Ich bin nicht Deniz

1. März 2017
Kategorie: Europa | Freiheit | Italianità und Deutschtum | Machiavelli | Medien | Persönliches

Bereits vor Wochen (!) machten in der Zeitleiste des Gesichtsbuchs Gerüchte die Runde, gegen den WELT-Korrespondenten Deniz Yücel sei in der Türkei Haftbefehl erlassen worden. Es war Ende Dezember, Anfang Januar, und Yücels Twitteraccount – sonst äußerst mitteilungsfreudig – war seit dem 2. Weihnachtstag auf merkwürdige Weise verstummt. Obwohl ich nachhakte, nachfragte und diese Nachricht weiterleitete, interessierte dies dazumal noch niemanden.

Nun, fast zwei Monate später, ist Yücel das Thema der Medien. Der in Flörsheim am Main geborene Türke wurde wegen seiner kritischen Berichterstattung gegen Erdogan verhaftet.

Ich sage dabei bewusst nicht „türkischstämmig“ oder „deutsch-türkisch“, wie es die Medien in ihrer gnadenlosen politischen Korrektheit tun. Yücel ist so sehr Türke wie der Schreiber dieser Zeilen Italiener. Mit dem Unterschied, dass ich nicht in Deutschland geboren wurde; und mit der nicht unwichtigen Hinzufügung, dass mein Mutterblut deutsch ist, ich also im ethnisch-wahrsten Sinne „Deutsch-Italiener“ bin, indes bei Yücel kein Elternteil dergleichen vorzuweisen hat.

Die Konkretisierung ist deswegen wichtig, weil der Doppelpass erneut als ganz furchtbare Angelegenheit ausgespielt wird. Dabei macht gerade der Fall Yücel klar, dass es die von vielen kolportierte Rosinenpickerei eben nicht gibt. Yücel hat beide Staatsbürgerschaften; das bedeutet aber eben auch zweifache Verpflichtung, die jeder Mensch mit diesem Status zu tragen hat. In dem Moment, in dem er als ethnischer Türke mit türkischem Pass die Türkei betritt, trifft ihn nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch die vollumfängliche Gewalt des türkischen Staates. Das muss jedem Doppelstaatler klar sein. Ebenso sollte ihm daher bekannt sein, was jemanden blüht, der in sein Heimatland zurückkehrt, das zu einer Autokratie geworden ist, und in dem seit dem Sommerputsch der Ausnahmezustand herrscht. Yücel wurde bereits einmal von der WELT zurückbeordert, da die Tageszeitung um die Inhaftierung ihres Korrespondenten fürchtete. Das ist aber eben nur die halbe Wahrheit: Yücel ist als türkischer Staatsbürger nicht nur deutscher Korrespondent, sondern auch türkischer Journalist.

Yücel muss außerdem bekannt gewesen sein, dass die Türkei doppelte Staatsbürgerschaften nicht anerkennt. Für die Türkei ist er türkischer Bürger. Ende aus.

Es ist keine Seltenheit, dass Journalisten sich in Gefahr begeben, besonders jene weltreisende Kategorie, die in fremden Autokratien in Gefahr geraten kann. Aber die Türkei ist eben kein fremdes Regime. Ich merke doch selbst in den Momenten, wenn ich die Schweiz in Richtung Deutschland überquere, wie im Autoradio plötzlich ein volkserzieherischer, tyrannischer Duktus herrscht, den ich vorher auf der Reise durch die Lombardei und Helvetien nicht gehört habe. Ich spüre, wenn ich in Merkeldeutschland bin. Yücel kann nicht entgangen sein, was für eine Atmosphäre in der Türkei herrscht – besonders nicht als Autor eines Buches namens „Taksim ist überall“.

Es spielt dabei auch keine Rolle, unter welchen fadenscheinigen Gründen („Mitglied einer Terrorgruppe“) der Mann eingesperrt wurde. Die Türkei hat sich vom Rechtsstaat entfernt. Wer denkt, Erdogan wende nicht alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel an, um Gegner auszuschalten, der hat entweder die letzten zehn Jahre in der Türkei verschlafen oder ist furchtbar naiv. Beides täte dem Bild eines Türkei-Korrespondenten nicht gut.

