Markustag statt Weltpinguintag

25. April 2017
Kategorie: Antike | Die Euganeischen Anekdoten | Europa | Freiheit | Historisches | Ich bin Guelfe, ich kann nicht anders | Italianità und Deutschtum | Medien | Mittelalter | Persönliches | Philosophisches | Venedig | Zum Tage

Der 25. April ist ein abendländisches Datum. Der Tradition gemäß fiel an diesem Tag die Stadt Troja; das ist einerseits für das Griechentum des Sieges und der Dichtung wichtig, andererseits für all jene, die sich als Nachkommen der „edlen“ Trojaner inszeniert haben – angefangen mit den Römern, deren zeitloses Imperium bereits Aeneas versprochen wurde, bis hin in die mittelalterliche Sagenwelt, welche die dynastische Legitimation europäischer Königshäuser legte; darunter fallen die Franken, denen trojanisches Blut angedichtet wurde. Einer der Überlebenden war der greise Antenor, der als einer der weisesten Trojaner galt. Angeblich soll dieser den kleinasiatischen Stamm der Heneter nach Italien geführt und dort die Stadt Patavium gegründet haben. Die bis dahin dort lebenden Euganeer wurden von diesem neuen Stamm in jene Hügelkette verdrängt, die heute als Euganeische Hügel bekannt sind; in Patavium, dem heutigen Padua, kann das (fiktives) Grab bis heute besichtigt werden. Es ist dies nichts anderes als der Gründungsmythos der Veneter, mit dem auch die Euganeischen Anekdoten beginnen – und damit der Urmythos dieser Landschaft und seines Volkes.

Die Antike und das Christentum vereinen sich dann in der Gestalt des Heiligen Markus. Markus selbst stammte wohl aus einer jüdisch-griechischen Familie, die sich bereits sehr früh zum Christentum bekennt. Die Sippe um Johannes Markos – so sein eigentlicher Name – scheint zu den vermögenderen Familien zu gehören, vielleicht war sie als Kaufmannsfamilie bereits ein vorgefasstes venezianisches Ideal. Zumindest war sie reich genug, sodass sich die Jünger Jesu im Haus Mariens sammelten, der Mutter von Markus. Womöglich fand hier auch das Letzte Abendmahl statt. Nach dem Pfingstwunder geht Markus mit den anderen Aposteln auf Mission. Wichtiger ist jedoch jenes Evangelium, das er der Nachwelt hinterlässt. Es ist das älteste Werk dieses Typs; nicht unwichtig zu erwähnen, dass es sich dabei um eine originäre Erfindung dieses Heiligen handelt, weshalb er als Schutzpatron der Schriftsteller gilt. Zum heiligen Markus und meiner persönlichen Verbindung zu ihm hatte ich an anderer Stelle etwas verfasst.

Alle anderen Evangelien bauen auf ihm auf. Und es ist wohl kein Wunder, dass in Ägypten, wo er als erster Bischof von Alexandria tätig war, als erster Papst der koptischen Kirche angesehen wird. Einigen Überlieferungen zufolge kam er als Begleiter und Dolmetscher des Petrus nach Italien, wo ihm einst prophezeit wurde, dass sein Körper hier seine letzte Ruhe finden sollte. Die Episode trägt sich bei einem Schiffbruch in einer Lagune zu – ob dies in der von Grado und Aquileia geschieht, oder der in Venedig, ist ein alter Streit zwischen den Städten. Aquileia avanciert sehr früh zu einem der bedeutendsten christlichen Zentren des Römischen Reiches; es entwickelte sich das Patriarchat von Aquileia. Der Patriarch von Aquileia stand in der westlich-lateinischen Welt in der Rangfolge gleich nach dem Papst; auch hier eine Parallele zu Ägypten, wo der Bischof von Alexandria ebenso Patriarch war, und in der östlichen Welt als einer der ranghöchsten galt. Beide beriefen sich auf Markus als ihren Vorgänger. Als die Langobarden in Italien einfielen, flüchtete der Markusnachfolger von Aquileia in die sichere Lagune von Grado. Es kam zum Streit zwischen Grado und Aquileia; in Grado regierte der legitime Patriarch, aber der neu gewählte Patriarch in Aquileia hatte die Markusinsignien, so dessen Lehrstuhl. Der Impuls, den Leichnam des Heiligen Markus nach Europa zu bringen, geht nicht zuletzt von diesem Streit aus; es waren die Venezianer, die den Patriarchen von Grado unterstützten, und wohl auch deswegen den Heiligen aus Alexandria nach Venedig überführten. Viele mögen diese „translatio“ als Diebstahl oder gar Raub bezeichnen; aber nach mittelalterlichem Verständnis hatten nicht die Venezianer ein Zeichen gesetzt, sondern der Heilige selbst. Hätte San Marco – und es ist dies der Name, unter dem ich jetzt den Heiligen nur noch nennen werde – nicht nach Venedig gewollt, hätte er es verhindert. Schließlich war der Märtyrer, der an einem 25. April von einem heidnischen Mob zu Tode stranguliert wurde, nicht irgendwer. Nach damaliger Vorstellung musste so ein wichtiger und gottesfürchtiger Mann eine besondere Verbindung zu Gott besitzen. Kurz: hätte San Marco nicht in Venedig begraben werden wollen, so hätte er sich ja gewehrt.

