Am 22. und 23. April veranstaltet die AfD in Köln ihren Bundesparteitag. Viele Wirte der Stadt wollen das nicht hinnehmen: Rund 150 Kneipen und Klubs haben sich unter dem Slogan „Kein Kölsch für Nazis“ zusammengeschlossen, um ein Zeichen gegen Rassismus und gegen die AfD zu setzen.
So die Einleitung zu einem Interview, das die Spiegeljournalistin Kendra Stenzel mit dem Kölner Kneipier Mankel Brinkmann führt. Üblicherweise werden hier nicht so sehr Menschen, als vielmehr Journalisten bzw. ihre Berichte auseinandergenommen. Brinkmann jedoch ist hier deswegen interessant, weil seine Ansichten und sein ideologischer Eifer das Problem einer ganzen Metropole widerspiegelt, wenn nicht die eines ganzen Landes.
Ich möchte nicht zum hundertsten Mal auseinandernehmen, wieso ein Vergleich der AfD mit den Nationalsozialisten reiner Unfug ist; weder hat die AfD sechs Millionen Juden ins Gas geschickt, noch einen katastrophalen Angriffskrieg in Gang gesetzt oder Konzentrationslager errichtet. Sie sitzt nicht in der Regierung, nicht einmal im Bundestag. Die größte Gefahr, die von der AfD ausgeht, ist bisher jener überdimensionale Dilettantismus, der Fremdschämattacken verursacht, und bei zartbesaiteten Machiavellisten physischen Schmerz bis zum Herzversagen verursachen könnte.
Bleiben wir bei den Fakten: Kneipiers tun sich gegen die AFD zusammen und unterminieren den Ausschank. Sie legen sich fest, dass es sich um Nazis handelt. Um Rassisten. „Wer Nazi ist, bestimme ich!“ – nun denn, spätestens hier leuchtet auf, wes Geistes Kind die Gastronomen tatsächlich sind.
SPIEGEL ONLINE: Nehmen wir die Aktion mal wörtlich: Wie oft passiert es, dass sich jemand an die Theke stellt und sagt: Ich bin ein Nazi, und ich hätte gern ein Kölsch?
Brinkmann: Das passiert nie. „Kein Kölsch für Nazis“ ist ein plakativer Slogan für mehr Wirkung in der Öffentlichkeit. Bei den meisten unserer Teilnehmer kommen keine Nazis in die Läden, weil wir unsere Türen nicht für diese Menschen öffnen. Es geht darum, dass wir deutlich Stellung beziehen: Uns gefällt das gesellschaftliche Klima gerade nicht, und uns gefällt die AfD nicht, die dieses Klima fördert. Auf den Aufklebern steht ja auch: kein Raum für Rassismus. Die wenigsten Leute würden sich selbst als Nazi bezeichnen. Oft merken Menschen nicht, dass sie etwas Rassistisches sagen. An diesem Punkt kann man mit ihnen ins Gespräch kommen.
Quod erat demonstrandum. Da Brinkmann an keiner Stelle definiert, was „Nazis“ sind, definiert Brinkmann einfach so: Nazi = Rassist. Noch besser: die meisten wissen nicht einmal, dass sie Rassisten sind. Aber die Wirte klären auf und wissen das genau. Man erkennt hier ein typisches linkes Denkmuster: nämlich, dass diese Herren der Schöpfung besser wissen, was im Kopf Anderer vor sich geht, als sie selbst. Ein logisches Meisterstück. Merken wir uns auch den Satz „Uns gefällt das gesellschaftliche Klima gerade nicht, und uns gefällt die AfD nicht, die dieses Klima fördert“ und schreiten fort.
SPIEGEL ONLINE: Fällt Köln im Kampf gegen rechts eine besondere Rolle zu?
Brinkmann: Ja, gerade wegen Silvester 2015/2016. Im Nachtleben bekommen wir gesellschaftliche Spannungen oft als Erstes mit. In Köln haben wir die Auswirkungen der Silvesternacht auf verschiedene Gruppe der Gesellschaft bemerkt. Ausländer haben gesagt: Wir haben wegen unseres Aussehens Probleme, in Läden reinzukommen. Auf der anderen Seite sagen Menschen, sie trauten sich nicht mehr wirklich ins Nachtleben. Diese Probleme spüren wir an der Tür – und sie sind der Grund, dass wir klar Stellung beziehen. Dabei ist es wichtig, dass man nicht nur zu denen predigt, die sowieso links sind. Es machen auch Kneipen mit, die ein ganz anderes Publikum haben. So kann man einen Anstoß liefern.
