Max Frisch und die Brandstifter

4. April 2016
Kategorie: Europa | Freiheit | Historisches | Italianità und Deutschtum | Linkverweis | Medien | Philosophisches | Zum Tage

Wer heute bereits die Wikipedia aufgeschlagen hat, weiß es bereits: der Artikel des Tages hat Max Frischs Homo faber zum Thema, in Erinnerung an den Tod des großen Schweizers am 4. April 1991. Dabei wäre in der aktuellen Lage ein anderes Werk von Bedeutung gewesen; dass Biedermann und die Brandstifter aber nicht auf die Startseite gelangte, hängt wohl vor allem mit der fehlenden Exzellenz zusammen. Dabei bietet der Eintrag einen recht guten Überblick.

Für jene, denen die Lektüre zu lang ist, sei die Handlung kurz zusammengefasst: der Haarwasserfabrikant Biedermann lebt zusammen mit seiner Frau Babette in seiner Villa und genießt das großbürgerliche Leben. Damit ist es vorbei, als sich zwei Fremde einnisten, die das Ehepaar bald mit einer Serie von Brandstiftungen in der Nachbarschaft in Zusammenhang bringt. Die Brandstifter machen aus ihren Plänen keinen Hehl, bunkern sogar ihre Mittel auf dem Dachboden und bereiten unter den Augen Biedermanns das nächste Verbrechen vor. Biedermann versucht das Vorhaben trotz allem zu leugnen, belügt sogar die Polizei, und möchte sich am Ende opportunistisch mit den Brandstiftern verbrüdern, um seine eigene Haut zu retten. Das Stück endet in der absehbaren Katastrophe.

Das Drama entstand 1948 – im Übrigen nicht, wie so oft behauptet, unter dem Eindruck des Aufstiegs der Nationalsozialisten in Deutschland. Stattdessen bezieht sich Frisch auf die kommunistische Machtübernahme in der damaligen Tschechoslowakei. Das lässt sich auch an mindestens zwei Motiven festmachen. So sind die Brandstifter eben kein Teil der biedermannschen Welt, sondern kommen „von außen“, ähnlich der sowjetischen Infiltration in der Nachkriegszeit; zum anderen existiert ein dritter Brandstifter, nämlich der Akademiker, der nicht aus „Freude am Feuer“, sondern ideologischen Gründen „zündelt“. Erst ganz kurz vor Schluss taucht dieser auf, distanziert sich in einer langen Rede von den Feuerteufeln, ohne natürlich irgendeinen Einfluss auf das Geschehen zu haben – eine Karikatur der sozialistischen Intelligenzia an vielen europäischen Universitäten. Der Nationalsozialismus dagegen hatte ja eben keine akademische Stütze, sondern baute diese durch die Gleichschaltung erst auf.

Das ist ein Aspekt, der oft unter den Tisch fällt. Sinnigerweise lassen einige Interpretationen des Biedermann nicht nur das (überflüssige) Nachspiel weg, sondern auch die Figur des Intellektuellen. Man könnte ja auf falsche Gedanken kommen, dass in erster Linie gar nicht die Braunen, sondern die Roten gemeint waren. Wie bei allen Sozialisten spielt dabei die Moral eine große Rolle. Biedermann will nicht als „Unmensch“ dastehen, indem er die beiden Männer rauswirft, die weder Obdach noch Arbeit haben. Obwohl diese ganz eindeutig kriminell sind, möchte Biedermann dabei auch unter Beweis stellen, dass er ein „guter Mensch“ sei. Das ist deswegen schon schizophren, weil sich Biedermann den beiden Brandstiftern überaus verzeihend gibt, den eigenen Leuten gegenüber dagegen unnachgiebig. Sein Dienstmädchen Anna kommandiert er herum, seinen Angestellten Knechtling entlässt er unbarmherzig – später nimmt sich dieser unter dem Gasherd das Leben. Doch als der Brandstifter Schmitz auftaucht, ein armer Hausierer, und an Biedermanns Mitmenschlichkeit appelliert, zeigt sich der Fabrikant plötzlich gnädig; aber eben nicht aus wahrer Menschenliebe – wie ihm Schmitz Honig um den Mund schmiert – sondern, weil er eben nur als Menschenfreund scheinen will. Das Fremde wird bevorzugt zum Nachteil des Eigenen, und man gefällt sich in der Rolle.

