So durften im Mittelmeer nur aragonesische (heißt: barcelonesische) Händler ihre Geschäfte tätigen und nicht etwa kastilische (vice-versa durften nur kastilische Händler in Amerika handeln). Aragon behielt seine Stände und seine Selbstverwaltung. Bis heute ist in der Geschichtswissenschaft daher auch nicht ganz geklärt, ob man die Vereinigung Spaniens auf die Heirat Isabellas von Kastilien und Ferdinands von Aragon, die Thronbesteigung Karls, oder doch nicht eher auf die Thronübernahme Philipps V. zurückführen sollte. Letzterer eroberte Barcelona am 11. September 1714 mit Gewalt, schaffte die Privilegien Aragons ab und führte einen Zentralstaat nach französischem Vorbild ein. Philipp war kein Habsburger wie seine Vorgänger, sondern aus dem Haus Bourbon wie sein Großvater Louis XIV., dessen Herrschaftsstil er imitierte. Seitdem gilt die „Diada“ als Trauertag in der aragonesisch-katalanischen Geschichte.*

Dass die Katalanen jenes Datum zum Nationalfeiertag erkoren haben, und nicht etwa den Tag der Niederlage der republikanischen Kräfte im Spanischen Bürgerkrieg, sollte auch einigen Redakteuren zu Denken geben, dass die katalanische Sache doch etwas tiefer sitzt als nur ein paar Jahrzehnte. Man darf sich darüber gerne streiten, ob die Katalanen für sich das aragonesische Erbe beanspruchen können, obwohl dies nur einen Teil des ehemaligen Königreichs ausmacht; es hieße aber auch, jeden anderen Anspruch der Nationalstaaten infrage zu stellen, die sich in die Tradition eines größeren und teils geografisch anders gelagerten Gebildes stellen.** Dass Franco am stärksten nachwirkt, weil die heutigen Aktivisten Eltern und Großeltern haben, die unter der Diktatur litten – geschenkt. Es stellt aber a priori die katalanische Sache unter den Generalverdacht, es handele sich nur um eine weitere wirtschaftlich prosperierende Region***, die sich aus egoistischen Gründen aus einem Nationalstaat lösen will, obwohl es dazu weder Volk, Territorium, Geschichte oder Recht gäbe. Letzteres Argument ist deswegen schon fraglich, weil alle heute in Europa bestehenden Staaten nicht seit Ewigkeiten existieren, und selbst die dominierende Weltmacht USA nur eine koloniale Abspaltung darstellt. Im Nachhinein rechtfertigt sich jeder Staat von selbst, so er denn Flotte und Armee hat, um seine Existenz zu verteidigen. Nur einige verträumte Islamversteher mögen dann behaupten, dass es nur einen „so genannten“ Islamischen Staat im Nahen Osten gebe, selbst wenn dieser bereits seit Jahren Krieg führt. Ähnliches gilt für ein kurdisches Autonomiegebiet oder ein armenisches Bergkarabach, die von der „internationalen Staatengemeinschaft“ nicht anerkannt werden, de facto aber als unabhängiges Regime schon seit Jahren bestehen.

Eine Welt aus Teilautonomien, Autonomien, Teilsouveränitäten und Souveränitäten, aus Abspaltungstendenzen, Unabhängigkeitserklärungen, Revolutionen und Unterdrückung sind jedoch für einige Personalien entweder unverständlich oder passen nicht in das eigene ideologische Weltbild, das nur ein Fortschreiten hin zum demokratischen Weltstaat kennt. Das Aufbegehren der Katalanen ist für solche Leute ein Ärgernis und Hindernis zugleich. Die Ukraine-Krise, die Wahl Trumps, der Brexit oder das Aufbegehren gegen die EU werden als „Reaktionen“ in einem pseudokommunistischen Geschichtsverständnis interpretiert, das man sich demokratisch anlackiert hat. Sie resultieren aus der Erfahrung der letzten Generationen, die nur den Frieden, nur den sozialen Wonnestaat und nur die Einbahnstraße demokratischer Prosperität kennen, nicht aber die chaotischen und hässlichen Fratzen der Geschichte. Die Kultur der barocken Vanitas und des antiken Memento mori sind dieser Spezies ewig fortschreitender Demokraten ebenso rückständig wie fremd. In den Warnungen der Altvorderen, welche nur stetigen Wandel in der Ewigkeit und Rückschläge apokalyptischen Ausmaßes kannten, sehen sie allein die lächerliche Klamottenkiste des Mittelalters. Sie merken dabei nicht einmal, dass sie sich im Hamsterrad der Geschichte verfangen haben, weil sie zwar von der ewig gleichen Rückkehr des Nationalsozialismus und Hitlervergleichen schwafeln, in entscheidenden Momenten aber versagen, weil sie nichts aus der Geschichte gelernt haben, sondern nur deren Ereignisse gebetsmühlenartig wiederholen.

