Erinnern Sie sich noch an die FAZ? Das war mal die Zeitung für Deutschland. Früher existierte der Slogan „dahinter steckt immer ein kluger Kopf“. Einst das Flaggschiff der Liberalen und Konservativen, geeint mit einem lesenswerten Feuilleton, das mal als Instanz des Bildungsbürgertums galt. Noch in den 90ern gehörte der Bezug zum FAZ-Feuilleton zu jeder guten Harald-Schmidt-Sendung.
Einige mögen jetzt unken, dass es dann ja kaum Relevanz habe besitzen können. Aber den Kriegsschauplatz erspare ich mir. Vorerst.
Meinen leidvollen Wandel vom gediegenen FAZ-Leser zum konsequenten FAZ-Kritiker konnte man ja hier nachlesen. Und tatsächlich bemerke ich seit Kurzem, wie unwichtig und überflüssig jene Zeitung in meinem Leben geworden ist – spätestens dann, wenn ich von anderen auf FAZ-Artikel hingewiesen werde, statt, wie früher, sie selbst zu kennen. Selbst den Bednarz-Artikel, den ich hier im Februar zum Thema machte, sowie der Bier/Wein-Artikel kamen mir eher zufällig unter. Nicht etwa, weil ich aus Langeweile FAZ.NET öffnete, sondern weil ich mittlerweile nur noch im Nachhinein zu einem Thema meine eigene Meinung mit jener der Quantitätsmedien abgleiche – einzig, um zu wissen, wie meine Ansichten zu den veröffentlichten stehen.
Wenn man dann nach gefühlten Monaten einmal FAZ.Net aufschlägt, glaubt man sich in einem anderen Biotop, weil man Veränderungen verpasst hat. Bleibt man ein, zwei Jahre diesem Milieu entfremdet, ist es, als schliefe man des Nachts in einem Regenwald ein, und wacht am nächsten Tag in einem abgeholzten Ödland auf. Freilich, ohne von den Kettensägen und Baggern gestört worden zu sein. Es bleibt dennoch das Gefühl, irgendetwas verpasst zu haben.
Ich hatte mal 2013/2014 prognostiziert, die FAZ würde irgendwann der Huffington Post den Rang streitig machen, was die Qualität anginge. Der Zeitpunkt scheint erreicht. Allerdings mit der kleinen Anmerkung, dass die HP derweil nochmals einige Parketagen des Niveaus hinuntergestiegen ist.
Es gäbe daher eine ganze Fülle an Auffälligkeiten, die es hier zu besprechen lohnte. Stattdessen belasse ich es bei einem „Best of“ der Skurrilitäten, die bezeugen, wie die FAZ von einer einstmals unabhängigen Wirtschaftszeitung nunmehr quasi der Öffentlich-Rechtlichen Wohlfühlmentalität angehört. Unglaublich, was sich da getan hat.
Beginnen wir mit dem ersten Konzert der Unmöglichkeiten, in der Rubrik „Wie erkläre ich es meinem Kind?“: Warum Religion zur Rechtfertigung von Gewalt missbraucht wird.
Ich hätte dazu freilich mehr geschrieben und wollte dem Text einen eigenen Diariumseintrag widmen. Glücklicherweise kam mir Theodred zuvor. Dort steht bereits eine ausführliche Kritik, die ich umfänglich teile. Ich möchte mich daher auf einige zentrale Punkte beschränken.
Allein die Sprache dieses Briefs weist tief in die Geschichte: Ein Kalifat ist ein Herrschaftsgebiet Allahs auf Erden. Kreuzzüge waren mittelalterliche Kriegszüge europäischer Heere ins Heilige Land, mit der Begründung, die damals muslimisch beherrschten Wirkungsstätten Jesu wieder in die Gewalt der Christen zu bringen. Und Märtyrer sind Menschen, die für ihren Glauben zu sterben bereit sind. Viele christliche Heilige sind als Märtyrer gestorben.
Dass die Heiligen Kriege des Christentums – gleich ob in Spanien, Anatolien oder in der Levante – ausschließlich daraus entstanden, weil ein expansiver Islam Europa bedrohte, das hat man wohl vergessen zu erwähnen. Klar, nicht alle Kreuzfahrer dachten an ihr Seelenheil. Es muss aber einmal klargemacht werden, dass das Mittelmeer auch um 1000 ein immer noch mehrheitlich christlicher Teich war; wenn auch eben unter muslimischer Oberherrschaft. Der 1. Kreuzzug geschah aus der Bedrohungslage von Byzanz heraus, das zu kollabieren drohte. Historisch interessant wäre es demnach, die Kreuzzüge als umgekehrten Dschihad zu interpretieren, dessen Ideologie sich nunmehr die Kreuzritter bedienten, um den Islam zurückzuschlagen. Aus Sicht der damaligen Christen handelte es sich um einen Verteidigungskrieg, was auch in den Kreuzzugsliedern zum Ausdruck kommt. Man kann dazu stehen wie man will, aber es war der Islam, der seit dem 7. Jahrhundert militärisch expandierte.
