Politische Miszellen im deutschen November 2016 (1)

21. November 2016
Kategorie: Alltägliche Gedankenstreifzüge | Carl Schmitt | Europa | Historisches | Italianità und Deutschtum | Machiavelli | Medien | Non enim sciunt quid faciunt | Philosophisches

Ad primo: Außenpolitik.

Bar jedweder realpolitischer Notwendigkeit beleidigen Justizminister, Verteidigungsministerin, Vizekanzler, Außenminister, Kanzlerin („Bedingungen“), sowie Vertreter politischer Wichtelvereine (allen voran Özdemir und Stegner, die meines Wissens bisher niemand irgendwie gewählt hat) den President-elect der USA. Bezeichnend! Jeder, der es 2014 wagte, eine US-kritische Meinung im Ukraine-Konflikt zu besitzen, wurde gnadenlos abgewatscht. Fernsehen und Presse führten Putinversteher und Russlandfreunde vor, selbst hartgesottene Russland-Experten wie Krone-Schmalz und Ruge. Unvoreingenommenheit bedeutete bereits Anti-Amerikanismus. Von TTIP und dem Syrienkonflikt ganz zu schweigen. Jede abweichende Tendenz galt als unterschwelliger, irrationaler Amerikahass.

Mit Trump fühlt man sich innerhalb weniger Stunden wieder an das Medienorchester der Bush-Ära und Reagan-Ära erinnert. Von einem auf den anderen Tag. Pöbeleien gegen die Richtigen sind erlaubt. Es offenbart: für die deutsche Medienwelt spielt die USA per se keine Rolle, sondern wer diese regiert. Es herrscht gar kein Russland-Westen-Kontrast, sondern es geht darum, ob ein böser Republikaner oder guter Demokrat auf dem Sessel sitzt. Obama wurde als Messias gefeiert, Trump ist nun der Asteroid, der auf die Erde zurast. Stoppt Strauß!

Es kann einem egal sein, was die Quantitätsmedien für einen Niveau-Limbo abliefern. Es kann aber nicht egal sein, wenn dies Politiker tun. Obwohl der Löwe in bismarck’scher und stresemann’scher Tradition steht, ergibt Distanzierung von mächtigen Verbündeten keinen Sinn, wenn man keine Auswahl hat. Zu Schröders Zeiten mochte solche Propaganda nützlich sein: damals existierte eine Kontra-Achse zwischen Paris, Berlin und Moskau. Das ist heute nicht mehr der Fall. Deutschland ist isoliert; nicht nur politisch, sondern auch in seiner medialen Wahrnehmung. Großbritannien sieht einer „special relationship“ nach dem Brexit entgegen; in Spanien, Italien und Osteuropa hofft man auf ein Ende der Russland-Sanktionen; und Frankreich unterminierte den deutschen Plan eines „Trump-Gipfels“ auf EU-Ebene zusammen mit den Briten. Letzteres ein Anzeichen dafür, dass man trotz verhaltener gallischer Reaktionen auf die US-Wahl von germanischen Befindlichkeiten noch weit entfernt ist.

Der Besuch Obamas in Deutschland, zu dem eben diese Riege geladen wurde, galt als außenpolitisches Signal, dass Deutschland der erste Verbündete in Europa ist. Unter Obama, wohlbemerkt; freilich kommt der Gedanke, dass die Annäherung zwischen Kanzler-Waschmaschine und White House nach der bitteren Entzweiung während der Bush- und Schröder-Jahre allein auf dieser persönlichen Bindung beruhte. Sollte Russland für Trump keine antagonistische Rolle mehr spielen, bedeutet dies den sofortigen Bedeutungsverlust Deutschlands und eine mögliche Wiederaufwertung Großbritanniens. Deutschland als Festlandsblock in Europa ist der Schlüssel zur Herrschaft über den Kontinent und zur Einhegung russischer Interessen. Das ist der Grund, warum gerade in Deutschland der Ukraine-Konflikt propagandistisch ohne Pardon ausgefochten wurde. Ihr liegt die Strategie neo-konservativer think tanks zugrunde, welche in der Kontrolle der eurasischen Ebenen den Schlüssel zur globalen Vormachtstellung sehen. Eine Seemacht wie England ist dafür unnütz; und Frankreich suchte im Osten historisch stets Verbündete statt direkte Einflusszonen. Deutschland galt und gilt daher als naheliegende Option im Falle russischer Einhegung.

Dieser neo-konservative Gedanke, der noch bei Bush so vehement bekämpft wurde, erlebte plötzlich eine alternativlose Gefolgschaft der deutschen Elite nachdem Obama sie weiterführte. Paradoxerweise haben die Deutschen diese sogar eher verinnerlicht als die Amerikaner selbst, die in ihrer gesamten Geschichte stets zwischen Interventionismus und Isolationismus tendierten. Häufig wird vergessen, dass die USA von 1776 bis 1917 sich allein auf ihren Doppelkontinent beschränkten. Der amerikanische Teich war nicht der Atlantik, sondern der Pazifik. Nicht in Afrika, sondern auf den Philippinen unterhielt der Weißkopfadler Kolonien. Und selbst nach der Intervention im ersten Weltkrieg sollten sich die USA in den 20er und 30er Jahren wieder auf ihre Territorien und Einflusszonen in Amerika selbst konzentrieren. Mit Trump brach sich das angelsächsische Gefühl einer splendid isolation bahn, die nicht nur bei der Mutternation, sondern auch bei weiten Teilen der Bevölkerung des Midwest vorherrscht.