Es ist die Stunde solcher Leute wie Reinhard Veser, einer der Männer, die mir die FAZ im Zuge der Ukraine-Krise auf ewig verdorben haben. Ähnlich wie in der Ukraine-Krise sind all jene Staaten böse, die keine Demokratien sind. Quintessenz: Abspaltungen von bösen Staaten sind gut, die von Demokratien haben jedoch keinerlei Hand und Fuß. Wir lernen: Jugoslawien und die Sowjetunion waren Diktaturen, daher waren Abspaltungen von diesen Gebilden legitim (und natürlich unterschwellig: die von der Ukraine war nicht legitim, denn Russland ist eine Diktatur, die Ukraine nicht). Die Begründung ist deswegen schon nicht stimmig, da Serbien sich bereits ab Anfang der 2000er Jahre demokratisierte, das Amselfeld sich jedoch mit lauter Unterstützung des Westens (darunter neben den USA auch Deutschland) abspaltete. Der Aufschrei Herrn Vesers und anderer Demokraten ist mir leider bis heute entgangen. Als Machiavellist und Schmittianer kann ich an dieser hochheiligen Theorie nichts finden; eher noch überzeugt das Argument vom Gewaltmonopol des Staates. Damit ist Veser aber näher dran am Schmitt’schen „Der Führer schützt das Recht“ als so manchem standfesten Demokraten lieb sein könnte.

Veser (und andere mediale Konsorten, die in diese Richtung argumentieren) machen aber von der realpolitischen Linie deswegen keinen Gebrauch, weil es ihrer linksliberalen Agenda schadet. Statt vom Machtstaat faseln sie lieber von der Demokratie. Der autoritäre Staat muss sich jedoch nicht um die Demokratie oder Referenden kümmern, er beansprucht nicht, demokratisch zu handeln. Ein demokratisches System tut aber gerade das, und es verliert ja gerade dann seine Legitimität als Demokratie, wenn es nicht demokratisch – d. h.: im Sinne der Mehrheit – entscheidet. Man muss kein Regionalist sein um zu verstehen, wie wahnwitzig dieses Demokratiegefasel anrührt, wenn nicht etwa Demonstranten oder Aktivisten, sondern gewöhnliche Wähler (!) von einem demokratischen Referendum abgehalten, ja, sogar mit Gummigeschossen bombardiert werden oder de facto ein Ausnahmezustand ausgerufen wird. Es ist aber mal wieder der mediale Duktus, dass der Name Schmitt über den Geschehnissen hängt, und das Schmitt’sche Freund-Feind-Schema von der medialen Schickeria bedient wird, aber man sich immer noch auf Seiten der Guten wähnt.

Persönlich hatte ich vor etwa einem Jahr die katalanische Flagge in den Schrank zurückgelegt: nicht etwa, weil ich der regionalistischen Agenda entsagt hätte, sondern weil die Ziele der katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter nicht mehr die meinen waren. Die Katalanen sind sozialistisch ausgerichtet und legen sich sogar mit einem Land wie Katar ins Bett, nur, um sich von der verhassten Regierung in Madrid loszusagen. Hätte Venedig je zugunsten seiner Unabhängigkeit mit den Türken paktiert? Rhetorische Frage.

Dass nun jedoch bereits überall das Wort vom katalanischen „Nationalisten“ umgeht, weil alles, was irgendwie mit „Nation“ übereingeht irgendwie schon „Nazi“ ist, obwohl man noch vor wenigen Monaten von Regionalisten (oder wenigstens: Sezessionisten) las, gibt der ganzen Causa einen faden Beigeschmack. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, die Senyera wieder rauszukramen.

Vorher zum Thema erschienen:
Katalonien – Quo vadis?
Ein „Experte“ zur katalanischen Frage

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*Die Diada wurde übrigens seit dem 18. Jahrhundert begangen, und erst von Franco verboten. Eine Festschreibung als Feiertag im Jahr 2006 wurde vom spanischen Verfassungsgericht wieder aufgehoben.
**Das Frankenreich war größer als Deutschland und Frankreich zusammen, dennoch steht wohl außer Frage, dass beide heutigen Staaten in einem weitläufigen Nachfolger- bzw. Traditions- oder Erbverhältnis zu diesem Gebilde stehen.
***Katalonien hat eine der höchsten Verschuldungen im spanischen Regionengeflecht. Dass es sich dennoch um eine der wirtschaftlich stärksten Regionen handelt, ist weiterhin ein Fakt.

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