Die folgende Geschichte entstammt den Euganeischen Anekdoten und behandelt die Ereignisse des 8. Septembers 1298.
In der goldenen Zeit des italienischen Handels rangen der venezianische Löwe und der genuesische Greif um das Mittelmeer. Wer die See beherrschte, dem gehörten die Reichtümer des Ostens: duftende Gewürze, kostbare Seide und die Fülle des Korns der Schwarzmeerküste. Über einhundert Jahre bekämpften sich Venezianer und Genuesen; sie plünderten sich gegenseitig aus; sie machten sich Handelsposten streitig; sie setzten Kontore des Feindes in Brand; sie verleumdeten den Ruf des anderen im Ausland; und sie lieferten sich untereinander Schlachten mit tausenden Männern, wie sie sonst nur die großen Königreiche des Abendlandes kannten.
Die dritte Seerepublik, das toskanische Pisa, war bereits gefallen; bei der Insel Meloria vernichteten die Genueser die Schiffe der Pisaner und zerstörten damit die Macht jener Republik, die vielen als die mächtigste gegolten hatte.
Vierzehn Jahre später, im Jahre des Herrn 1298, forderte der Greif von San Giorgio den Löwen von San Marco ebenso heraus. Und die Genueser sparten nicht mit Provokationen: mit 80 Schiffen verließen sie den Hafen Genuas im Ligurischen Meer, und steuerten die Adria an; die Adria, das war der Hausflur der Venezianer. Die Nachricht von der Flotte, von dutzenden Segeln und hunderten Ruderschlägen verbreiteten sich wie ein Lauffeuer, bis zum Dogenpalast selbst. Die Ligurer plünderten und brandschatzten Dalmatien, das Land an der Ostküste der Adria, das der Republik von San Marco unterstand.
Und Venedig reagierte: 100 Schiffe verließen die Lagune und setzten Kurs. Bei Curzola, einer kleinen Insel in dalmatinischen Gewässern, trafen sich die Flotten. Das Kommando führte Andrea Dandolo aus edler Familie; sie trugen das Kreuz im rot-weißen Wappen, und Dandolo hatte es neben den Löwen von San Marco beheftet, um sein Heer in die Schlacht zu führen. Den Mut und den Stolz des Tieres verkörperte er selbst. Und er war sich sicher: denn er kannte die Gewässer und hatte 20 Galeeren mehr als der Feind.
Sein Gegenspieler, Lamba Doria, zögerte jedoch, als er den Horizont voller Schiffe mit Löwenbanner erblickte. An der Reling bedrängten ihn die Seeleute, zuzuschlagen oder sich zurückzuziehen, da sie sonst auf jeden Fall scheitern würden. Doria aber wartete; er achtete auf den Wind und wies seine genuesischen Landleute an, die Stellung zu halten.
Der Löwe Dandolo konnte das nur als Feigheit erahnen; mit Gebrüll blies er zum Kampf! Und der alte Ruf »San Marco! San Marco co nu!« schallte von Galeere zu Galeere, von Mast zu Mast, von Ruderbank zu Ruderbank und rief Hitze und Wagemut in den Herzen der Venezianer hervor. Denn Andrea war aus der Familie des Enrico Dandolo, des Dogen, der zum Angriff auf Konstantinopel gerufen, und diese Stadt im IV. Kreuzzug erobert hatte. Dieses alte Gemüt trieb die Venezianer dazu, sich wie ein Löwe auf die Beute zu stürzen.
Doch erst, als der Löwe die Zähne zeigte, fuhr der Greif seine Krallen aus: Dorias Verstand hatte erahnt, was Dandolos Herz übersehen hatte. Die Wimpel an seiner Galeere schlugen plötzlich aus, klatschten laut im Wind. Da gab der listige Doria das Zeichen zum Angriff, und überall tönte lautes »San Giorgio! Viva San Giorgio!«, begleitet von den mächtigen Bannern des roten Kreuzes, das der Wind mit den Segeln voran gegen die Venezianer warf.
