Mein Fernsehkonsum hält sich in engsten Grenzen. Ich kann daher wenig zu Jan Böhmermann sagen, der wohl mittlerweile Karriere im ZDF und beim Spartensender Neo gemacht hat. Nicht, dass mich als Gebührenzahler irgendjemand gefragt hat, ob ich so etwas bräuchte, aber es ist ein Grundgedanke der heutigen Zeit, dass nicht ich, sondern eine höhere Institution, die irgendwie mit dem Staat zusammenhängt, mir vorschreibt, was ich zu glauben habe und zusätzlich ungefragt ein paar Euro einbehalten darf.
Es sei hinzugefügt, dass diese deutsche Geisteshaltung, das Beste zu wollen, und im Zweifelsfalle die Menschen zu ihrem Glück zu zwingen, nicht aus niederen Beweggründen oder Boshaftigkeit geschieht, sondern aus dem innersten Gefühl, dem wie auch immer gearteten Kollektiv etwas Gutes tun zu müssen. Die Geisteshaltung schlägt sich im vielzitierten Spruch „am deutschen Wesen mag/soll/wird die Welt genesen“ nieder. Die Wendung stammt aus Geibels Gedicht „Deutschlands Beruf“. Der Wikipedia-Artikel zeigt sinnigerweise eine Marke aus dem Ersten Weltkrieg, auf dem diese Worte prangen.
Diese innere Berufung ist eine Spezialität des deutschen Geistes. Immer wieder glauben seine Vertreter einer inneren „Mission“ folgen zu müssen. Wie auch diese aussehen mag. Es ist meines Erachtens kein Zufall, dass die Idee zum Kommunismus in Deutschland entstand, und sozialistische Ideale noch heute bei vielen herumschwirren, die der Meinung sind, dass die Idee immerhin „gut“ sei. Darin liegt der innere Kern des deutschen Dilemmas. Wenn eine Idee „gut“ ist, dann kann die Praxis ja nicht so schlecht sein. Schon Karl Popper wusste, dass jene, die den Himmel auf Erden wollten, eine unvermeidliche Hölle schaffen. Sowohl die Weimarer Verfassungsväter, die eine möglichst „freie Demokratie“ haben wollten, dachten nur an das Beste, ohne an die realpolitischen Konsequenzen zu denken; ebenso waren auch die Nationalsozialisten von der guten Idee beseelt, dass Deutschland Weltmacht werden solle. Mielke liebte alle Menschen. Man kann moralisch über diese Leute urteilen wie man will, das heißt jedoch nicht, dass sie aus ihrer eigenen, begrenzten Perspektive moralisch schlecht handelten.
Meiner Ansicht nach besteht der große, mentale Unterschied zwischen Italienern und Deutschen darin, dass die Italiener für diesen missionarisch-ideologischen Eifer deswegen weniger empfänglich sind, da sie größtenteils dem Staat und öffentlichen Einrichtungen zutiefst misstrauen. Familie und Tradition spielen immer noch eine größere Rolle. In Deutschland herrscht dagegen ein gewaltiger, öffentlicher Druck der Angleichung, der sich nicht nur im politischen Denken niederschlägt. Dazu aber ein andermal mehr.
Warum diese lange Einführung? Böhmermann hat vor wenigen Tagen folgendes Video erstellt, in welcher er als Rammstein-Verschlag besingt, was deutsch ist, und was nicht:
Vorweg sei gesagt: rein handwerklich betrachtet ist das Video für deutsche Verhältnisse nicht einmal schlecht, und wer Rammstein etwas kennt, weiß, dass einige Elemente tatsächlich hervorragend parodiert sind. Also, wenn man davon ausgeht, dass die Parodie Rammstein gilt, und man nur Böhmermanns eigenen Einsatz als Double bewundert.