Die Deutschen glauben sich wieder einmal auf einer Mission. So auch Norbert Röttgen, der bei einem Vortrag an der Universität Bonn am 14. November die Rivalität zu Russland als einen von drei bezeichnenden Kernpunkten hervorhob. Darum kristallisierte sich nahezu jeder sicherheitspolitischer Gedanke. Flexibles Denken ist bis heute leider eine Seltenheit in einem Land, das unterschwellig immer noch vom manichäischen Weltbild bestimmt bleibt. Wir hier, ihr dort. Die Amerikaner, die zwar im Konflikt mit dem Feind ebenso wenig vor Dämonisierung zurückschrecken, sind und bleiben in ihrer Mentalität jedoch Händler. Die US-Wahlen sind Ausdruck dieser Mentalität: vor den Wahlen kam Obama nicht umhin, Trump die Qualifikation für das Präsidentenamt abzusprechen, Clinton blies in dasselbe Horn, Trump konterte damit, Obama sei der schlechteste Präsident aller Zeiten und Clinton gehöre ins Gefängnis. Nach der Wahl gratulierten sich die Kombattanten und hoben die Qualitäten der Rivalen vor. Business as usual.

Gerade weil Trump auch in dieser Hinsicht Weltbilder ins Wanken bringt (indes Clinton als erklärte Neo-Konservative Obamas Kurs noch verschärft hätte), stellt er eine Gefahr für den deutschen Michel dar, welcher sich so schön in das Schema von Gut und Böse hineingepresst hat. Nicht die angeblichen Irrationalen, Postfaktischen oder Hassmenschen sind das Problem, sondern die ideologisch komplett verbohrte Elite, die mit ihren universalistisch (geglaubten) Werten ohne Obama plötzlich allein dasteht. Dazu eine mögliche Verbrüderung mit Putin. Daher nicht nur aus deutschen, sondern auch internationalen Redaktionsstuben der Ruf nach Merkel: du, Kanzlerin, führe uns an! Mehr Freie Welt war nimmer. Man fragt sich: wer hat eigentlich wirklich Angst? Die angeblichen „Verlierer“, welche die Globalisierung bekämpfen wollen, oder nicht doch vielmehr eben jene Kaste, die sich um ihr Ende der Geschichte betrogen sieht, nunmehr, da doch nicht alles so unaufhaltsam zusammenwächst und alle Menschen Brüder werden? Es zeigt sich neben kindlicher Naivität eine ebenso kindliche Trotzreaktion. Alles Schlampen, außer Mutti.

Diese Unbedarftheit ist auf außen- wie sicherheitspolitischem Parkett tödlich. Sie entbehrt jedweder Überlebensstrategie. Partner sucht man sich nicht nach Moral aus, sondern nach Interessen. Das weiß im Grunde auch die deutsche Außenpolitik, die keine Probleme hat, mit Saudi-Arabien und der Türkei ins Bett zu steigen; diese Anbiederung erscheint umso erbärmlicher, wenn wiederum eine Gratulation für einen neu – und dazu: demokratisch! – gewählten US-Präsidenten ausbleibt. Dilettantismus, übersteigerter Moralismus und mangelnde Flexibilität zeichnen das Bild einer katastrophalen deutschen Außenpolitik, die der Bundesrepublik noch früh genug auf die Füße fallen wird; ach, was schreibe ich „wird“: Erdogan hat Steinmeier und Merkel mehrfach desavouiert und hält sich nicht an Verträge, indes Trump lieber mit Japan und dem UK korrespondiert, statt mit Deutschland. Es passiert. Vor unseren Augen.

Aber Frau Merkel wird uns in diesen unsteten Zeiten nicht verlassen! Der Außenminister gar Bundespräsident, und der für seinen diplomatischen Charme bekannte Schulz neuer Außenminister. Schnell, holt mehr Arsen, irgendwann wird es schon beim Patienten anschlagen …

Anti-Amerikanismus ist nur dann richtig, wenn er von der richtigen Seite kommt. Da Russland bereits die Rückversicherung aufgekündigt und das UK den Brexit beschlossen hat; Visegrad sich ablöst, indes man die USA verprellt; die neue französische Regierung nationalistisch (und damit: Anti-Merkel) sein wird, Italien sich hingegen immer auf die Seite der Sieger stellt – wird es bald wohl in deutschen Redaktionsstuben wieder heißen, dass nunmehr Deutschland Ordnung in die Welt bringen müsse. Ohne Grenzen steht einem diese ja bekanntlich offen.

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