Egoistische Individualerkenntnis

8. Juni 2017
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Die Achse des Guten | Freiheit | Gut gebrüllt Löwe | Italianità und Deutschtum | Linkverweis | Medien | Persönliches

Auf der Achse des Guten erschien ein Artikel von Henryk M. Broder, der mir aus tiefster Seele spricht. Üblicherweise gibt es für solche Verweise die Sonntagsschau. Ich möchte an dieser Stelle aber nur auf diesen Beitrag Bezug nehmen, weil er ein Symptom gut beschreibt, das wohl jeden befällt, der nicht zu den Guten und Schönen zählt, welche die Umwandlung Deutschlands in einen rein geographischen Begriff anstreben. Nun denn, vielleicht erleben Sie auch ein Déjà-vu bei folgender Passage:

Neulich aber habe ich ein neues Argument gegen meine Kritik an der „Willkommenskultur“ gehört: „Wo und inwiefern ist Ihre Lebensqualität durch die Zuwanderung berührt oder beschädigt worden?“, fragte mich ein Tischnachbar auf einer Gartenparty.

Broder kommt zur Einsicht, dass ihn privat die Kulturbereicherung ja nicht tangiere. Objektiv kann man aber zugleich feststellen: diejenigen, welche an einen nationalen Kraftakt appellieren, Gemeinschaftssinn und Willkommenskultur fordern, also jene, die immer wieder überall Verräter sehen, die sich nicht ganz und gar dem Projekt verschreiben: eben diese Kollektivisten sind im höchsten Maße egoistisch. Ihr Horizont geht nicht über die individuelle Alltagserfahrung hinaus. Statistiken werden allein bemüht, wenn sie der eigenen Wahrnehmung dienlich sind. Diejenigen, die Deutschland aber tatsächlich als Gemeinschaft ansehen und nicht als Atomisierung in Einzelinteressen (hier muss ich mich zurückhalten, nicht von „Einzelfällen“ zu sprechen), weil man eben doch an die Frauen, die Kinder, die Schwachen denkt, die schon länger hier leben; kurz, an solche Mordopfer wie Niklas, die vergewaltigten Großmütter oder die belästigten Besucher diverser Schwimmbädern in den letzten Monaten.

Was mich mit Broder vereint: diese Erfahrung. Was früher als linksextreme Agenda aufgedeckt worden wäre, hört man nun allerorten. Ein Freund, den ich Monate aus den Augen verloren hatte, fragt mich tatsächlich, ob ich „denn vergewaltigt worden“ wäre. Eine Freundin in Italien, die ebenfalls Kontakt mit einer eingerosteten Freundschaft in Deutschland pflegt, wird gefragt: „Hast du denn das auch erlebt?“

Was mich von Broder trennt: ich kenne auch die „Einzelfälle“. Die Einschläge rücken näher, und das nicht erst seit gestern. Es ist dann umso bitterer, mit diesen Schönmenschen zu parlieren, die glauben, man sei nur von Fake News durcheinandergebracht. Man lebt in zwei Universen.

Resignation macht sich breit. Man will nicht mehr. Nicht mehr antworten, nicht sich ständig wiederholen, vor allem: nicht gegen festgefahrene Mauern anrennen. Ob im Alltag, im Internet, oder auf Veranstaltungen. Die Menschenverachter stehen auf der Seite der Blinden. Sie werfen aber lieber Steine auf die vermeintlichen Rassisten.

Frau Merkels Umfragewerte sind wieder besser als vor der Migrationskrise. Letztere ist erledigt. Alles ist gut. Zurück zum Tagesgeschäft. Mit Singularitäten, die sich nicht wiederholen (dürfen), kennen sich die Deutschen ja hervorragend aus, und natürlich hat man gelernt. Die letzten Miesmacher, die bspw. auf Twitter Einzelfälle bekannt machen, werden gesperrt, die Rebellen weichen auf Gab.ai aus. Und für den Rest finden sich noch genügend Willige, die freudig finanziert von Bundesbehörden – allen voran Familienministerium und Justizministerium – privat das erledigen, was der Staat nicht offen darf.

Aber uns kann das ja egal sein, oder? Schließlich ist uns ja (noch) nichts passiert …

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