Noch viel hanebüchener ist aber der Vergleich von christlichen und muslimischen Märtyrern. Der Unterschied ist einfach, aber tiefgreifend: Muslime werden mit Gewalt zu Märtyrern, Christen durch Gewalt.
Insofern wäre für dieses gesamte Machwerk der Titel „Wie erkläre ich es meinem Relativierer?“ besser getroffen.
Wir kommen zum nächsten Fundstück und nähern uns damit dem wichtigsten Thema der deutschen Medien seit der Belagerung von Stalingrad (deren Auswirkung auf heutige deutsche Führer vielleicht ähnlich ausfallen könnte). Dabei fanden wir diesen drolligen Passus:
Ein Format wie „The Daily Show“ gibt es in Deutschland nicht; dass Kanzlerin Merkel im deutschen Fernsehen in einer Satire-Sendung auftritt, erscheint undenkbar. Nicht, weil sie keinen Humor hätte, sondern weil ihr Humor zu fein ist für die Sendungen, die zur Auswahl stehen. In die „heute-show“ wagen sich gelegentlich Politiker mit Show-Neigung, etwa Wolfgang Bosbach, Wolfgang Kubicki und Gregor Gysi. Sie präsentieren sich unterhaltsam; über ihre Eignung zum Politiker sagt das nichts. Politiker, die sich selbst für spröde halten oder sich bloß nicht derart beim Zuschauer ankumpeln wollen, gehen gar nicht erst in solche Sendungen. Vielleicht bleiben sie stattdessen zwei Stunden länger im Büro und arbeiten an einem Gesetzentwurf. Ein Zuschauer, der nur sieht, was lustig und laut ist, weiß gar nicht, dass es sie gibt.
Die Große Mutter hat Humor nicht nötig. Denn ihr Humor ist viel besser und auf einem stellaren Niveau, das wir Tölpel niemals sehen werden, weil die Große Mutter so sehr damit beschäftigt ist, für das Wohl des Volkes zu arbeiten. Jeden Tag denkt die Große Mutter für… äh, an Sie. In abgeschlossenen Zimmern. Sie sehen davon nichts, weil die Große Mutter sich jeden Tag für Sie und Ihr Land aufopfert.
Nehmen Sie endlich die Liebe der Großen Mutter an! Frau Merkel liebt Sie! Und kann beizeiten auch noch den ganzen Böhmermanns, Welkes undwiesiealleheißen noch etwas beibringen. Denn Mutti ist die Beste und kann alles.
Ist das eigentlich noch Anbiederung oder schon der Anfang des Stockholm-Syndroms? Ich lasse den geneigten Leser noch etwas mit dem Absatz alleine, und gehe dann zum nächsten böhmermannschen Thema, diesmal aber ins Ausland. Denn bei der ganzen Erdogan-Poesie kam doch Böhmis eigentliches Machwerk völlig unter die Räder. Bis heute habe ich die Vermutung, dass Böhmermann auch deswegen die Aufmerksamkeit von Extra3 wegzerren wollte, weil er sein eigenes Kind vernachlässigt sah. Da macht der Böhmi so ein tolles Video, mit dem er punkten will – und dann reden alle Medien über Erdowie, Erdowo, Erdowahn!
Ganz unverhofft wurde dann „Be Deutsch“ doch noch berühmt. Allerdings in Polen. Dessen Bewohner fanden es nun doch etwas unfein, dass die neue Ministerpräsidentin dort offen angegriffen wird. Eine bittere Note bekommt das Ganze, wenn Szydło in die Gruppe Ewiggestriger eingeordnet wird, und das auch mit Bezug auf Hitler. Um es mal klar zu machen: Polen ist das Land, dessen Bevölkerung (prozentual berechnet) am meisten unter dem von Hitler initiierten Zweiten Weltkrieg litt. Nun kommen die dafür verantwortlichen Deutschen ein paar Jahrzehnten später an, und rücken die polnische Ministerpräsidentin in die Nähe dieses Mannes.
Ehrlich, von der Seite aus betrachtet hätten es nicht die Türken, sondern eher die Polen verdient, Böhmermann vor den Kadi zu zerren.
