Ich denke, das berühmt-berüchtigte Video über den neuosmanischen Sultan ist bekannt genug, spätestens, nachdem der deutsche Botschafter unerhoffterweise sich wieder einmal wegen Beleidigung irgendeiner Art bei diesem einfinden durfte. Das durchaus sehenswerte Produkt der Mannschaft um „extra 3“ vom NDR fand diesseits wie jenseits des Bosporus ein großes Echo. Auch die eher zweitklassige Einlassung des Böhmermännchens mit seinem Gedicht führte zu Wellen; weniger, weil die Satire so gut war, als dass der Verantwortliche wohl dem Team von extra 3 seinen Erfolg neidete und selbst wieder im Mittelpunkt stehen wollte. Leider ging die Rechnung auf: das ZDF zensierte Böhmermanns Text, die Aufregung war groß und der NDR-Beitrag geriet dadurch aus dem Blickfeld.
In all diesen Tumulten darüber, was Satire darf und was nicht, und wie schlimm der liebe Sultan eigentlich ist, empfindet man es doch als etwas befremdlich, mit welcher Innbrunst plötzlich gegen Erdogan gewettert wird.
Erstens, weil dessen Verhältnis zu Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit keine Neuheit ist, und dem Bundeskanzleramt auch schon vor dem Türkei-Deal bekannt. Das hat aber bisher niemanden davon abgehalten, die Türkei als „europäischer“ als manches EU-Land zu nennen – Altmaier dixit – und eben dieses Land zum Stützpfeiler neuer deutscher Europapolitik zu machen, weil man so einfach mal alle anderen EU-Länder übergehen konnte (inklusive dem einstigen Herzpartner Frankreich), eben, um „europäische“ Politik zu betreiben.
Zweitens, weil es ja nun in Deutschland auch nicht ums Beste steht, was die Zensur angeht. Erinnert sich noch jemand an den hiesigen Justizminister, der auf Facebook und Twitter Nachrichten mithilfe von Frau Kahane redigiert, wenn diese „rechts“ sind, aber Islamisten und Linksextremisten weiterhin ihren gerechten Kampf führen lässt? Satire gegen andere Länder ist natürlich wohlfeil, wenn im eigenen Land es auch nicht so läuft. Gibt man das Ausland der Lächerlichkeit preis, so kann man von den eigenen Unzulänglichkeiten vorzüglich ablenken.
Insofern ist dem Beitrag von Gadamer zuzustimmen, dass sich die Satire gegen die herrschende Principessa im Kontrast zu jener ihrer innenpolitischen Gegner und außenpolitischen Potentaten doch reichlich in Grenzen hält. Der Artikel fand auf „Tichys Einblick“ Verbreitung, und wie immer setzte der Verantwortliche für dieses Informationsportal dazu einen Tweet ab.
Erdo-Wie, Erdo-Wo, ok. Aber gibt es eigentlich das Gegenstück dazu, nämlich Satire im NDR über Angela Merkel? https://t.co/cxXE3XvuJl
— Roland Tichy (@RolandTichy) March 31, 2016
Prompt kam der Einspruch: extra 3 hat doch eine total kritische Merkel-Satire verfasst! Die restlichen Vorwürfe spare ich mir an der Stelle. Vergleichen wir doch einfach den Beweisbeitrag für Merkel-Kritik im eigenen Land mit der gegen Erdogan.
Fällt etwas auf? Also, ganz abgesehen davon, dass Merkels Reaktion zur Flüchtlingskrise als nicht „richtig genug“ eingeschätzt wird, weil sie am besten sofort alle Migranten per Flugzeug eingeflogen hätte, und der NDR-Lieblingsfeind Seehofer noch einen über den Latz bekommt?
Richtig. Erdogans Video befasst sich mit der tatsächlichen Politik des Neuosmanischen Reiches. Es fällt ja auch schwer, Politik zu kritisieren, wo keine ist. Daher nimmt sich das Merkelvideo auch so zahm aus.
Ganz ähnlich hier. Die extra 3-Crew würde am liebsten „mehr Angela“ haben, nicht weniger. Heißt: gegen Visegrad, gegen Seehofer, gegen Putin. In der Hinsicht muss man froh sein, dass „Satire“ nicht die Politik diktiert. Sie scheint nämlich geistig noch kleingeistiger.