Kurz: Yücel kannte die Gefahr. Yücel wusste, dass Deutschland ihn nicht retten würde, nicht nur wegen der juristischen Anfechtung der Staatsbürgerschaft, sondern auch der politischen Duckmäuserei der Bundesrepublik. Warum sollte es „Besser Deniz“ dann anders ergehen als der großen Dunkelziffer anderer türkischer Journalisten, die seit Jahren Erdogan die Stirn bieten? Was ist mit der Zahl all jener, deren Zeitungen verboten, Druckereien geschlossen und deren Texte geächtet werden? Yücel muss entweder ignorant oder arrogant sein, wenn er denkt, dass er davon nicht betroffen wäre.

Ich werfe ein Beispiel in die Runde. Wäre ich ein Jahrhundert vorher geboren worden und reiste als doppelter Staatsbürger ins faschistische Italien, um für eine deutsche Zeitung einen kritischen Bericht über Mussolini zu verfassen – ich müsste ziemlich verrückt sein, wenn ich davon ausginge, dass mich die Geheimpolizei verschont.* Als regierungskritischer Italiener in einem autoritären System habe ich mit derselben Behandlung wie alle meine Landsleute zu rechnen. Und ich würde nicht darauf spekulieren, dass mich ein deutsches Papier retten wird, welchem leider viel zu viele Staatsbürger eine fast magische Bedeutung zumessen. Noch grotesker wird der Tanz um das Kalb deutscher Staatsbürgerschaft dann, wenn man sich vor Augen führt, dass bald auch Ausländer in Kommunen wählen dürfen und von einem Staat alimentiert werden, dessen Bürger sie sowieso nicht sind.

Im Übrigen sind daher Kämpfe um doppelte Staatsbürgerschaften auf irgendwelchen CDU-Parteitagen reine Nebelkerzen. Sie haben höchstens symbolischen oder emotionalen Gehalt. Die simple Idee, die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft würde die Integration hier lebender Türken irgendwie beeinflussen, ist bloße Selbsttäuschung, dass Dokumente ein Leben schmiedeten. Diese Türken würden auch als bloße deutsche Staatsangehörige weiterhin Türken bleiben, könnten dann aber nicht einmal als solche statistisch erfasst werden. Es gibt jetzt schon genügend Passdeutsche, die Allahs und Erdogans Gesetzen mehr Wert einräumen als dem Grundgesetz.

Und selbst das hätte keine Auswirkungen auf den rechtlichen Status in der Türkei, weil die türkische Regierung vermutlich die Ablegung der türkischen Staatsbürgerschaft nicht anerkennen würde. Die Türkei ist daran interessiert, ein möglichst großes Staatsvolk zu stellen, auch außerhalb der Landesgrenzen.

Das Gedankenspiel, dass Yücel nur ein (deutscher) Pass gerettet hätte ist daher illusorisch; und es ist wohl ebenso illusorisch, dass ein Mensch, der letztendlich den Volkstod der Deutschen begrüßt, bei der Wahl zwischen deutscher und türkischer Staatsbürgerschaft erstere gewählt hätte. Sarrazin führt hier also auch einen Diskurs, der in die Irre führt.