Trotzdem ist sich die FAZ nicht zu schade, einen Gast einzuladen, der diese polnische Empörung auf die Kontrolle der staatlichen Medien im Nachbarland zurückführt. Wie auch bei hiesigen politischen Gegnern und Böhmis Video beobachtet: wenn der Gegner rechts steht, verliert er jedwede Menschenwürde. Von Diskussionswürdigkeit ganz abgesehen.
Die Nachrichtenredaktion von TVP hat ebenfalls wenig Verständnis für Ironie. Der ganze Beitrag suggeriert, Szydło werde vom ZDF zum Nazi erklärt. Böhmermanns Clip, sagt der Redakteur Klaudiusz Pobudzin, sei der „aggressive Versuch, Politiker zu desavouieren, mit denen Berlin im Clinch liegt“. Der rechtskonservative Publizist Cezary Gmyz pflichtet bei: Angela Merkel und die Journalisten, die sie unterstützten, wollten eine Mauer der Ungleichheit zwischen den europäischen Gesellschaften errichten. Dass es sich um einen satirischen Beitrag handelt, wird nirgends erwähnt. Sogar Szydło selbst nahm auf Twitter Stellung zum angeblichen Vorwurf des ZDF, sie sei ein Nazi: „Ich bin in Oświęcim geboren. Die Familie meiner Mutter wurde von den Deutschen zwangsumgesiedelt. Mein Urgroßvater starb im KZ Auschwitz. Das ist meine Geschichte.“ Damit wollte sie wohl sagen, dass sie sich schon wegen ihrer Familiengeschichte nicht vorwerfen lassen müsse, ein Nazi zu sein.
Aber – und jetzt kommt der Knüller:
Das hatten ihr allerdings weder das ZDF noch Böhmermann vorgeworfen. Letzterer dürfte nach seiner Provokation des türkischen Präsidenten Erdogan überrascht sein, mit welch geringem Aufwand er es zur Prime Time ins polnische Fernsehen geschafft hat. Immerhin zieht sein Video nicht nur die von Orbán geäußerte Angst vor dem „moralischen Imperialismus“ der Deutschen ins Lächerliche. Es karikiert ebenso die „true Germans“, die auf ihre Vergangenheitsbewältigungsweltmeisterschaft so stolz sind wie auf Mülltrennung und darauf, nicht stolz auf ihre Nation zu sein.
Ernsthaft? Das ist mittlerweile die neue Art der Apologetik der Generation Böhmermann. Es hat etwas von Kindergartenkaspereien: man beschimpft ein Kind, bis es sich wehren will, worauf der Aggressor meint: Ätschbätsch! War gar nicht so gemeint! Du bist ja blöd!
Verantwortungsgefühl für das, was man tut oder sagt? Um Gottes Willen. Das passt nicht in die infantilisierte Welt der Böhmermänner dieser Republik. Ich verweise auf Cervi.
Und Theodred.
Besondere Beglückung empfand ich aber insbesondere wegen der Veröffentlichung des „Wörterbuchs der Neuen Rechten“. Zu letzteren darf sich bereits Franziskus wegen seiner Kritik an der Genderideologie zählen. Die von der FAZ genannten Stichworte sind: Das Eigene, Genderwahn, Geschichte, Hypermoral, Islam, Legitimität, Lügenpresse, Rasse, Realität, Thymos, Vereinigte Staaten und Widerstand.
Sollten also Sie, lieber Leser, der Meinung sein, dass die Klasse und Rasse unserer eigenen Frauen – auch forciert durch die Hypermoral der Lügenpresse – ganz einzigartig in unserer Geschichte unter dem Islam und dem Genderwahn leidet, und Sie es daher auch für völlig legitim halten, in den Widerstand zu gehen (selbst wenn Sie nicht wissen, was die Vereinigten Staaten oder der Thymos damit zu tun haben) – so dürfen Sie sich bereits mit einem rechtsintellektuellen Schwergewicht wie Martin Lichtmesz messen.
Oder wenigstens auf Liane Bednarz‘ Beobachtungsliste landen.
Den Gipfel erreicht aber Volker Zastrow. Ja, der Volker Zastrow, den ich hier noch kürzlich vorstellte. Ursprünglich dachte ich ja, das kann man nicht mehr überbieten. Ich wurde eines Besseren belehrt. Der Mann schafft es schneller Artikel rauszuhauen, als ich sie kommentieren kann. Beginnen wir mit dem jüngsten Elaborat: Die Qualen der SPD.
Nur einige Rosinen. Nicht alles auf einmal. Es könnte bleibende, gesundheitliche Schäden hinterlassen.