Das Drama ist jedoch keine Tragödie und auch keine Komödie; das „Lehrstück ohne Lehre“ ist im wahrsten Sinne eine Anti-Tragödie. Tragödien zeichnen sich durch ihr gesetztes Schicksal aus, welches der tugendhafte Held zu bekämpfen versucht, aber letztendlich scheitert. Das ist bei Biedermann anders: hier kämpft ein Feigling gegen gar nichts, denn das Schicksal ist sehr wohl abwendbar. Das Scheitern ist damit total. Demnach handelt es sich auch um keine Komödie, die ein „gutes“ Ende verlangt.
Die Parodie auf die antike Theaterform wird am Einsatz des Chors beim Biedermann deutlich, der in der Form einer Mannschaft aus Feuerwehrmännern kommentiert; allein, Biedermann handelt nicht, er rechtfertigt sich noch vor dem Publikum: Sie hätten doch nicht anders gehandelt, in meiner Situation!

Offenen Auges lässt er demnach die Täter Schmitz und Eisenring gewähren, hilft ihnen zuletzt sogar, als er ihnen die Streichhölzer im entscheidenden Akt reicht. Ab einem „point of no return“ will er sich ihnen „anbiedern“, hofft auf Freundschaft und damit, dass der Kelch an ihm vorbeigeht. In seiner Schwäche spendiert er den Brandstiftern sogar ein Abendessen. Die Aktion reicht an Selbstaufgabe: von der Identität des dominanten Fabrikbesitzers bleibt nichts übrig. Eine Interpretation geht dahin, dass Biedermann nur äußere Fassade ist, nur Opportunismus, ohne Substanz dahinter; kurz, Biedermann kann die beiden Täter überhaupt nicht aufhalten, da er keinerlei Wahrhaftigkeit besitzt, die ihm bei der Durchsetzung einer wahrhaften Tat hilft. Max Frisch äußert hierzu:

„Wenn Sie mich fragen, ich finde diesen Gottlieb keinen Bösewicht, wenn auch als Zeitgenossen gefährlich. Um ein gutes Gewissen zu haben – und das braucht er, um Ruhe zu haben –, belügt er sich halt. […] Gottlieb möchte als guter Mensch erscheinen. Er glaubt sogar, daß er das sei: indem er sich selber nicht auf die Schliche kommt. Biedermann ist ein durchschnittlicher Bürger, dessen Dilemma es ist, dass er gut sein möchte, ohne dabei irgendetwas zu verändern. Schlimm ist allerdings, daß auch die Nachbarn von Gottlieb Biedermann voraussichtlich zugrunde gehen: da hört die Komödie auf.“

In dieser Hinsicht lohnt auch noch einmal ein Blick auf die Antagonisten. Denn die Brandstifter sollen zwar für die ideologischen „Zündler“ stehen, symbolisieren aber weitaus mehr: sie sind für Frisch „Dämonen“, aus einer anderen Welt kommend. Sie sind eben nicht politisch, sondern anarchisch. Dabei ist von Anfang an klar, was sie vorhaben; es ist Biedermann, der nicht aufwachen will.

„Wer denn eigentlich mit den beiden Brandstiftern gemeint sei, die Frage ist mir in zwanzig Jahren mindestens von tausend Schülern gestellt worden. Gottlieb Biedermann ist ein Bourgeois, das ist offenbar. Aber zu welcher Partei gehören die beiden Brandstifter? – kein Satz, den sie sagen, weist darauf hin, dass sie die Gesellschaft verändern wollen. Keine Revolution also, keine Weltverbesserer. Wenn sie Brand stiften, so aus purer Lust. Es gibt Pyromanen. Ihre Tätigkeit ist apolitisch. […] Ich meine, die beiden gehören in die Familie der Dämonen. Sie sind geboren aus Gottlieb Biedermann selbst: aus seiner Angst, die sich ergibt aus seiner Unwahrhaftigkeit.“

Schein, Opportunismus und Oberflächlichkeit einer angeblich dominanten Persönlichkeit in führender Position, die lieber mit Dämonen paktiert, als das Treiben derselben zu unterbinden, und verblendet auf ihrem Weg sogar Nachbarn in Gefahr bringt, aber zielbewusst in ihrer letzten Konsequenz voranschreitet – wäre es in unserer heutigen, genderfreundlichen Zeit nicht endlich soweit, die Rolle mit einer Biederfrau zu besetzen?

Ach, ich vergaß. Das ist ja längst geschehen.

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