Leider sind aber einige „satirische“ Elemente definitiv politisch, und lassen eher die Meinung Böhmermanns und seiner öffentlich-rechtlichen Medienkollegen erkennen. Das beginnt wieder einmal mit der obligatorischen Geschichtsbelehrung, die nicht ohne Hinweis auf den 9. November auskommt; ein Datum, das natürlich nur in negativer Erinnerung wegen 1938 bleibt. Es ist ja nicht so, als hätte der Tag noch andere Bedeutungen für die Deutsche Geschichte. Das gesamte Video durchzieht eben die große Botschaft: wer aus dem Nationalsozialismus gelernt hat – und alle guten Deutschen haben das!* – der muss jetzt gegen die AfD, Pegida und jeden abgebildeten „Antidemokraten“ zu Felde ziehen.
Auf der einen, linken (!) Seite stehen dann auch „bunte“ Menschen. Nicht nur divers, multikulturell, jeder Altersgruppe, sondern eben auch „bunt“ angezogen. Auf der anderen graue Eintönigkeit. Schmitts Freund-Feind-Schema wird hier perfekt aufgebaut. Wer will schon etwas mit den Typen mit Mistgabeln und Fackeln zu tun haben? Dazwischen ein Flüchtlingsjunge. Symbolischer geht es nicht, aber eben auch nicht überspitzter und klischeehafter.
Bleiben wir vorerst bei der Bildsprache.
Ganz abgesehen davon, dass man sich fragt, ob der Flüchtlingsjunge wirklich in irgendeiner Hinsicht die Realität dessen abbildet, was an 1 Million junger Männer um die 20 bis 30 hier eingewandert ist (oder waren die Täter in Köln alle so frühreif?), fallen eine ganze Reihe von Fehlern und unlogischen Konstellationen auf. So ist es reichlich merkwürdig, dass den „Grauen“ Mistgabeln und Fackeln zugeschrieben werden, es aber in der Tat die „Bunten“ sind, die angreifen (!). Ein Angriff, der völlig unmotiviert ist, außer, dass die Gegner eine andere Meinung haben. Denn „getan“ haben die Grauen ja nichts, außer zur Wahl zu gehen, wo ihre Stimmen zerschreddert werden. Moment mal, Böhmi – hast du dir das wirklich mal gut überlegt? Irgendwie ist das doch eher Wasser auf den Mühlen derer, die Wahlbetrug wittern, wenn man sich die Szene vor Augen führt. Auch bezeichnend: das gezeigte Mädchen darf in einer Rede eine ganze Reihe von persönlichen Diffamierungen verwenden, aber nur kurze Zeit später wird von Würde des Menschen geschwatzt und das BGB gezeigt – so, als gälten die Regeln des Anstandes eben nur für die, die keine Grauen sind. Vielleicht wäre es mal besser, das StGB zu zeigen, denn anscheinend haben auch die Paragraphen 185 bis 188 keine Geltung für jene. Insbesondere von § 188 hat Böhmermann wohl bisher noch nichts gehört, sonst erzählte man dort nicht, wie man in der Vergangenheit Erfahrungen mit Führern gesammelt hätten – und zeigt dazu anfangs Frauke Petry von der AfD, später Donald Trump und Erdogan. Aber Hitlervergleiche sind immer in Ordnung, solange sie von den richtigen Seite kommen, wie man anschaulich beobachten kann.
Wenn man auf der bunten Seite steht, darf man im Übrigen auch mit Kartoffeln auf Andersdenkende werfen, zusammen mit dem Slogan: RESPONSIBLE!
In dieser Hinsicht Kants Kategorischen Imperativ zu zitieren, ist schon eine starke Leistung. Wir merken uns: nach Böhmermann sind die hier allesamt vorgenommenen Handlungen Grundlage eines Gesetzes in einer idealen böhmermannschen Gesellschaft. Dazu dröhnt dann der Chor: Liberal! Compassionate! Enlightened! Man mag einwenden, dass ein Bunter einem gestürzten Grauen hochhilft (Forgiving!), allerdings ist der Herr doch nur gefallen, auf der Flucht vor den heranstürmenden Bunten. Müsste nicht eigentlich der Bunte um Vergebung bitten?
