Elizabeth Thompson, Remnants of an Army (1879)
Im Jahr 1842 scheitert der britische Versuch, in Afghanistan Fuß zu fassen, auf katastrophale Weise. Das Empire, das damals als unumschränkte Weltmacht gilt, verliert einen dreijährigen Konflikt, der mit einem niederschmetternden Abzug aus Kabul endet. Viereinhalb Tausend Soldaten, zum großen Teil indische Hilfstruppen, versuchen sich nach Dschalalabad durchzuschlagen, begleitet von Familien und anderen „camp followers“ – schätzungsweise zwölftausend Seelen. Immer wieder greifen die Afghanen an und reiben den Heerzug auf. Bei der Schlacht am Pass von Gandamak sind nur noch 65 bewaffnete Briten fähig, ein letztes Mal Widerstand zu leisten – wir schreiben den 13. Januar 1842.*
Am Nachmittag erreicht der Militärarzt William Brydon als einziger Überlebender Dschalalabad.
Die Episode ist den Lesern natürlich vertraut; sie lebt nicht nur in der Ankunft Brydons fort, wie oben von Thompson verewigt, sondern auch in Theodor Fontanes berühmter Ballade, die der ZDF-Auslandskorrespondent Peter Scholl-Latour immer gerne zitierte, wenn es um den afghanischen Widerstand ging. Den Briten folgten die Russen mit ihrem ähnlich ausgehenden Abenteuer; und während man vor einem Jahrzehnt in den Medien der Guten und Schönen den ewigen Pessimisten Scholl-Latour als Miesepeter abtat, so ist mittlerweile wieder einmal offensichtlich, dass die großen Linien der Geschichte wirkmächtiger sind als zeitgeistige Ideologien, wie die Träumerei von funktionierenden Demokratien in weltfernen Gebieten, in denen Allah und Scharia nun einmal mehr bedeuten als – sagen wir – Menschenrechte und Unisextoiletten.
Bereits damals erkannten die Europäer, dass Landkriege in Asien zu vermeiden seien, indes seit dem 20. Jahrhundert geopolitische „Experten“ von einem gedachten „Herzland“ in Innerasien ausgehen, das unbedingt kontrolliert werden müsste, wollte man die Weltherrschaft erlangen. Brzeziński und Kissinger lassen grüßen; ich möchte uns allen ersparen, wer sonst noch seit Napoleon gen Osten drängte.
Die Geschichte zu analysieren, ohne allerdings selbst Bekanntschaft mit der Geschichte und dem Verhängnis zu machen, bedeutet dann, dass letzteres unbarmherzig zuschlägt. Das hat leider nichts daran geändert, dass der Westen weiterhin seine Hand auf die heiße Herdplatte zwischen Osteuropa und Zentralasien legt.
Daher hier ausführlich:
Das Trauerspiel von Afghanistan (1859)
Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,
Ein Reiter vor Dschellalabad hält,
„Wer da?“ – „Ein britischer Reitersmann,
Bringe Botschaft aus Afghanistan.“
Afghanistan! Er sprach es so matt,
Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,
Sir Robert Sale, der Kommandant,
Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.
Sie führen ins steinerne Wachthaus ihn,
Sie setzen ihn nieder an den Kamin,
Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,
Er atmet hoch auf und dankt und spricht:
„Wir waren dreizehntausend Mann,
Von Kabul unser Zug begann,
Soldaten, Führer, Weib und Kind,
Erstarrt, erschlagen, verraten sind.
Zersprengt ist unser ganzes Heer,
Was lebt, irrt draußen in der Nacht umher,
Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,
Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt.“
Sir Robert stieg auf den Festungswall,
Offiziere, Soldaten folgten ihm all‘,
Sir Robert sprach: „Der Schnee fällt dicht,
Die uns suchen, sie können uns finden nicht.
Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,
So lasst sie’s hören, dass wir da,
Stimmt an ein Lied von Heimat und Haus,
Trompeter blast in die Nacht hinaus!“
Da huben sie an und sie wurden’s nicht müd‘,
Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,
Erst englische Lieder mit fröhlichem Klang,
Dann Hochlandslieder wie Klagegesang.
Sie bliesen die Nacht und über den Tag,
Laut, wie nur die Liebe rufen mag,
Sie bliesen – es kam die zweite Nacht,
Umsonst, dass ihr ruft, umsonst, dass ihr wacht.
Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
Mit dreizehntausend der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan.
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*Kein Freitag, sondern ein Donnerstag, aber ebenso schwarz.