In der FAZ philosophiert Uwe Ebbinghaus darüber, was Bier dem Wein voraushat. Gekonnt ist der Einstieg, setzt man voraus, dass der Pöbel heute noch einen guten Karl Valentin zu schätzen vermag. An vorletzteren wendet sich aber eben jener Artikel, fällt doch nicht zuletzt das Wort, dass Bier „demokratischer“ sei. Die natürlich nicht ganz ernstzunehmende Liste der Biervorteile (27 an der Zahl) lässt den Wein (3) tatsächlich alt aussehen. Aber alter Wein schmeckt bekanntermaßen immer noch besser als schales Bier.
Sehen wir uns die Liste jedoch einen Moment länger an, so fällt doch auch hier wieder die allzu zeitgeistige Trockenheit der Argumente auf. Tatsächlich kann man an solchen Zeugnissen wieder allzu gut analysieren, wie unsere heutige Massengesellschaft tickt, und wie unterbewusst in all jener gepriesenen Welt aus Individualismus und Liberalismus die Konformität ihren Mantel über diesen im Grunde provokativ daherkommenden Artikel ausbreitet.
Demnach eine kurze Kritik des heutigen Kulturgeschmacks anhand angeblicher Biervorteile:
Als Weintrinker öffnet man in der Regel nur eine Flasche am Abend. Das ist langweilig, bei Biertrinkern können es durchaus zwei und mehr sein: ein frisches, hopfiges Pils zum Essen, ein Stout oder ein Weizenbock zum Nachtisch. Die ganze Vielfalt gibt es (auch in kleinen Flaschen) in hervorragender Qualität im Getränkemarkt um die Ecke.
Die Masse siegt über Klasse; Quantität über Qualität; das Ritual über die Beliebigkeit. Der Italo in meinem Inneren rebelliert gegen diese Verflachung; eben weil ich nur eine Flasche öffne, ist dieses Ritual umso tiefer gehend, umso bedeutsamer und äußert sich in der Solemnität des Augenblicks. Der Genuss einer einzigen Flasche am Abend erscheint im Übrigen schon als viel; ein, zwei Gläser sollten es sein. Der Wein führt zum maßvollen Umgang, er führt dazu, die kleinen Augenblicke festzuhalten. Man spült ihn nicht runter, wartet, bis jede Geschmacksknospe ihr eigenes Erlebnis im Gaumen zelebriert. Wer im Übrigen nicht weiß, dass es auch verschiedene Weinsorten zu verschiedenen Speisen gibt – abseits der Fisch- und Fleischregeln – sollte sich noch einmal informieren. Was im Übrigen an diesem grandiosen Prozedere in all seiner Formvollendung langweilig sein soll – diese Antwort bleibt uns der Autor schuldig. Außer natürlich, die Betrunkenheit im Reizsuchen erscheint als ein wichtigeres Ziel als die intensive Genussfeier in der Kultur der Langsamkeit.
Zeitgeist der Esskultur par excellence.
Bier ist krisensicherer. Die Zutaten lassen sich leichter erzeugen, Bier wird schneller reif und lässt sich leichter öffnen als verkorkte Weinflaschen, die man ohne Korkenzieher nur mit sehr viel Geschick mittels eines Schuhs und passender Klopftechnik zum Ausschank bringt.
Bier ist wie ein weicher Euro, den man immer wieder nachdrucken kann; Wein dagegen ist gleich einem Goldbarren, den man für wahre Krisen verwahrt. Hätte man die Wahl, ob man im Garten eine Kiste mit Bier oder Wein für Krisenzeiten vergräbt, so fällt die Wahl leicht; oder würden Sie etwa eine Kiste Euro bunkern? Natürlich nicht. Somit ist das Bier nur für den Augenblick, der Wein jedoch eben aufgrund seines stetigen, ja sogar steigenden Wertes eine Kapitalanlage und Rentenvorsorge.
Und das sage ich als mentaler Venezianer.
Bier kann man alkoholfrei zumindest zum Verzehr in Erwägung ziehen. Manche Sportler trinken so etwas gar nach einem Marathon.
Das Äquivalent zum alkoholfreien Bier nennt sich Traubensaft, und galt bereits im Mittelalter als ein gesunder Lebensquell, der aufgrund seiner schlechten Haltbarkeit und seiner heilenden Wirkung teurer als Wein war; sein hoher Eisengehalt ist allseits bekannt. Wissenschaftler behaupten gar, unsere Altvorderen hätten Recht gehabt, und Traubensaft verlängere das Leben.
Das soll mal ein alkoholfreies Bier nachmachen.
Man kann beim Bier größere Schlucke nehmen als beim Wein, muss dann allerdings häufiger das WC aufsuchen.
Ein alter Topos der Renaissance ist die Sauffreudigkeit der Deutschen. Was ist jetzt bitte besser daran, mehr zu trinken? Wieder diese Maßlosigkeit. Der Wein lehrt Demut, eine Tugend, die heute leider keine Rolle mehr zu spielen scheint.