Von diesem Moment an ist Markus der Nationalheilige Venedigs – und wird es schließlich im gesamten Einflussgebiet der Republik. Der Markuskult wird Integrationsmittel von der westlombardischen Adda bis zu den Küstenklippen Zyperns. Der venezianische Markuslöwe wird Wappentier, Staatssymbol, Bekenntnis. Wo der Löwe mit seinen Schwingen antippt, wird das Bekenntnis zu San Marco Bekenntnis zu Venedig und umgekehrt. San Marco erhebt die Republik auch in die erste Liga der spirituellen Großmächte. Martin mag Frankreich, Petrus Rom, Andreas Ostrom schützen, Jakob Spanien zum Sieg führen; mit Markus ist Venedig dieser Riege ebenbürtig.

Im Mittelalter berufen sich Notare und Anwälte in ihren Zünften (ja, in Italien gab es solche!) auf ihn; die Glaser von Murano tun es ebenfalls. Das Bäckerhandwerk ehrt ihn mit dem Markusbrot (Marci panis = Marzipan). Ortschaften, Brücken und Straßen erhalten seinen Namen. Bei den Bauern gilt das Datum als Stichtag gleich mehrerer Regeln. Ein anderer Name für die in dieser Zeit schwirrenden Fliegen war „Markusfliegen“. Am Abend vor San Marco, dem „Saint Mark’s Eve“ war es in England üblich, Nachtwachen zwischen 23 Uhr und 1 Uhr Nachts zu halten; die Geister jener, die das kommende Jahr sterben würden, sollten in dieser Nacht zu sehen sein. In Venedig ist es Brauch, dass junge Männer ihrer Geliebten an diesem Tag eine Rosenknospe schenken – von dieser Geschichte erzähle ich aber ein andermal.

Der Patriarch von Venedig ist (als Nachfolger Aquileias) weiterhin einer der höchsten Kirchenvertreter der römisch-katholischen und ist traditionsgemäß Kardinal. San Marco gilt im liturgischen Kalender immer noch als ein „Fest“ der katholischen Kirche (und darüber hinaus so ziemlich jeder anderen nicht-reformierten Kirche). Papst Tawadros II., der Vorsteher der koptischen Kirche, ist der 117. Nachfolger des Evangelisten. Bis heute richten die Kopten nach einer Liturgie aus, die offiziell von San Marco selbst vorgeschrieben wurde. Ein guter Tag daher auch, an die Verfolgung der Christen in Ägypten zu denken – die dasselbe Martyrium wie der Urvater der dortigen Christengemeinde erleiden.

Der 25. April ist zugleich letzter möglicher Termin für das Osterfest, was dazu führen kann, dass Ostern auf San Marco, Pfingsten auf Sankt Antonius, und Fronleichnam auf Sankt Johannes fällt; mit dieser seltenen Begebenheit wird auch folgender Spruch zitiert:

„Quando Marcus Pascha dabit,
Antonius Pentecostabit,
Joannes Christum adorabit,
Fides Christi jubilabit.“

(Wenn es Markus an Ostern gibt, Antonius Pfingsten begeht, Johannes (an Fronleichnam) Jesus ehrt, feiert das ganze Christentum)