SPIEGEL ONLINE: Gerade von Nachtklubs hört man heutzutage seltener, dass Nazis sich prügeln, sondern eher, dass Männer mit Migrationshintergrund Ärger machen. Wird auch das thematisiert?
Brinkmann: Da muss ich entschieden widersprechen, ich nehme das anders wahr. Probleme können von allen gesellschaftlichen Gruppen ausgehen. Früher hatten wir eine Politik der offenen Tür: Jeder durfte rein, es sei denn, er sah aus wie ein Rocker oder eben ein Nazi. Wir haben aber irgendwann gemerkt: So eine Politik ist im momentanen gesellschaftlichen Klima nicht mehr zu halten. Wir spüren an der Tür mehr Aggressionen als früher, unabhängig von der Herkunft der Menschen. Wir mussten uns etwas überlegen, bevor die Probleme überhandnahmen. Aber beim Aussortieren an der Tür schlagen sich Vorurteile nieder. Wenn in Medien jeden Tag vom „Nafri“ geschrieben wird, setzt sich das fest, auch bei Mitarbeitern.
Merken Sie etwas? Die Medien sind schuld, weil sie „Nafris“ stigmatisieren; die AfD ist schuld, weil sie die Gräben vertieft und ein „Klima“ befördert; Menschen mit Migrationshintergrund machen keinen Ärger, alle haben mehr „Aggressionen“ als früher; Silvester 2015/16 hatte „Auswirkungen“ – nicht etwa auf unzählige traumatisierte Frauen und Mädchen in der Schicksalsnacht, sondern auf die Migranten! Eine völlige Verdrehung von Opfern und Tätern, von Aktion und Reaktion.
Gerade Köln! Das Fanal der völlig aus den Fugen geratenen Migrationspolitik der Kanzlerin, welches 2015 zum anarchischen Bacchanal orientalischer Prägung verkam, fand mitten in der Domstadt statt. Die Folge: man denkt nicht etwa über die Fehler nach, sondern verschweigt den Skandal zuerst. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Als der Deckel nicht mehr auf dem überschäumenden Kochtopf gehalten werden kann, meint man zuletzt, dass alles nicht so schlimm gewesen sei; oder gar, die belästigten Frauen hätten übertrieben.
Was geschieht danach? Der Karneval wird zum Überwachungsparcour, der Kölner Silvester 2016 besteht aus leeren Rheinpromenaden, mit „Nafris“ auf der Domplatte und Riesenpolizeiaufgebot – aber Brinkmann hat Angst vor den bösen Rassisten von der AfD. So, als hätte das alles keine Vorgeschichte; so, als wäre Köln ein Multi-Kulti-Idyll, das nicht etwa triebgesteuerte Zuwanderer, sondern nur die bösen Vollglatzen um Petry und Höcke zerstörten.
In den Siegauen von Bonn-Beuel wird ein Pärchen überfallen, eine 23jährige vergewaltigt; die Rheinpromenaden von Köln sind ein Brennpunkt geworden, wo man nach Vorfällen – wie auch an diesem Wochenende – auf den ersten Mord wartet. In Düsseldorf wurde ein dreifacher Vergewaltiger dem Gericht vorgeführt. Alle aus dem legendären „Südland“, dessen geographische Grenzen sich in den letzten Jahrzehnten aus dem romanischen Kulturraum in den muslimischen verschoben haben. Und das sind nur die Vorfälle vom letzten Wochenende in der Umgebung Kölns. In Berlin werden jüdische Schüler Opfer muslimischer Angreifer; im Land, das nicht oft genug der Vergangenheit gedenken kann, herrschen Zustände, wie sie vor 30 Jahren noch undenkbar waren.
Aber Brinkmann und Co. fürchten sich vor dem Aufmarsch der Rechten – wenn das mal nicht die Definition von „diffusen Ängsten“ ist! Wer die Rückkehr des böhmischen Gefreiten erwartet, während in Moscheen gegen Deutschland gepredigt wird, dem dürfte ein etwas merkwürdiger Bezug zur Realität attestiert werden. Aber vermutlich wird bald auch der Nestbeschmutzer Constantin Schreiber von N-TV auf dem Altar als nächstes Opfer dargebracht.
Es ist genau das, was Klonovsky einerseits in der Jungen Freiheit thematisierte: nämlich, dass der Feind in den eigenen Reihen steht. Und andererseits im Spiegel selbst von Tenenbom gesagt wurde: nämlich, dass die Deutschen sich immer noch für die besten halten:
Viele haben mir erzählt, wie stolz sie darauf sind, was ihr Land tut. Sie haben bewiesen, dass sie gute Menschen sind, besser als andere. Und ich habe mir gedacht: Deutschland über alles. Ihr denkt wirklich, dass ihr besser als andere seid. Wir sind alle gleich, kapiert es endlich!