Mir erschließt sich daher nicht, warum sich ein außer Rand und Band geratener Haufen mit einem türkischen Staatsbürger fraternisiert, der in Deutschland sicher war, die Gefahr suchte, und dann darin umkam. Sofort bekommt man dann entgegengeworfen, man dürfe jetzt „Deniz“ nicht in den Rücken fallen, nur, weil er ein paar deutschfeindliche Texte publiziert hätte.** Darum geht es aber – wie lange genug erläutert – gar nicht. Das ganze Problem ist ein innertürkischer Konflikt. Man kann als Europäer die Vorgänge in der Türkei kritisieren, das geschieht auch hier genügend – aber im außenpolitischen Kontext, wenn die Türkei Völkermord gegen Kurden und Christen begeht oder der dortige Präsident eine Politik betreibt, die „uns“ feindlich gesinnt ist. Man kann zur Islamisierung der türkischen Gesellschaft und dem sich wandelnden innenpolitischen Gefüge stehen wie man will; mir obliegt aber nicht, andere Völker zu belehren, sondern davor zu warnen, mit diesen Ländern außenpolitisch zusammenzuarbeiten oder deren Agenda zu unterstützen, wenn sie der Strategie europäischer Staaten nicht dienlich ist. Mich interessiert die Meinungs- und Pressefreiheit in Europa und die Nicht-Islamisierung unseres Kontinents; was in der Türkei passiert, ist aber Angelegenheit der Türken. Erdogan ist ein gefährlicher Tyrann; er ist aber der von den Türken legitimierte Tyrann, hinter dem eine nicht ganz unbeachtliche Mehrheit steht. Die Kritiker sind eine Minderheit.

Und zu der gehört auch Deniz Yücel, der sich ohne Not dem Regime ausgeliefert hat. Vielleicht ging er – wie viele Linke – davon aus, dass es in der ganzen Welt so zugehe wie in Deutschland, und man ungeschoren in Böhmermannmanier herumbeleidigen darf; mit dem feinen Unterschied, dass, wäre Böhmermann in der Türkei aufgegriffen worden, Deutschland tatsächlich eine Verpflichtung hätte, sich für dessen Freilassung einzusetzen. Soweit im Übrigen zum ständig anzutreffenden Vorurteil, dass jeder, der nicht für Yücel sei, gewissermaßen ein Erdoganfreund und Feind der Meinungsfreiheit sein muss.

Unverständlich bleibt daher die große Solidarität, die plötzlich überall eingefordert wird für einen Mann, dessen Schicksal viele andere Kollegen rund um den Globus teilen, und das bereits seit Jahren und unter weit schlimmeren Bedingungen. Die Unverständlichkeit weicht aber bald der Einsicht, dass es neuerlich eine medieninterne Solidaritätsbekundung ist, deren Gefolgschaft man von jedem einfordert; und jeder, der nicht einstimmt, wird von eben dieser Medienmacht abgekanzelt. Ein verschworenes Grüppchen, welche das eigene Leben und das von Kollegen (also: Journalisten) per se höher hängt als alles andere. Die WELT und ihre Mit-WELTen – Springer, führe du uns an! – schlachtet den Fall aus. Selbststilisierung. Wir gegen Erdogan. Autokorso für Deniz.

Sie denken, ich übertreibe? Dann vergleichen Sie doch den jetzigen Furor mit der Berichterstattung um die Opfer vom Breitscheidplatz. Es scheint, als bewege Deutschland das Schicksal eines einzelnen türkischen Journalisten mehr als das der anonymen (!) deutschen Opfer von Berlin. Deniz hier, Deniz dort – alles in allem Sinnbild der sich selbst lobhudelnden Medienklasse, die um „einen von ihnen“ mehr trauert als um „irgendwelche“ Terroropfer. Die waren eben zur falschen Zeit am falschen Ort. Ganz anders als Deniz.

Insofern schließe ich mit der bekannten westfränkischen Losung: Je ne suis pas Deniz.

__________________
* Weil man heute in denunziatorischen Zeiten lebt – nein, ich vergleiche Erdogan nicht mit Mussolini. Mussolini hatte definitiv hübschere Frauen, und das ganz ohne Kopftuch.
** Von der Debatte um Franziskus und der Beleidigung Sarrazins wollen wir hier schweigen. Dennoch ist Deniz natürlich „besser“, denn er setzt sich gegen Rassismus bei „Hate Poetry“ ein. Merkwürdig nur, dass er den eigenen, in sich selbst schlummernden Hass niemals selbst reflektiert …

Teilen

«
»