In einer anderen Form gilt dies als böses Omen, nämlich wenn man die letzte Zeile mit „Totus mundus vae clamabit“ ersetzt (die ganze Welt wird Wehe! schreien). In deutscher Variante gibt das den Spruch:

„Wenn Ostern auf Sanct-Markus fällt,
Sanct-Anton sich an Pfingsten hält,
Johann sich auf den Leichnam stellt,
so schreiet Weh die ganze Welt.“

Die Herkunft dieser Prophezeiung ist unklar, jedoch wenigstens seit der Frühen Neuzeit belegt. Bisher ist diese Konstellation nur 14-mal in den letzten 2000 Jahren eingetreten. Eines davon ist das Jahr 1546, das Todesjahr Martin Luthers, was ein Hinweis auf den Ursprung sein könnte, sowie die jeweils anders lautende Schlusszeile. Katholiken und Protestanten könnten das Dahinscheiden des Reformators jeweils anders gedeutet haben.

Zuletzt: in Italien feiert man heute den Jahrestag der „Befreiung“ vom Faschismus, die ebenfalls auf den 25. April fällt. Das bringt es mit sich, dass San Marco auch nach dem Untergang Venedigs weiterhin ein Feiertag ist, wenn auch aus anderem Anlass. Die Regionalisten nutzen diese Möglichkeit natürlich, um ihre patriotischen Feste, Kundgebungen und Demonstrationen abzuhalten. In vielen Orten Venetiens gibt es Veranstaltungen, ob politisch oder kulturell, um das Andenken an den Schutzpatron fortzuführen.

Zusammengefasst: der 25. April ist Markustag. Selbst atheistische Regionalisten in Venetien können sich nur diesen Tag als Feiertag einer neuen Republik Venedig vorstellen (einzig der Schlachttag von Lepanto gilt als andere Option).

Der Markustag ist zugleich unangenehm. Denn er setzt Bekenntnis voraus: zu einer Religion, zu einer Heimat, zu einer Tradition. Ein gläubiger Muslim kann kaum den Tag eines Mannes begehen, der auch als Patron der Schweinehirten gilt; der Aufklärer mag sich an dem Mythos stoßen; der Grenzenlose an der Fixierung auf Raum und Völker. Im Zeitalter der Unverfänglichkeiten sind Bekenntnisse verdächtig. Die Atheisten können sich nicht vorstellen, dass heute ein katholisches Fest und der Namenstag von Millionen Männern gefeiert wird, von der Südspitze Argentiniens bis zu den sonnigen Palmenstränden der Karibik, auf toskanischen Hügeln, in kleinen griechischen Dörfern, am schlammigen Nil oder in den eisigen Zonen Mütterchen Russlands.

Daher brauchen wir Toleranzfeste. Tag des Baumes. Weltpinguintag. Bäume und Pinguine mag jeder. Sie grenzen nicht aus. Sie bekennen sich zu nichts. Es ist diese triste Gräue, diese Formlosigkeit, diese Ideenlosigkeit, dieser Mangel an jeglicher Spiritualität, an Geschichte, Bewusstsein oder nur einem Hauch von Kultur, welchen die „Bunten“ dieser Welt predigen. Diese völlig infantile Geisteshaltung, die jedes Bekenntnis zu irgendeiner Identität unter Verdacht stellt, kommt beim intellektuellen Pöbel hervorragend an – denn in Zeiten des Globalismus kommen ein paar putzige Vögel besser an als eine Hinwendung zu dem, was die Menschheit eigentlich ausmacht. Dieselbe Geisteshaltung beschert uns Lichterfester statt Sankt Martin und Winterfeste statt Weihnachten. Auf dem Nährboden von geistloser Toleranz wächst – gepaart mit infantiler Dummheit – eine Form von austauschbarer Kulturlosigkeit heran, zu der sich eben jeder gesellen kann, der gerade Laune hat. Bis zum nächsten Welttag des Wassers, der Frauen, oder eines anderen effektheischenden Unsinns, der gerade beschäftigt. Fünf Minuten Verzückung statt fünf Minuten Hass.

Sie dürfen sich nachfolgend zwischen Vivaldis Jubelchor aus Juditha Triumphans – der geheimen Nationalhymne der Markusrepublik – oder Pinguinen entscheiden.

Allen Lesern ein „PAR TERA, PAR MAR – SAN MARCO!“

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