Was in diesem Video liegt, ist eben überhaupt nicht aufgeschlossen, mitfühlend oder gar liberal. Das Psychogramm der Verantwortlichen lässt höchst totalitäre Gedanken erkennen. Alles ist erlaubt in diesem Kampf für das Gute. Die Moral ist also weder kantianisch, noch aufgeklärt, und auch nicht christlich, selbst wenn dort einige Geistliche herumlaufen; sie ist im besten Sinne machiavellistisch, denn der Zweck heiligt die Mittel.
Die eigentliche Crux des Videos ist jedoch die Offenbarung des Glaubens an eine hohe Gesinnung, die den Deutschen „gut“ macht. Die Grauen können „erlöst“ werden, wenn sie aus der Geschichte lernen. Das heißt: Ablegung des Nationalstolzes – zugunsten eines anderen Stolzes! Denn obwohl Böhmermann behauptet, „we are proud of not beeing proud“ ist genau das Gegenteil der Fall. Das ganze Video ist ein Zeugnis der neuen deutschen Dünkelhaftigkeit, auf innenpolitischem wie außenpolitischem Parkett.
Wir – nicht die Grauen – sind Deutschland. Wir sind die wahren Deutschen und niemand anders. Ihr – ihr seid (die) Vergangenheit. Demonstrativ besteht die Zukunft aus Homosexuellen, Transvestiten, Hippies, Spießern mit Birkenstockschuhen, Veganern, Fitnessfanatikern und natürlich ausschließlich modernen Muslimen, welche diese Werte teilen. Der Neue Mensch, nach Böhmermanns Ebenbild (?).
Einige halten ein BGB in der Hand, und irgendwo tönt GRUNDGESETZ!
Was selten merkwürdig klingt, wenn man bedenkt, dass die Öffnung der Deutschen Grenzen ein offener Verstoß gegen das Grundgesetz war, und ein ehemaliger Verfassungsrichter wie di Fabio Deutschland derzeit eben nicht mehr auf dem Grund dieser Gesetze stehen sieht. Ist das jetzt auch ein Grauer?
Aber gut, dass Verstand und Logik hier längst keine Rolle mehr spielen, muss ich nicht weiter ausführen. Wichtiger ist die „Message“. Die Deutschen haben gelernt, und jetzt müssen sie mit ihrer Nettigkeit die anderen auf den richtigen Weg bringen. Da es aber keine nationalen Grenzen mehr gibt, kommt eben jener deutsche Belehrungsduktus durch, den alle Völker so fürchten. Und hier geht dann Böhmermann in die Vollen: alle Mauer- und Zäunebauer werden abgewatscht. Neben Le Pen und Wilders sieht man auch Trump, Erdogan, Orban und Szydło. Ein Potpourri all jener, die also nichts verstanden haben. Polen, Ungarn – und die Türkei auf einer Stufe.
Ich bin sicher, dass genau das der Verständigung und dem Respekt vor den Völkern dienlich ist, besonders den europäischen. Denn Deutschland ist EUROPEAN, und statt Schwarz-Rot-Gold flattert demnach auch die Europa-Flagge über den Köpfen. Ja, der Deutsche weiß, was Europa ist. Die anderen EU-Länder können ein Lied davon singen. Deutschland ist ja auch immer um europäische Lösungen bemüht, nur die anderen kapieren es wieder nicht. Deshalb muss Deutschland auch so oft mit der Türkei paktieren und ist in Europa isoliert. Hat sich Böhmermann eigentlich mal mit Außenpolitik beschäftigt – so in den letzten gefühlten 5 Jahren?
Die deutsche Hybris, die früher mal im Nationalstolz wucherte, ist 1:1 in jene linksliberale Ökoreligion übergangen, welcher Böhmermann hier zum Sieg über alle Grauen verhilft. Zuerst in Deutschland, morgen vielleicht in der ganzen Welt. Es ist erschreckend, wie offensichtlich einige Parallelen der völligen Blindheit da herausstechen, und der Ersteller es anscheinend selbst nicht merkt. Die Herrenmenschen, die „gelernt“ haben gegenüber den Untermenschen, die man behandeln kann wie man will; der ideologische Weltanspruch; die Bekämpfung des Feindes im Absoluten.
