Tü(r)ckische Fragen

31. März 2017
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Freiheit | Ironie | Machiavelli | Medien

Primo: Was ist aus Deniz Yücel geworden?

Noch Anfang des Monats war diese Seite eine der wenigen, welche sich von der allgemeinen Hysterie um „Free Deniz“ distanzierte. Es waren Tage, in denen eine kollektive Fraternisierung mit einem türkischen Staatsbürger gefordert wurde, der sich ohne Not in Gefahr begeben hatte – und zudem für einen selten verantwortungslosen Chefredakteur arbeitete, welcher im Nachhinein lieber sentimentale Schülerbriefe an Erdogan schreibt, statt seinen Korrespondenten zeitig abzuziehen. Kritiker, welche die Gefangennahme Yücels nicht interessierte oder es gar wagten, Fragen zu stellen, wurden als Nestbeschmutzer oder Feinde der Presse- und Meinungsfreiheit diskreditiert. Kein großes, öffentliches Medium der deutschen Presselandschaft wagte etwas anderes zu rufen, als die sofortige Freilassung Yücels, oder schwieg gleich ganz.

Was hörten wir alles! Von einem deutschen Patrioten, von jemandem, der sein Land liebt, von einem Deutschen mit türkischen Wurzeln. Dass Deniz Yücel durchweg ein widerborstiger, provokativer, und teils menschenverachtender (Causa Sarazzin, Causa Gauck, Causa Deutschenhass) Charakter war, wurde unter den Teppich gekehrt. Man könnte es auf die Spitze treiben: wenn es irgendeinen unter hunderten Korrespondenten gab, die man für so eine Aktion hätte auswählen können, war Yücel der am schlechtesten geeignetste. Dennoch kochten die Emotionen hoch, Unverständnis gegenüber den in Deutschland lebenden Türken wallte auf (weil diese lieber ihren Präsidenten unterstützten als einen dahergelaufenen Schmierfinken), und Jan Böhmermann setzte sich an der Spitze der Bewegung für die Freilassung ein, auch, wenn andere gar nicht dieser Bewegung angehören wollten.

Das Thema dominierte den endenden Februar und den beginnenden März. Yücel sitzt immer noch im türkischen Kerker. Nichts hat sich geändert. Nur die Medien, und auch die laut krakeelende Meute, die überall ihre Solidarität in den Wind plärrte, sind ruhig. Merkwürdig! Solidarität ist heute anscheinend nur eine temporäre Erscheinung. Morgen sind wir dann wieder wahlweise für Tibet, für die EU oder für die Pandas.

Secundo: Zwischen den Niederlanden und dem Osmanischen Reich schwelte ein tagelanger, beinharter Konflikt. Alles vergessen?

Schon spannend. Ich habe nachgeschlagen: in der Frühen Neuzeit gab es keinen einzigen Konflikt zwischen den Niederlanden und den Osmanen – und das war in Zeiten eines expandierenden, aggressiven, muslimischen Weltreiches gar nicht so einfach. Plötzlich – und nur ganz zufällig vor den Parlamentswahlen, natürlich! – entspinnt sich da eine Krisensituation, eine Sichelmondflagge wird dort gehisst, wo früher die Königsflagge wehte, Nazi-Begriffe fallen aller Orten, es hagelt Auftrittsverbote. Auch merkwürdig: es geschieht in derselben Woche, da Robin Alexanders Buch „Die Getriebenen“ erscheint, in dem nicht nur bekannt wird, dass Merkel mit Erdogan einen Flüchtlingsdeal vereinbarte (Abnahme von 150.000 bis 250.000 Personen), sondern auch, dass nur eine einzige politische Persönlichkeit noch davon wusste: nämlich ausgerechnet der niederländische Premier Rutte. Der positionierte sich denkbar hart im Konflikt, um den „Wilders zu machen“.

Nach dem Urnengang: neuerlich Stille. Die Versöhnung ging sehr schnell. Ich verfolge die niederländischen Medien nicht und weiß nicht, ob Ruttes Türkei-Deal thematisiert wurde. Aber auch hier scheinen niemanden in den Pressebüros diese Ungereimtheiten zu interessieren.

Tertio: Wird Medien und Politik Erdogan etwa langweilig?

Mal wird der „Irre vom Bospours“ als Ersatzluzifer an die Wand gemalt, wenn ein Trump gerade nicht zur Hand ist; dann ist wieder wochenlang Ruhe. Der Krieg in Syrien geht aber – samt türkischer Invasion – weiter. Türkische Truppen haben bereits die Operationsgebiete der kurdischen Widerstandkämpfer in zwei Teile geschnitten, was dem Kampf gegen den IS weniger hilfreich sein dürfte. Davon liest man in deutschen Medien ebenso wenig wie von den Hintergründen plötzlicher Wahlkampfabsagen. Zur Erinnerung: erst an den geplanten Wahlkampfauftritten türkischer Politiker spitzte sich der Konflikt mit den europäischen Mächten zu. Ganz plötzlich machte die AKP eine völlige Kehrtwende, und will jetzt ihre Politiker nicht mehr in Europa auftreten lassen – und das, wo es vorher Drohungen und Beleidigungen dafür hagelte, wenn man es verhinderte. Hat man den Konflikt mit Deutschland und den Niederlanden schon als Erfolg gewertet, oder als Niederlage, sodass man es nicht mehr übertreibt? Aber warum wird dann dieser „Erfolg“ der Medien nicht von diesen auch gefeiert, wie es sonst der Fall ist? Womöglich weil Yücel im Knast sitzt? Oder weil es doch eine Vereinbarung zwischen den Staaten gibt? Hat man eigentlich die Nazi-Beleidigungen im Bundestag schon vergessen? Ach, die jetzige Überwachung von Abgeordneten durch den türkischen Geheimdienst ist jetzt wieder aktueller – wie viele rote Linien gibt es eigentlich?

Fragen über Fragen. Schade, dass wir keine investigative Presse haben, die dergleichen auf den Grund geht. Stattdessen sind deutsche Journalisten vollauf damit beschäftigt, uns Fake News, Russenpropaganda oder ein paar hundert Identitäre als größte Bedrohung der deutschen Sicherheit seit 1945 zu erklären.

Teilen

«
»