Im „Spiegel“ hatte er [Stoiber] der Bundeskanzlerin vorgehalten, die Union in eine „Einheitspartei“ zu verwandeln. Damit knüpfte er an Seehofers ebenfalls auf Merkel gemünztes Wort von der „Herrschaft des Unrechts“ an. Vielleicht war Stoiber ja auch schon dessen geistiger Urheber. Beide Schläge zielen unter den Gürtel, wollen Angela Merkel eine DDR-Vergangenheit anlasten – als sei es ein persönlicher Makel, Kindheit und Jugend unter einem Unrechtsregime verbracht zu haben. Anders aber als Seehofers Entgleisung fand Stoibers noch härterer Spruch kaum Widerhall.
Stimmt. Wer unter einem ideologischen System gelebt hat, steht mitnichten in Verdacht, womöglich ein Mitläufer gewesen zu sein. Im Gegenteil. Das hat etwas von diesem alten Faschistenwitz.
Erste Generation: Opa war ein Faschist.
Zweite Generation: Opa war kein Faschist…
Dritte Generation: Opa war bei den Partisanen!
Daher ist Zastrow sicher:
Merkel hingegen muss sich nicht grämen. Sie wird auch 2017 einen Koalitionspartner finden, falls sie die absolute Mehrheit, die sie beim letzten Mal nur knapp verfehlte, dann nicht doch noch erreichen sollte.
Ich weiß ja nicht, in welcher Welt der Mann die letzten Monate verbracht hat, aber zu insinuieren, dass Merkel wohl auch 2017 die Mehrheit nur ganz knapp verfehlen könnte – da fragt man sich, ob man das noch als Propaganda, oder doch kognitive Erkrankung verbuchen soll. Reden wir noch vom selben Deutschland?
Wir kommen zur nächsten, missverstandenen Partei.
Nein, es ist die SPD, der es wirklich schlecht geht. Sie will ganz entschieden die noch verbleibende Zeit der Wahlperiode für Sacharbeit nutzen. Aber die Sozialdemokraten quält die Frage, warum die Wähler ihr ihre Erfolge nicht verzeihen. Geschweige denn entgelten. Darum drehte sich denn auch Stegners Interview am Wochenende im Deutschlandfunk. Es ist wirklich so: Die SPD hat viele ihrer Vorhaben durchgesetzt, die wichtigsten Stichworte sind Renten und Mindestlohn.
Man beachte die Wortwahl. In jedem Satz. Da liest man etwas von Sacharbeit. Durchsetzung. Und natürlich: Erfolg. Sowie Lohn.
Das einzige Wort, was in diesen Absatz nicht passt, ist: SPD.
Wie kann es der dumme Pöbel nur wagen, der SPD nicht ihren gebührenden Erfolg zu gönnen? Gut, dass uns Zastrow sowohl bei der CDU, wie auch der SPD erklärt, wie ungerecht diese arme Regierung behandelt wird. Wir, die Wähler – wir sollten uns etwas schämen!
Es kommt aber noch dicker.
Und das, obwohl die SPD sich hier, seit Gabriel Vorsitzender wurde, sowohl logisch als auch psychologisch einwandfrei aufgestellt hat. Sie macht fast alles richtig, und es scheint ihr doch nichts zu nützen. Ja, und mehr noch: Die verantwortungsvolle, konstruktive Arbeit der Sozialdemokraten in der Außen- und Europapolitik (manchmal auch hinter den Kulissen), dazu noch die herausragende Rolle des Europäischen Parlamentspräsidenten Martin Schulz hätten viel mehr Vertrauen verdient, als in den schlechten Umfragewerten zum Ausdruck kommt.
Es reicht Zastrow also nicht, nur die große Koalition ihrer Erfolge wegen zu lobhudeln: auch die Europapolitik ist blendend. Schulz wird unterbewertet. Ich stimme zu: der Mann hat eine herausragende Rolle. Mit Sicherheit.
Nur, bei was – da hätte ich freilich eine ganz andere Antwort…
Guter Rat ist teuer. Stegner hat recht, wenn er feststellt, dass die SPD – wie auch die Union – viele Wähler gar nicht mehr erreicht.
Auch Ironieunbedarften dürfte nicht entgangen sein, dass dies ausgerechnet Herrn Stegner auffällt.
Freilich könnte man diesen Artikel als Satire einordnen, wenn er nicht so ernst daherkäme. Wenn dann allerdings auch noch der Zufall – oder doch: Ironie des Zufalls? – gegen Zastrow ist, macht dies die Karikatur eines Zeitungsartikels voll.
Schlechtes Timing, würde ich mal sagen. Man fragt sich dann nur noch: wenn unabhängige Medien solch ein Loblied auf die Regierung singen, braucht man sie dann noch – oder wäre es nicht fairer, einen Teil der Zwangsgebühren auch an die FAZ abzuführen?