Zurren von Tausenden Bögen stieß durch die Luft, vollendet von Myriaden von Pfeilen, die den Himmel durchstachen und das Fleisch des Feindes. Feuer setzte Segel in Brand, das Geschrei Verbrennender, Erschossener und Ertrinkender hallte zwischen das Platschen der Ruder. Unter Krachen und Schmettern rammte das Holz zusammenschlagender Schiffe, splitterte dutzendfach gegeneinander, gefolgt vom Knall der Enterplanken und dem Klirren italienischen Eisens. Greif und Löwe zerfleischten sich und rissen blutige Wunden; und weder Dandolo noch Doria zweifelte daran, dass es seit den Tagen Roms und Karthagos solchen Ruhm und solches Grauen gegeben habe.
Zwischen den tausendfachen Schrei von Holz, Eisen, Schmerz, Feuer und Tod dröhnte der große Schrecken, da Dandolo, der sich frontal und gegen den Wind auf Doria stürzte, den Ruf des Feindes von der Flanke hörte. Eine ligurische Reserve hatte sich in einer Bucht versteckt, unsichtbar bis eben für das venetische Auge; und da der Löwe mit dem Greif Auge in Auge haderte, bemerkte er zu spät, wie dessen Kralle ihm in die Brust stieß und ihm das lebendige Herz herausriss.
Es war der düsterste Tag Venedigs; seitdem die ersten Familien in die Lagune geflohen waren, da Attila die alte Heimat Aquileia verheert hatte. Siebentausend Venezianer hatten den Tod durch genuesischen Bogen und Schwert gefunden; Siebentausend venezianische Hände band von nun an die Gefangenschaft ligurischen Eisens; und einhundert Schiffe brannten, erleuchteten die Nacht zum Tage; jene Boote, die nicht den Feuertod starben, machten die Genuesen zu ihren eigenen.
Und der Löwe fiel seinen Feinden in die Hände, umringt von blutverschmierten Schwertern des Greifs. Bis zuletzt hatte Dandolo auf dem Flaggschiff ausgehalten, bis ihn die Übermacht erstickte. Zum Spott banden sie ihn an den Mast, die Hände mit Tauen abgepresst, sodass sich das Blut blau darin staute. Lamba Doria setzte über, und feierte seinen Sieg vor den Augen des Gegners. Den Gonfalon, die Fahne des Löwen, zerrissen sie vor seinen Augen und trampelten darauf herum, umringt von Blut, Fäkalien und Leichen. Und als Dandolo knurrte, da trat Doria vor:
»Nicht einmal ein Alptraum mag Euch darauf vorbereiten, was Euch bevorsteht.«
Und sie zählten auf, wie sie ihn demütigen, foltern und am Ende den Kopf abschlagen würden; aber erst, wenn man ihn in Genua vorgeführt habe. Er könne sich nicht einmal am Mast winden! Seine Flotte zerstört; seine Männer tot; da blieben nur noch seine Ehre und die seines Landes. Denn wer einen Dandolo demütigte, der demütigte Venedig. Und mit Freuden würde Doria ihn auf Knien rutschen lassen; jede Sekunde mochte er auskosten; denn der Löwe hatte keine Freiheit mehr. Und ein unfreier Mann war ein Sklave, Dreck und weder Venezianer noch Genuese.
Da lächelte der Dandolo düster, und meinte, dass ihm Doria alles genommen habe; die Ehre aber, die von San Marco und seine eigene, die werde er bewahren, denn eine Freiheit besitze er noch.
Die Genuesen verstanden zuerst nicht, was der Venezianer meinte; denn gefesselt konnte er nicht einmal sich selbst richten. Da schlug der Dandolo mit dem Schädel gegen das Holz, an das er gebunden; und wieder und wieder, wie es ein Specht tat, nur mit dem Hinterkopf. Voll Schrecken und Grauen sah Doria zu, wie der Löwe im selbstzerstörerischen Tun nicht abebbte, selbst, als das erste Blut floss, und Tropfen das Deck benetzten. Mit der Wucht des Herzens hielt der Venezianer durch, und zerschlug sich das Hirn, bis er nicht mehr atmete, denn lieber wollte er sterben, als in die Hände des Feindes zu fallen.
So dick war der Sturkopf des Dandolo, dass nur er selbst ihn konnte zerschmettern.