Der Kyffhäuser

9. März 2016
Kategorie: Die Euganeischen Anekdoten | Hintergrund und Schreibarbeit | Historisches | Ironie | Italianità und Deutschtum | Mittelalter | Zum Tage

Die folgende Erzählung entstammt den Euganeischen Anekdoten.

Ein Frankfurter Akademiker reiste zum Kyffhäuser, jenem thüringischen Gebirge, um das sich Legenden und Geheimnisse rankten. Die Sage wollte es, dass sich in diesen Berg der Kaiser Friedrich I. – genannt Barbarossa – zurückgezogen hatte. In der Romantik schrieben die Dichter, dass dieser sich alle hundert Jahre aus seinem unterirdischen Königreich nach draußen begab, schaute, ob die Raben noch flogen, und sich dann wieder hundert Jahre schlafen legte. Wenn Deutschland größte Not drohte, sollte Barbarossa zurückkehren und es retten.

Nachdem der Akademiker die Bergkette besucht hatte, gab er sich gegenüber einem Souvenirhändler überrascht, dass man mit dieser Erzählung immer noch Touristen gewinnen könne. Denn noch im Mittelalter – so wusste er zu erklären – hätten die Leute nicht geglaubt, dass Friedrich I., sondern sein Enkel Friedrich II. im Berg saß. Friedrich II. war aber alles andere als ein deutscher Kaiser, vielmehr ein schwäbisch-normannischer Sizilianer gewesen, also so gar nicht vereinbar mit den romantischen Nationalismen des 19. Jahrhunderts. Heute wohnte Friedrich II. nicht mehr im Kyffhäuser, dafür im Vesuv oder Ätna, und es warteten nicht die Deutschen, sondern vielmehr die Süditaliener auf dessen Rückkehr.

Und Barbarossa? Ein instrumentalisiertes, politisches Märchen, das den Preußen gut zur Hand kam, als sie Deutschland einten. Auf Barbarossa, den Rotbart, sei Wilhelm der I., der Weißbart, gefolgt. Damit konnten die Preußen sich als Wiederbegründer des Deutschen Reiches feiern lassen. Eine politische Sage also, angereichert mit Raben, Zwergen, einem mythischen Monarchen, dessen Bart in einer Höhle unendlich lang wuchs, und einer ganzen Schaufel Kitsch. Dabei haftete der Sage keinerlei literarischer Wert an; sie spielte keine historische Rolle, da frei erfunden; sie fand daher auch kaum noch Glauben bei den Leuten; und zuletzt sei dies die beste Entwicklung, die es geben könne, da ihr nationalistischer Grundgehalt nur schadete.

Der Thüringer, der dem Frankfurter zugehört hatte, schaute zu der sich bildenden Schlange, die sich hinter letzterem staute, darunter Menschen aus vielen anderen Teilen des Landes. Nicht ohne Ironie erwiderte der Händler auf die Dekonstruktion:

Dafür, dass die Sage keinen Wert habe, keine Rolle spiele, keinen Glauben mehr hätte und nur Schaden brächte – könne er aber noch sehr gut an ihr verdienen.

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