Und im Übrigen führt eben dieser Bierkonsum spätestens nach dessen Ausfluss zu einem weitaus beträchtlicheren Geruchsproblem.
Bier erzeugt Schaum, der das Getränk enorm fotogen macht und kalt hält.
Fotogen. Wie schön. Nun, mir sind unzählige Stillleben des Barock und der Renaissance geläufig, alle mit vollem Weinglas und prächtigem roten Saft darin. Zu einem gefüllten Bierglas fällt mir jedoch weder ein Italiener, noch ein Niederländer, oder gar ein Deutscher ein. Soll das bedeuten, bis zu Ebbinghaus hätten alle Künstler geirrt? Vielmehr scheint es, als wolle man einem Getränk Ästhetik andichten, das es nachweislich nicht hat. Es ist doch arg verwunderlich, das selbst in Deutschland und den Niederlanden der Wein als „fotogener“ galt.
Man kann Bier in Ausnahmefällen aus der Flasche trinken.
Allein das sollte es bereits disqualifizieren.
Bier in der Topkategorie ist um einiges günstiger als Wein – und verleitet daher auch nicht zum Angeben.
Geiz ist geil. Kein weiterer Kommentar.
Bierproben oder Brauerei(ausschank)besuche führen meist mitten in die Städte hinein – und nicht in die Weinperipherie (an dieser Stelle aber ein Dank an alle Winzer, die gegen die Verbuschung deutscher Steilhänge kämpfen!). Wer dem Bier folgt, lernt Deutschland wirklich kennen.
Der alte Kampf Stadt gegen Provinz. Ich tendierte ja schon immer eher zur Natur, Weinbergen und der landschaftlichen Schönheit von Rhein, Ahr und Mosel, der romantischen Loreley und dem Koblenzer Eck – statt zur (sagen wir mal) Brauerei mitten in der potthässlichen Kölner Innenstadt. Mir wäre neu, dass der Rheinmythos plötzlich kein Teil mehr dessen sein sollte, was man schlechthin als Bilderbuchdeutschland kennt.
Bier hat die schöneren Farben, auf jeden Fall, mit Rot- und Schwarzbier, mehr als Wein.
Bier ist demokratischer. Im Hinblick auf die vielen großen und kleinen deutschen Bierkriege, die es schon gab, ist es auf jeden Fall revolutionärer. Wenn es dabei auch meist ums Bier selbst ging.
Demnach wäre Grappa als Bauerngetränk besser. Nun wird also auch die Getränkekultur „demokratisiert“. Demokratie = gut. Elitarismus = igitt. Ich bevorzuge die Meritokratie.
Im Übrigen führten Venedig und Genua, zwei echte Handelsmetropolen, ebenfalls einen jahrelangen Weinkrieg um den Malvasia.
Bier bekommt man, in guter Qualität, sogar in Tankstellen.
In Tankstellen gibt es auch pornographische Magazine in größerer Auswahl als Abhandlungen über Nietzsche und Schopenhauer. Logische Folgerung: pornographische Magazine sind besser.
Winzer sind Mystiker, Brauer Analytiker.
Italo würde dem ebenso zustimmen wie die Biertrinkerin Sam. Sehr gut beobachtet. Allein: der Mythos währt ewig, die Analyse nur bis zur nächsten Widerlegung.
Ich rufe zudem in Erinnerung, dass die größte Religion der Welt bis heute ihr Messopfer nicht in Form von Bier darbringt. Den Mythos muss das Bier erst einmal antippen.
Bier befördert die erste Annäherung zwischen den Geschlechtern. Mancher junge Mensch entdeckt erst unter dem Einfluss von Bier, dass er tanzen, singen und charmant daherreden kann.
In Deutschland ewiger Junggeselle – eben weil das deutsche (Bier)Komasaufen den gesellschaftlich-geschlechtlichen Austausch bestimmt, und das Gespräch mit dem Anderen in Lallen und exzessiven Emotionswallungen und Fallenlassen jeglichen Stils, sowie jeglicher Vernunft geradezu als Balzritual gilt – lernte ich die erste echte Liebe meines Lebens in Italien bei einem halben Glas Wein kennen. Eine Frau, die sich für Beethoven und Homer interessierte, und Kraft ihrer Sinne und ihres Verstandes mich mehr beeindruckt hat als jedes weibliche Geschöpf davor und danach.
Denn Wein kann man glücklicherweise nicht wie Bierkästen in Jugendgruppen quer durch die Straße schleppen, um sich vollzusaufen. Man kann ein Leben in zeitgeistiger Besinnungslosigkeit verbringen, oder das Leben in genießerischer Ruhe verbringen. Reiz und Effekt auf der einen; Ewigkeit und Kontinuität auf der anderen Seite.
Die Wahl des Getränks spielt bereits eine Rolle, für welche Seite man sich dabei entschieden hat.