Beide Artikel sind lesenswert und seien hier nochmals als Lektüre empfohlen.
Dennoch mag die erste Reaktion des Nicht-Kölners sein: „Mir doch gleich, sollen die doch ihre Plörre behalten.“ Jedoch: das selbstverordnete Ausschankverbot in der Domstadt ist ein Symbol. Seine Signalkraft übersteigt den eigentlichen Inhalt – nicht zuletzt deswegen, weil es gerade von jenen Wohlmeinenden und Guten initiiert wurde, die sich ja sonst als besonders tolerant bezeichnen. Nichts zeigt besser auf, worin der Unterschied zwischen Gutmenschen und guten Menschen liegt.
Als Libertärer sollte einem prinzipiell egal sein, wen man in sein Lokal lässt und wen nicht. Der Wirt kann in seinem Eigentum schalten und walten wie er will. Es widerspräche zwar dem venezianischen Geist, freiwillig auf zahlende Kunden zu verzichten, aber das Heilije Coellen war ja nun auch nie als Ausgeburt des Kapitalismus bekannt, sondern stets als Verein größerer oder kleinerer Zünfte – heißt: Personenverbände – die das Geschick der Stadt direkt oder indirekt lenkten. Insofern ist der historische Filz, den man vor Ort gerne „Klüngel“ nennt, ein Relikt aus dem Mittelalter. Auch was den Vertrieb zweifelhafter Getränke angeht, steht Köln in alter Tradition: so verschleuderten Kölner Kaufleute ihren eher ungenießbaren Rebensaft, der in den Weinbergen der Freien Reichsstadt zwischen Kloaken und anderen unappetitlichen Rinnsalen wuchs, per Rheinschifffahrt an englische Abnehmer. Ein Zyniker möchte hinzufügen: die Engländer haben es wohl ob ihrer berühmt-berüchtigten kulinarischen Delikatessen wohl nicht einmal bemerkt, was ihnen untergejubelt wurde.
Das Kölner Bierverbot für „Nazis“ steht damit weniger in einer Linie mit dem selbst erhobenen Anspruch von „Weltoffenheit“ und „Toleranz“, sondern eher in einer Reihe mit mittelalterlichen Zunft- und Gildenabsprachen, um unliebsame Gegner loszuwerden. Damit handelt es sich aber um das genaue Gegenteil von kölscher-kaufmännischer Weltoffenheit: nämlich um jene spießbürgerliche Provinzialität der alten Kölner Gaffeln, die ungern über die Zinnen ihrer eigenen Stadtmauern schauten. Auch hier das Paradoxon der Wahrnehmung: man glaubt sich auf der guten Seite der Nazi-Bekämpfer, ist aber methodisch selbst den Nazis am nächsten. Neben den vielberühmten Boykottaufrufen gegen jüdische Geschäfte und deren Zerstörung waren es doch gerade die Nationalsozialisten, welche den Zugang zu öffentlichen Veranstaltungen, Hotels („Kein Eintritt für Juden“) und eben auch Gaststätten („Juden sind hier unerwünscht“) verboten. Um es nochmals zu betonen: es geht hier nicht so sehr darum, die Wirte als Nazis und die vermeintlichen Nazis als Opfer darzustellen, als vielmehr darum, dass man sich kaum als edler Kämpfer gegen ein irgendwie auf dem Vormarsch befindliches 4. Reich aufschwingen kann, wenn man methodisch dessen Vertreter 1:1 kopiert, und zugleich diesen Vorwurf dem Gegner entgegenschleudert.