Damit hier keine falschen Vorstellungen vorkommen: ich habe stellenweise gegrinst. Nicht gelacht, aber ich war amüsiert. Ich glaube aber kaum, dass Böhmermann so schnell verstehen würde, wieso sein selbstentlarvender Zirkus für mich so wohltuend ist. Das Video könnte nämlich genau so gut von der Gegenseite stammen; nicht etwa, weil die Bunten auch „kritisiert“ würden (wie einige Medien behaupten – allein, für mich ist diese Darstellung mitnichten ausgewogen, wenn man glaubt, zur Selbstironie genüge es nur, Veganerwurst und Sonnentuchreservierer zu zeigen, aber gleichzeitig behauptet, man sei „modest“), sondern, weil es manchmal so peinlich-naiv ist, dass man denkt, ein U-Boot hat sich unter die Crew mischen können.
Wie viel Naivität zudem mitschwingt, wird dann offensichtlich, wenn Personen jüdischen und muslimischen Glaubens gemeinsam gegen die Grauen vorgehen. Die Meinung des Zentralrats der Juden zur Migrationskrise ist klar. Eine erdrückende Mehrheit der muslimischen Zuwanderer wird von antisemitischen Ressentiments beherrscht. Unter dem Eindruck einer muslimischen Einwanderungs-, aber jüdischen Auswanderungswelle in Europa ist das Bild eine Provokation sondergleichen. Unity! zu rufen, wenn sich ein Jude und ein Muslim umarmen ist zwar eine schöne „Idee“ (!), aber sie ist nun einmal nicht Realität und hat nichts mit den derzeitigen Spannungen auf unserem Kontinent zu tun.
Carl Schmitts Freund-Feind-Schema geht vom Echthros und Polemios aus. Der Echthros ist der persönliche Feind, der Polemios der äußere. Durch die Menschheitsgeschichte hat diese Unterscheidung geholfen, Gesellschaften nach außen zu stärken, da der äußere Feind stets als „Fremder“, als übergreifende Bedrohung angesehen wurde. Das Staatswesen wurde gegen den Polemios verteidigt, weshalb selbst Echthroi ihre Fehden zum Wohle der Gemeinschaft ruhen ließen. Erfolgreiche Staatssysteme, die Jahrhunderte Bestand hatten, zeigen diese Konstante auf. Das Wohl des Gemeinwesens wiegt schwerer als die Konfrontation untereinander, wenn es den status quo gegen den äußeren Feind zu erhalten gilt; ein historisches Beispiel dafür sind die italienischen Stadtstaaten. Während sich eine Vielzahl von Kommunen in internen Rivalitäten auffraß und man auch äußere Mächte um Hilfe gegen interne Feinde rief, gelang Venedig das Kunststück, eine eigene Identität zu entwickeln, die dazu führte, dass man sich in Krisen nicht mit ausländischen Mächten zusammenschloss. Diese Distinktion von Echthros und Polemios in Venedig führte dazu, dass die Republik für Jahrhunderte ein Symbol der Stabilität war – ganz im Gegensatz zu den übrigen italienischen Nachbarn.
Das Video von Böhmermann dagegen unterstreicht einen deutschen Zeitgeist, demzufolge der innere Feind als grundlegender angesehen wird als irgendeine äußere Bedrohung. Der Andersdenkende ist das Problem. Man spricht von Meinungsfreiheit, doch der Krieg gilt vornehmlich nicht dem Äußeren, sondern dem Inneren.
Insofern ist ein Bürgerkrieg wohl nur die folgerichtigste Zukunft, wenn es nach dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen geht. Mir könnte das alles herzlich egal sein, wenn ich nicht für diese Aufwiegelung von Gut- kontra Schlechtmenschen auch noch Geld zahlen müsste.
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*Und unterschwellig liegt da natürlich die psychologische Nachfrage drin: und du bist doch klug und gut, oder, Genosse?