Führt man sich diese Groteske vor Augen, wird einem erst das ganze Ausmaß des Wahns bewusst. Wie bereits erwähnt: die Deutschen haben sich kein Stück verändert. In der Frühen Neuzeit kursierte der Topos in der romanischen Welt, dass der Deutsche fromm und tapfer sei; kaum entkleidete man ihn aber seiner (katholischen) Religion, wandelte er sich zur schrecklichen Bestie. Seit der Säkularisierung des 19. Jahrhunderts, als Kirchen verfielen und Prozessionen ihre Anhänger verloren, glaubt man sich darin bestätigt: das Christentum, welches den Germanen erst zum Deutschen gemacht hat, und dessen schönste kulturelle Blüten sich auf dem romantischen Zenit von Literatur und Kunst – allen voran in den wunderbarsten Klängen der Musik – offenbarten, ja, seitdem man diese „christliche Klammer“ ablegte, suchte sich das Deutschtum neue Religionen: der Nationalismus kann noch als zahmstes Glied in dieser Kette von Wahnanschauungen gelten, hat sich dieser doch erst zum Monster gewandelt, als es sich mit Untertanengeist und vor allem dem Sozialismus vermählte. Statt sich aber von letzterem loszureißen, ist er seit 1945 immer wieder in den verschiedensten Facetten zwischen Rhein und Oder aufgetaucht, jenseits der Elbe sogar als jahrzehntelange Manifestierung eines real-existierenden Sozialismus. Mit der DDR kam eine deutsche Idee, nämlich der Kommunismus, über einen weiten russischen Umweg endlich nach Hause. Es ist kein Zufall, dass Karl Marx in Trier und Friedrich Engels in Barmen (Wuppertal) geboren wurde. Leider. Tief in der deutschen Seele bleibt der Geist christlicher Brüderlichkeit ruhelos, da er vom Kreuz des Erlösers getrennt wurde – der Sozialismus missdeutet diese Brüderlichkeit jedoch nahezu immer als Gleichheit, als jene Egalité, die von Westen kam, aber katastrophalerweise jeden Ungleichen als Feind brandmarkt. Das Diktum „Wir gegen die“ ist nun einmal kein bloßes nationalistisches Freund-Feind-Schema, sondern ein kollektivistisches; und wenn der Sozialismus irgendetwas ist, dann kollektivistisch. Im Übrigen: weil der Sozialismus den leeren Platz des Christentums einnahm, erscheint er immer wieder religiös, unbesiegt, unsterblich, ungescheitert.
Ist es daher Zufall, dass ausgerechnet das seiner Heiligkeit beraubte Heilige Köln der nicht ausrottbaren Krankheit so sehr erlegen ist? Mit einem Dom im Zentrum, dessen Erzbischof ausgerechnet am Fronleichnamstag, also dem „Tag des Rebhuhns“ (frei nach Teresa von Avila, treffend kommentiert von Clamormeus), ein Boot des Todes auf die Domplatte stellt, sich also jener Tristezza hingibt, welche dem sozialistischen Geist neumenschlicher Prägung entspricht, aber überhaupt nicht dem Wesen katholischer Glorie? Hier wütet der Virus tief im Fleisch, wenn die Tochter Roms so tief gefallen ist und sich solcherlei gefallen lässt. Es ließe sich daher noch viel über Köln sagen, allein, es würde diesen Beitrag sprengen.
Wieso dieser lange Exkurs? Ein Lamento über den blinden Wahn, ein Lamento über Köln, ein Lamento über Deutschland – ist gleichbedeutend mit einem Lamento über das, was einst das Abendland war. Es ist ein Lamento über jene, die sich im Recht, auf der Seite der Guten glauben, weil sie der tiefen Überzeugung sind, es besser zu wissen. Vom kleinen Wirt in Köln über die Spiegelredakteurin bis hinein in die Regierungskreise in Berlin und Brüssel.
Sie mokieren sich über die einstigen Hexenjagden der bösen Kirche, befeuern aber heute selbst die Scheiterhaufen, auf dem sie nicht den Leib, aber die Existenz unliebsamer Personen verbrennen; sie werfen anderen vor auszugrenzen, zu hetzen, zu vereinfachen – und tun es in diesem Moment selbst; sie reden von Freiheit, und sprechen sie anderen ab; sie betonen ihren Individualismus, und marschieren im Gleichschritt der Masse und deren Meinung; sie bekämpfen die dunkle Bedrohung, verteidigen dabei die Regierungskoalition oder die Brüsseler EU; sie glauben, dass Geschichte nur aus Vergangenem oder Singulärem bestehe, oder auf ein Ziel zustrebe – und wiederholen die Geschichte als Gefangene des zyklischen Hamsterrads auf tragische Weise selbst.
Man mag nicht zu Ende denken, wo dies alles endet. Bereits jetzt sieht Maas die EU als neue Führerin der freien Welt, die Medien Merkel als heilvolle Anführerin, und die Konsorten in Politik und Medien alle anderen, die dem nicht zustimmen, als „Gefahren“ für den Erdapfel. Wer es jetzt nicht sieht, wird – wie Herr Brinkmann oder Frau Stenzel – nie sehen.
Es sind dies die Momente, in denen man ans Exil denkt. Das alte Italien kannte Ghettos, es kannte aber keine Pogrome.